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Arbeitspapier der EU-Kommission bemängelt die lettische Sozialpolitik
28.03.2015


Bettlerin in der Rigaer InnenstadtValdis Dombrovskis ist Vizepräsident der EU-Kommission und als lettischer Kommissar u.a. für den sozialen Dialog zuständig. Er fand am 23.2.2015 vor den Parlamentariern seiner Heimat erstaunliche Worte. Zwar lobte er die wirtschaftliche Entwicklung der EU. Sein Heimatland, das der Politiker fünf Jahre lang regierte, verzeichnet sogar überdurchschnittliche Wachstumsraten. Im Hinblick auf die soziale Entwicklung zeigt sich Dombrovskis allerdings besorgt. "Armut und Arbeitslosigkeit haben zugenommen, besonders unter Jugendlichen. Diese negativen Tendenzen gefährden bekanntermaßen das wichtigste Ziel des EU-Projekts - die Förderung der ökonomischen Konvergenz und die Verbesserung der Lebensbedingungen aller Einwohner. Dies sind ernsthafte Herausforderungen, die wir bewältigen müssen." Dies klingt wie eine Selbstkritik des ehemaligen lettischen Ministerpräsidenten, der zuhause mit schockartiger Austeritätspolitik auf die Finanzkrise reagiert hatte. Als Kommissar des sozialen Dialogs formuliert er nun selbst Einwände gegen die hierzulande propagierte ökonomische "Erfolgsgeschichte", die in den Ohren vieler lettischer Bürger wie Hohn klingt. In Lettland ist für die ärmeren Einwohner trotz Anhebung des Mindestlohns und fallender Arbeitslosenquote kaum Besserung in Sicht. Ein Arbeitspapier der EU-Kommission, das am 26.2.2015 veröffentlicht wurde, formuliert deutliche Kritik an der lettischen Sozialpolitik.

Bettlerin in der Rigaer Altstadt. Viele Letten kommen nur dürftig über die Runden, Foto: LP

 

Zu wenig Geld für soziale Leistungen

Das Arbeitspapier nennt die schwache soziale Absicherung und die Abnahme des arbeitsfähigen Bevölkerungsanteils als Hauptprobleme Lettlands. Die Sozialausgaben seien zu gering, um Armut, das Risiko sozialer Ausgrenzung und Ungleichheit wirksam zu verringern. EU-Statistiker beziffern seit vielen Jahren miese Werte für die mittlere Baltenrepublik. Im letzten Jahr waren 32,7 Prozent der Einwohner arm oder von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Die Einkommensschere öffnet sich weiter als in den meisten anderen EU-Staaten. Bei Heranwachsenden vergrößerte sich der Anteil der Armen oder von Armut Gefährdeten von 38,8 Prozent im Krisenjahr 2010 auf 47,7 Prozent im Jahr 2013. Die EU-Kommission nennt ein anschauliches Beispiel, was solche Zahlen für das alltägliche Leben bedeuten. 38,3 Prozent der lettischen Bevölkerung wohnen in maroden Behausungen, z.B. mit undichten Dächern, Feuchte und Schimmel an den Wänden, wo oftmals Bäder oder Toiletten in den Innenräumen fehlen. Viele Senioren können ohne Unterstützung ihrer Angehörigen nicht überleben. 2013 mussten 17 Prozent der Rentner mit der Mindestrente auskommen, die zwischen 70 und 109 Euro beträgt. Die Aussicht, Arbeit zu finden, hat sich seit der katastrophalen Lage in den Krisenjahren verbessert. Abwanderung, aber auch neue Arbeitsplätze entschärften die Situation. Nur Litauen hat relativ zur Gesamtbevölkerung mehr Einwohner verloren als Lettland. Menschen im erwerbsfähigen Alter suchen bessere Löhne und soziale Absicherung im Ausland, der Schwund in dieser Altersgruppe ist daher höher. Das, was in Deutschland als erfolgreiches Anwerben von Fachkräften gepriesen wird, bedeutet für Osteuropäer, auch für Letten, Brain Drain. Für Jugendliche hat sich die Lage leicht verbessert, doch mit 20,3 Prozent (saisonbereinigt) im dritten Quartal 2014 ist ihr Anteil an den Erwerbslosen weiterhin hoch. Lettlands Sozialleistungen sind zu niedrig, um die sozialen Folgen abzufedern. Arbeitnehmer haben nur ein halbes Jahr Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung. Nur 14 Prozent der Erwerbslosen erhalten Sozialleistungen, auch dies sind Werte weit unter dem EU-Durchschnitt. Die mangelhaften staatlichen Ausgaben entsprechen den fehlenden staatlichen Einnahmen. Insgesamt ist der lettische Steueranteil am BIP (28 Prozent) deutlich geringer als in den meisten anderen EU-Ländern, der EU-Durchschnitt beträgt 40 Prozent. Arbeit und Konsum werden steuerlich stärker belastet als Kapital. Die prozentual gleich bleibende Einkommenssteuer (Flattax) benachteiligt die Geringverdiener. Die EU-Kommission bemängelt auch die gesundheitliche Versorgung. Die staatliche Finanzierung sei zu gering und die Kranken müssten zu viel zuzahlen. Ein Großteil der Bürger sei daher mit den medizinischen Leistungen unzufrieden. Lange Wartezeiten und fehlende Vorsorgeuntersuchungen kennzeichnen die prekäre Lage. Ärzte verlangten inoffizielle Zahlungen von den Patienten. Die Folgen sind ein schlechter gesundheitlicher Zustand, geringere Lebenserwartung und höhere Sterblichkeit in der Altersgruppe der arbeitenden Bevölkerung.

Protestplakat auf Müllcontainer

Protestplakat gegen Armut in einem Rigaer Wohnviertel, Foto: LP

Sorge um Wirtschaft und Soziales größer als um militärische Sicherheit

Die betroffenen Ministerien nahmen zur EU-Kritik Stellung. Ieva Jaunzeme, Staatsekretärin im Sozialministerium, meinte gegenüber der Nachrichtenagentur Leta, dass die Bewertung unredlich sei angesichts des zuvor Geleisteten. Die Regierung habe sich auf die Konzeption eines Mindesteinkommens geeinigt und werde die Arbeit an dieser Frage fortsetzen, alles erfolge nach Plan. Aber man könne nicht erwarten, dass Änderungen innerhalb eines Jahres erfolgten. Auch Gesundheitsminister Guntis Bel?vi?s kommentierte die Einwände der EU-Kommission. Er widersprach deren Auffassung, dass der lettische Fortschritt in der Gesundheitsversorgung begrenzt sei. Er sei nicht "begrenzt", sondern "nicht groß". Er rechtfertigte den Stillstand, weil im letzten Jahr dem Gesundheitsministerium vier Monate lang kein Minister vorstand. Seitdem bemühe er sich um Besserung. Patienten müssten nun weniger Zuzahlungen leisten, doch insgesamt leide die medizinische Versorgung nach wie vor unter "chronischer Unterfinanzierung". Zur schlechten sozialen Situation passt auch eine Umfrage, die das Verteidigungsministerium beim Meinungsforschungsinstitut SKDS in Auftrag gab. Demnach fürchten sich 89 Prozent der Einwohner vor einer neuen Wirtschaftskrise und 84 Prozent sorgen sich um die soziale Sicherheit. Befürchtungen um die militärische und politische Sicherheit folgen mit 72 Prozent erst an dritter Stelle. Auf die Frage, welche Risiken für Lettland akut und bedeutsam sind, nannten 68 Prozent wirtschaftliche Krisen, mit Abstand folgten die militärischen Risiken mit 37 Prozent vor Drogenmissbrauch (36 Prozent) und Verbrechen (35 Prozent).

 

Weiterer LP-Artikel zum Thema:

Zehn Jahre EU-Mitgliedschaft brachte Lettland Vorteile – Teil 2: Eurostat-Sozialdaten

 

Externe Linkhinweise:

youtube.com: Liep?jas Krusta ev. lut. draudzes - P?rrunu grupa par B?beli un dz?vi pied?v? filmu "Veiksmes st?st(i)"

delfi.lv: Labkl?j?bas un Vesel?bas ministrijas noraida Eiropas Komisijas kritiku

nra.lv: EK v?rt? soci?lo un vesel?bas politiku

delfi.lv: Dombrovskis: finanšu kr?ze ir padzi?in?jusi ekonomisk?s un soci?l?s atš?ir?bas ES

tvnet.lv: Latvijas iedz?vot?ji par aktu?l?ko draudu atz?st ekonomisk?s kr?zes

Komisijas Dienestu Darba Dokuments - Zi?ojums par valsti - Latvija (2015)




 
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