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Die lettische Hafenstadt Ventspils will sich an Nord Stream 2 beteiligen
22.04.2017


Streit zwischen Transatlantikern und Oligarchen


Kuhskulptur im Hafen von VentspilsDer deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger behauptete in seiner berühmten „Schlitzaugen“-Rede (YouTube.com) vom 26.10.2016, dass der Gazprom-Angestellte Gerhard Schröder nun genügend Zeit habe: „Nord Stream 2 wird nicht gebaut und Frau ist weg.“ Oettinger scheint sich zumindest im ersten Punkt zu verschätzen. Die Bürger Lubmins, wo die  Gasröhren die deutsche Ostseeküste erreichen sollen, informieren sich gerade über den Stand der Planung. Im vorpommerischen Lubmin kommt bereits Nord Stream 1 an, mit der das gleichnamige Konsortium aus Gazprom und westlichen Konzernen die Deutschen direkt beliefert. Die neue Trasse soll die Kapazitäten erhöhen. Dann könnten etwa 80 Prozent des russischen Gases für die westlichen EU-Länder durch die Ostsee strömen. Die Leitung soll durch den geschützten Greifswalder Bodden verlegt werden. Gegner können noch bis zum 31.5.2017 bei den Ämtern Einwände vorbringen (welt.de). Die Opposition der Naturschützer ist nur ein kleiner Teil des Streits, den Nord Stream 2 international verursacht. Zu den Kritikern gehören vor allem Ukrainer, Polen, die EU-Kommission und einige EU-Abgeordnete. Zu den Gegnern zählten bislang auch die Balten. Doch nun vernimmt man neue Töne aus der lettischen Hafenstadt Ventspils: Der dortige Bürgermeister Aivars Lembergs will am Gazprom-Vorhaben teilhaben. In seiner Pressekonferenz vom 20.4.2017 (YouTube.com) forderte er von der lettischen Regierung Kompensationszahlungen, wenn diese Ventspils den Anschluss an die neue Nord-Stream-Röhre verweigere. Der neue Konflikt ist ein Lehrstück über die gegensätzlichen Interessen innerhalb des lettischen Establishments: Zwischen den Transatlantikern, die ihr Land enger an den Westen binden möchten und den sogenannten „Oligarchen“, die weiterhin mit Russland Handel treiben wollen.

Im Hafen von Ventspils, Kühe sind ein Symbol der Ölhafenmetropole, Foto: By Stgubr92 - Own work, CC BY-SA 3.0, Link

 

Lembergs zeigt Verständnis für deutsche Interessen

Lembergs stellte den Journalisten die Nord-Stream-2-Planungen vor. Schweden und Finnland beabsichtigten die Teilnahme. Auch der Hafen von Ventspils habe von der Nord Stream AG das Angebot erhalten, an die Pipeline angeschlossen zu werden. Dafür müsste eine eigene Zugangsleitung mit 20.000 Röhren durch die Ostsee verlegt werden. Der Bürgermeister verspricht sich schon durch die Bauarbeiten Beschäftigung und Profite. Mit seinem typischen Grinsen erklärt er, dass ein lettischer Nord-Stream-Anschluss im Sinne der Nato- und EU-Verträge sei. Schließlich sorge die Leitung für Energiesicherheit. Die Deutschen wollten nicht für die russisch-ukrainischen Beziehungen als Geiseln genommen werden. Vor dem Bau der ersten Nord-Stream-Leitung waren Deutsche und andere Westeuropäer vom Transit durch die Ukraine abhängig. Beim Streit um die Gaspreise kam es mehrmals zu Engpässen, weil Gazprom kein Gas mehr lieferte oder die ukrainische Seite die Durchleitung blockierte. Lembergs fordert von der lettischen Regierung Kompensationszahlungen von mindestens 20 Millionen Euro, falls seiner Stadt der Anschluss verwehrt werde. Die Stadt benötigt die Zustimmung des Hafenvorstandes. In ihm werden vier von acht Mitgliedern von der Regierung gestellt. Lembergs glaubt, dass das lettische Außenministerium auf Druck Polens Nord Stream 2 verhindern will. Deutschlands östlicher Nachbar ist nicht beteiligt. „Die Polen haben Interessen – sie wollen nicht, dass Deutschland direkt Gas aus Russland bezieht. Sie wollen ebenfalls an diesem Kreis beteiligt sein und dieser Wunsch Polens ist verständlich und begrüßenswert, aber weshalb soll Lettland dafür bezahlen?“

Ventspils Hafenblick

Blick auf Hafenanlagen von Ventspils, Foto:  Laima G?tmane,  CC BY-SA 3.0, Link

Bangen um das Ölgeschäft

Aivars Lembergs ist ein umstrittener Politiker und Geschäftsmann. Seine Familie gilt als eine der reichsten Lettlands. Der Mann, der seinen Schlapphut zum persönlichen Markenzeichen machte, entwickelte die Stadt Ventspils zum Umschlaghafen für russisches Erdöl. Gegner werfen ihm vor, dass seine Ölgeschäfte mit Korruption und Geldwäsche verbunden seien. Laut Beschluss der Generalstaatsanwaltschaft darf Lembergs seit 2007 das Amt des Bürgermeisters eigentlich gar nicht mehr ausüben. Damals kam er vorübergehend in Untersuchungshaft. Seitdem muss er sich vor Gericht verantworten, doch der Prozess ist längst aus den Schlagzeilen verschwunden und ein Urteil nicht in Sicht. Trotz aller Vorwürfe ist der Bürgermeister in seiner Stadt recht beliebt. Die Bürger wählen seine Lokalpartei stets mit großen Mehrheiten. Man sagt, dass er das einst hässliche Entlein Ventspils zu Lettlands blühender Hafenmetropole herausgeputzt habe. Doch der bescheidene Wohlstand ist von guten Beziehungen mit Russland abhängig. Wegen der wechselseitigen Sanktionspolitik zwischen Russland und dem Westen sieht der Bürgermeister die Geschäftsgrundlage seiner Stadt gefährdet. Nikolai Tokarew, der Leiter des russischen Transportunternehmens Transneft, kündigte im September 2016 an, dass Russland den Öltransit durch die baltischen Länder bis 2018 einstelle (delfi.lv). Zwar zweifelt Lembergs daran, dass dies vollständig geschehe, doch bereits jetzt rollen deutlich weniger russische Ölkesselwagen über lettische Schienen.

Aivars Lembergs

Aivars Lembergs, Foto: Toms Norde, Valsts kancelejaderivative work: Gaujmalnieks - Šis fails tika ieg?ts no  Ministru prezidents Valdis Dombrovskis tiekas ar Latvijas Lielo pils?tu asoci?cijas p?rst?vjiem (8076321183).jpg: , CC BY-SA 2.0, Saite

 

Nord Stream als geopolitisches Projekt

Die lettische Regierung steht hingegen auf der Seite jener, die die westliche Sanktionspolitik gegen Russland befürworten. Der wirtschaftliche Schaden, den diese auch für das eigene Land mit sich bringt, wird im Sinne der offiziell bekundeten Solidarität mit der Kiewer Regierung hingenommen. Neben Milchbauern und Herstellern von Fischkonserven klagen auch Unternehmer aus der Logistikbranche über schwindende Einnahmen, weil die EU und Russland sich wechselseitig den Handel erschweren. Nord-Stream-Röhren sind nicht im Sinne dieser Politik, mit der die EU die Krim-Annexion und Russlands militärische Einmischung im Donbass bestrafen will. Die Kritiker sympathisieren mit der Kiewer Führung, welche die Gastransitgebühren benötige. Sie werfen den Befürwortern des Gazprom-Projekts vor, die Abhängigkeit der EU von Russland zu vergrößern. Sie fordern statt dessen alternative Gaslieferanten aus der Mittelmeerregion. Kersti Kaljulaid und Raimond V?jonis, die Staatspräsidenten Estlands und Lettlands, formulierten bei ihrem ersten Treffen am 21.10.2016 die gemeinsame Kritik: Laut V?jonis gibt es für eine neue Nord-Stream-Röhre überhaupt keine wirtschaftliche Begründung, es sei ein geopolitisches Projekt, um den Gasstrom vom Süden in den Norden umzuleiten (lp.de). Die EU-Kommission engagierte sich bislang im Sinne der Nord-Stream-Gegner. Doch in einem Brief an Dänemark und Schweden bat sie die beiden Mitgliedsländer, ihr ein Mandat für Verhandlungen mit Gazprom zu erteilen (handelsblatt.com). Die Front der Nord-Stream-Gegner scheint zu bröckeln.

Russische Ölwaggons
Kesselwagen auf lettischen Gleisen, Foto: LP

Streit in Lettlands Establishment

Der Journalist Belén Dominguez Cebrián will in Lettland sogar Begeisterung und Erleichterung festgestellt haben, weil die Nord Stream AG den Letten die Beteiligung angeboten habe (welt.de). Wirtschaftsminister Arvils Ašeradens zeige sich erfreut darüber, wenn Deutschland statt Russland auf den liberalisierten Gasmärkten die Führung übernehme. Das klingt nach Zustimmung der lettischen Regierung. Doch vor heimischem Publikum klingt der Minister der mitregierenden Partei Vienot?ba ganz anders: Eine Beteiligung Lettlands bzw. des Freihafens von Ventspils will er in keiner Weise unterstützen und er habe seiner Vertreterin im Hafenvorstand die Anweisung erteilt, den Anschluss Ventspils` an Gazproms Röhren auf alle Fälle zu verhindern (lsm.lv). Vielleicht kann Lembergs die Regierung dennoch umstimmen. Im Gegensatz zur transatlantisch orientierten Vienot?ba könnte Lembergs in der Union der Grünen und Bauern (ZZS) auf Verständnis hoffen. Die ZZS stellt den Ministerpräsidenten und Lembergs gilt als ihr mächtiger Mann im Hintergrund. 2007, als Lembergs vor Gericht zitiert wurde, kürte die ZZS ihn dennoch zum Spitzenkandidaten. Es gibt den Verdacht, dass er Saeima-Abgeordnete „sponsert“. Die Gegner des umtriebigen Bürgermeisters geben Korruptionsbekämpfung als Hauptmotiv an. Doch es ist auch ein Streit zwischen Transatlantikern, die das enge Bündnis mit den USA suchen, und jenen, die schon der Geschäfte halber gute Beziehungen zum großen Nachbarn Russland wünschen. Die Ukraine-Krise hat den Konflikt in Lettlands geteiltem Establishment verschärft. 2011 schienen die Transatlantiker den Sieg errungen zu haben. Damals drängten sie in einer Anti-Oligarchen-Kampagne Ain?rs Šlesers und Andris Š??le aus der Politik. Beide reich gewordenen Geschäftsleute, die bis dahin in verschiedenen politischen Ämtern großen Einfluss ausgeübt hatten, befürworteten und befürworten gute Beziehungen mit Russland. Aber der Dritte im Bunde lettischer Oligarchen, Lembergs, blieb nicht nur im Geschäft, sondern auch im Amt. Auf dem Höhepunkt der Ukraine-Krise wies der widerrechtlich regierende Bürgermeister von Ventspils auf die Bedeutung hin, die der Handel mit Russland für die lettische Volkswirtschaft hat. Er empfahl lettischen Politikern, sich aus dem geopolitischen Konflikt herauszuhalten, statt, der Karriere halber, lauter gegen Moskau zu grölen als Washington, Paris, London und Berlin zusammengenommen (lp.de). Die Journalistin Guna Gleizde fasste im Oktober 2016 eine Studie des US Think Tanks Center for Strategic and International Studies (csis.org) zusammen (delfi.lv). Demnach manipuliere Russland mit geheimen Kampagnen Lettland und andere mittelosteuropäische Staaten. Prorussische Geschäftsleute handelten im Moskauer Interesse, zu ihnen zählten die Autoren auch Šlesers, Š??le und Lembergs. Russlands Ziel sei es, das Modell der liberalen westlichen Demokratien zu diskreditieren und die transatlantischen Beziehungen zu zerstören - folgerten die Autoren dieser US-Studie. Jene, die bessere Beziehungen zu Russland wünschen, sehen die Sache umgekehrt.




 
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