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Lettland führt das Pfandsystem für Getränkeverpackungen ein
05.02.2022


Widerstand der Lobby-Verbände verzögerte die Einführung

Ein lettischer Pfandflaschenautomat, Foto: KB151511, Paða darbs CC BY-SA 4.0, Saite

Seit 1. Februar führt Lettland die gesetzliche Pfandpflicht für Getränke ein, die in Flaschen oder Dosen gekauft werden. Die Lebensmittelgeschäfte planen über 1300 Annahmestellen. Dort können Kunden ihr Leergut “manuell” bei Angestellten oder an einem Leergutautomaten abgeben, dessen Funktionsweise die Medien derzeit erklären. Das Pfand beträgt für eine PET-Flasche 10 Cent. Den Geschäften bleibt ein halbes Jahr Zeit zur Umstellung; bislang haben erst wenige Läden Pfandflaschen oder -dosen im Regal stehen. Wer sich nun Hoffnung macht, seinen aufgespeicherten Vorrat an leeren Flaschen in bare Münze umsetzen zu können, muss enttäuscht werden: Akzeptiert werden nur Verpackungen mit spezieller Kennzeichnung, die erst seit diesem Monat in den Handel kommen. Der Weg zur lettischen Pfandflasche war langwierig und mit Lobby-Hürden versehen. Zivilgesellschaftliches Engagement ermöglichte schließlich doch noch die Einführung.


Umweltminister Arturs Toms Pless sieht in der Wiederverwendung von Flaschen und Dosen einen wesentlichen Schritt, um das Denken und die Gewohnheiten der Menschen zu verändern; es sei ein Wendepunkt für den lettischen Umweltschutz, indem man anerkennt, “dass wir Abfälle nicht mehr als Abfälle betrachten, sondern als wiederverwendbare Ressourcen.” (lsm.lv)


Es dauerte allerdings zwei Jahrzehnte, bis aus dem Plan, ein lettisches Pfandsystem einzuführen, Wirklichkeit wurde. LSM-Journalistin Sintija Ambote erinnert in ihrem Beitrag an die zahlreichen Hindernisse (lsm.lv). Eine EU-Richtlinie hielt den lettischen Gesetzgeber bereits seit dem EU-Beitritt 2004 dazu an, sich über ein nationales Gesetz zur Wiederverwertung von Getränkeverpackungen zu verständigen. Miks Sturitis, Leiter des Pfandsystembetreibers DIO, erläuterte Ambote die Gründe, weshalb die Einführung sich so lange verzögert habe. Gewiss seien manche Branchen in den letzten 20 Jahren dagegen gewesen, doch letztlich entschieden Politiker und ihre Ministerien. Deshalb müsse man den Grund bei den politischen Kräften jener Zeit suchen.  


Schon Raimonds Vejonis plante nach dem EU-Beitritt als zuständiger Minister, bis 2010 ein Pfandsystem einzuführen. Er vertraute auf Freiwilligkeit der Getränkehersteller, des Handels und der Abfallwirtschaft. Doch aus den betroffenen Branchen formierte sich der Widerstand. Ihre Vertreter sorgten sich um höhrere Kosten und Gewinnverluste. Die Brauerei Aldaris schätzte zunächst, dass die Teilnahme an einem Pfandsystem fünfmal mehr Kosten verursache als die damals geltenden Verträge mit der Abfallwirtschaft. Für die Müllentsorger wurden die Bestimmungen allerdings verschärft, auch ihre Kosten stiegen und inzwischen haben Aldaris-Vertreter ihre Meinung geändert.  


Die Vertreter der Abfallwirtschaft formulierten ebenfalls Einwände. Manche Firmen haben in Mülltrennung und Recycling investiert; sie benötigen Plastik, Glas und Weißblech zum Betrieb ihrer Anlagen. Für den Handel bedeutet das Pfandsystem die Anschaffung teuerer Rücknahmeautomaten und ein höherer personeller Aufwand. Letztlich bestand die Drohung darin, dass ein Pfand auch den Grundverkaufspreis für Getränke verteuere.


Seit 2010 starteten Minister und Parlamentarier mehrere Versuche, mit einem Pfandsystem die Umwelt zu entlasten. Doch sie scheiterten, änderten ihre Meinung, schwankten zwischen Strategien der Verpackungsrücknahme, Mülltrennung und Recycling. Als das Nachbarland Litauen 2016 die Pfandpflicht einführte, stieg der öffentliche Handlungsdruck. Eine Bürgerinitiative sammelte auf der Web-Plattform “manabalss.lv” mehr als 10.000 Stimmen für die Pfand-Einführung, so dass sich die Saeima mit diesem Anliegen wieder beschäftigen musste.  


Anfang 2018 beabsichtigte die damals noch amtierende Regierung des Ministerpräsidenten Maris Kucinskis, den Getränkehandel bis 2020 auf ein Pfandsystem zu verpflichten. Doch diesmal blockierte Landwirtschaftsminister Janis Duklavs. Er behauptete in den “sozialen” Medien, dass er keine weggeworfenen Flaschen sehen könne, wenn er aus dem Fenster schaue. Kritiker warfen dem Minister einen Interessenkonflikt vor, weil er an der Brauerei Piebalgas Alus beteiligt ist. Die Antikorruptionsbehörde KNAB ermittelte, konnte aber keinen Gesetzesverstoß feststellen.


Schließlich einigten sich die Parteien bei den Koalitionsverhandlungen der jetzigen Regierung, endlich ein Gesetz in dieser Angelegenheit durch das Parlament zu bringen. Doch diesmal erwiesen sich die Abgeordneten als Hürde. 2018 hatten der Umweltschutzclub gemeinsam mit der Industrie- und Handelskammer, dem Kommunalverband, aber auch den Lobbyverbänden der lettischen Verpackungshersteller und der Abfallentsorger eine Denkschrift formuliert, in denen sie die unqualifizierten Debatten in der Saeima kritisierten und eine Ausweitung der Pfandpflicht auf Tetra Pak, Einmachgläser und Shampoo-Flaschen forderten.  


Janis Vitenbergs, damals Vorsitzender der Saeima-Kommission für Wirtschaft, hatte beim Gesetzgebungsverfahren den Verdacht, dass die 83 Änderungsanträge, die bei der dritten Lesung gestellt wurden, nur den Zweck hätten, die Pfandpflicht doch noch zu verhindern. Früher sei die Abfallwirtschaft vollständig gegen eine Pfandpflicht gewesen, nun fordere sie deren Erweiterung. Schließlich lehnte die Saeima die Erweiterung auf weitere Verpackungsarten ab und beschloss am 24. November 2019 das Gesetz, das nun in Kraft getreten ist.


Janis Ulme, Leiter des Fonds für Bildung im Umweltschutz, bewertet diese schwierige Geburt auf folgende Weise: “Gewiss ist es gut, dass diese Geschichte nun ein Ende hat und daraus müssen wir lernen, denn wir können erkennen, wie Umweltpolitik in Lettland betrieben wird oder nicht und wie großen Einfluss auf die Politik die Lobbyorganisationen des Profits haben. Aber nun ist es gut, dass das Pfandsystem besteht und es wird gewiss einen positiven Effekt nicht nur auf die Umwelt haben, sondern auch auf das Verständnis für den Umgang mit Ressourcen innerhalb der lettischen Gesellschaft. Da wir uns in einem Wahljahr befinden, so hoffe ich, dass sich die Politiker auch etwas schämen und nicht bestrebt sein werden, das Pfandsystem als Errungenschaft auszugeben, denn es ist zehn Jahre zu spät eingeführt worden.”


UB 




 
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