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Lettische Regierung belastet geringverdienende Selbstständige mit erhöhten Sozialabgaben
17.09.2021


Fast die Hälfte der registrierten Selbstständigen verdient weniger als 500 Euro im Monat

Ein Geschäft von Soloselbstständigen: Das Pilzesammeln, Foto: Adrian Grycuk, Eigenes Werk CC BY-SA 3.0 pl, Link

 

Nach jüngsten Medienberichten übersteht Lettland die Pandemiekrise wirtschaftlich besser als befürchtet. Das Durchschnittseinkommen steigt weiter (ist aber immer noch eines der geringsten in der EU), die Erwerbslosigkeit hat sich dank Kurzarbeitergeld kaum erhöht. Allerdings warnen Experten vor der Gefahr, dass sich die soziale Ungleichheit weiter vergrößern könnte. Wenn die staatlichen Pandemie-Zuschüsse entfallen, könnte das die Einkommen gerade von Geringverdienern deutlich schmälern. In schwer betroffenen Branchen wie im Hotel- und Gaststättengewerbe wird so mancher Unternehmer bestrebt sein, Personal einzusparen. Eine größere finanzielle Belastung hat die Regierung für geringverdienende Selbstständige beschlossen: Sie sollen seit dem 1. Juli 2021 von ihrem schmalen Einkommen mehr Sozialabgaben zahlen.  


Geringverdiendende Selbstständige, von denen die meisten wohl nur sich selbst beschäftigen, sollen das Finanzamt (VID) vorab informieren, wenn ihr monatliches Einkommen geringer ist als der Brutto-Mindestlohn von 500 Euro. Grundlage dafür ist eine Gesetzesnovelle zu den staatlichen Sozialabgaben, die noch in der Zeit der ehemaligen Sozialministerin Ramona Petravica ausgearbeitet wurde. Der Gesetzgeber beschloss Ende des letzten Jahres, dass Selbstständige mit geringem Einkommen einen ermäßigten Satz von zehn Prozent in die Rentenkasse einzahlen sollen, bislang gab sich der Fiskus mit fünf Prozent zufrieden. Eine besondere Schikane stellt dabei die staatliche Forderung dar, dass die Betroffenen den Finanzbeamten das zu erwartende Einkommen prognostizieren sollen, jeweils für drei Monate im voraus, was in vielen Fällen kaum möglich sein dürfte. Wer diese Mitteilung an das Finanzamt versäumt oder sich verweigert, soll vierteljährlich 511,35 Euro Sozialabgaben überweisen. Laut der Tageszeitung Latviesu Avize (LA) haben 34.638 Selbstständige einen Antrag auf ermäßigte Sozialabgaben eingereicht, in Lettland sind derzeit 73.055 Soloselbstständige registriert (la.lv).


Diese Änderung ist Teil einer umfassenden Abgabenreform, die dem Sozialbudget zugute kommt, aber nun gerade jenen Sorgen bereitet, die eigentlich am meisten vom Sozialstaat profitieren müssten. Ursprünglich plante das Kabinett, dass Selbstständige unabhängig vom tatsächlich erzielten Einkommen einen festen und beträchtlich hohen Jahresbetrag in das Sozialbudget einzahlen sollten. Das hätte gewiss für so manchen Freelancer das Aus bedeutet. Aber auch den jetzigen Regierungskompromiss hält Anis Endzins, Leiter der lettischen Industrie- und Handelskammmer, im LA-Interview für ein Machwerk. Er befürchtet, dass Selbstständige aufgeben und sich erwerbslos melden oder sie zukünftig ihr Geschäft vor dem Finanzamt geheim halten. Im Allgemeinen, so vermutet Endzins, könnte die gesellschaftliche Unzufriedenheit mit Politikerbeschlüssen weiter zunehmen.  


Doch die Appelle von Unternehmerseite, die neue Steuer- und Abgabenlast für Selbstständige mit geringem Einkommen zu überdenken, werden ignoriert. Auch im nächsten Jahr rechnet der Finanzminister mit diesen Einnahmen. Endzins schlägt vor, sämtliche Betroffene stattdessen von der Einkommenssteuer zu befreien, denn auch diese muss von den meisten Geringverdienern bezahlt werden, lediglich einige Mini-Unternehmer wie gewerbsmäßige Pilz- und Beerensammler, die weniger als 3000 Euro jährlich erwirtschaften, sind von der Einkommenssteuer befreit; diese beträgt für die übrigen Geringverdiener immerhin 20 Prozent. Auch diesen Vorschlag wird die Regierung voraussichtlich ignorieren, sonst müsste sie entweder Kredite aufnehmen oder die Steuern für wohlhabendere Steuerzahler weiter erhöhen. Deren Belastung stieg in den letzten Jahren, weil die einheitliche Einkommenssteuer, die Flattax von 24 Prozent, durch eine dreigliedrige progressive Einkommenssteuer ersetzt wurde. Der Spitzensteuersatz beträgt nun bei einem Jahreseinkommen, das mehr als 62.800 Euro beträgt, 31 Prozent – die nehmen sich im internationalen Vergleich weiterhin bescheiden aus. Wegen der geringen fiskalischen Einnahmen gehört die lettische Staatsquote (Anteil der staatlichen Ausgaben am BIP) weiterhin zu den geringsten innerhalb der EU (statista.com). Deshalb kann die Regierung hierzulande weniger als in anderen Ländern für Sozialleistungen ausgeben, die die soziale Ungleichheit verringern.

UB 




 
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