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Lettland: Nur ein Drittel der Wahlberechtigten beteiligte sich an den Kommunalwahlen
06.06.2021


Gefängnisinsasse Aivars Lembergs wird voraussichtlich Bürgermeister bleiben

Die Ordensburg von Ventspils, Foto: CC BY-SA 3.0, Saite

 

Nur 34,01 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten sich an den Kommunalwahlen vom 5. Juni 2021. Das ist ein neuer Negativrekord. Die Zahl der Wählerinnen und Wähler verringert sich seit Jahrzehnten. 2001 gingen noch 61 Prozent zur Wahlkabine, das war der Höchststand; vor vier Jahren nahm noch die Hälfte teil (lsm.lv). Diese Wahl war die erste nach einer umfassenden Gemeindereform. Statt 119 hat Lettland nur noch 43 kommunale Bezirke. Auch die Zahl der Sitze, die in den Lokalparlamenten zu besetzen sind, reduzierte sich auf ein Drittel. Riga nahm an dieser Wahl nicht teil, weil in der Hauptstadt nach heftigen lokalpolitischen Turbulenzen bereits im letzten Jahr gewählt wurde. Auch in den Kreisen Rezekne und Varaklani blieben die Wahlurnen geschlossen, weil die Verfassungsrichter gegen die Zusammenlegung Einspruch erhoben. Dort wird erst im Herbst gewählt. Als Gewinner gelten die Lettische Bauernpartei und die Grünen, die entweder als Bündnis ZZS oder als einzelne Parteien antraten. Gemeinsam mit weiteren Bündnispartnern wurden sie in 15 Kommunen stärkste Fraktion und erzielten insgesamt 37,5 Prozent der Sitze, fast 10 Prozent mehr als vor vier Jahren. In der Saeima ist die ZZS derzeit in der Opposition. Eine denkwürdige Wiederwahl erfolgte in Ventspils.


Für jene, die mit lettischer Politik nicht vertraut sind, mag es sonderbar erscheinen: In der Hafenstadt Ventspils verschafften die Bürger der Stadtpartei Latvijai un Ventspilij (LV) mit 54,32 Prozent wieder einmal die absolute Mehrheit (lsm.lv). Zwar ist sie jetzt nur noch mit sieben, statt neun Abgeordneten vertreten, doch ihr Ergebnis erstaunt dennoch angesichts des Umstandes, dass der amtierende Bürgermeister und LV-Spitzenkandidat Aivars Lembergs im Februar wegen Bestechung, Geldwäsche, unerlaubten Firmenbeteiligungen, Besitzverschleierung und Dokumentenfälschung zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde (LP: hier). Seitdem hält er sich etwa 200 Kilometer von Ventspils entfernt auf: im Rigaer Zentralgefängnis. Offenbar hat die Ratsmehrheit die Absicht, ihn abermals zum Bürgermeister zu wählen, ein Amt, das Lembergs noch als KP-Funktionär in den Tagen der Sowjetunion antrat. In Ventspils gehen die Uhren eben anders. Sogar das Neujahr wird hier nicht zur lettischen, sondern zur besonderen Ortszeit begrüßt. Eigentlich hatten Richter Lembergs schon vor Jahren untersagt, den Posten des Bürgermeisters auszuüben. Doch in der Stadt an der Venta-Mündung hielt sich niemand daran. Es fragt sich nun, ob Lembergs seine Stadt hinter Gittern in Homeoffice regieren kann. Denn die Benutzung des PC ist den Insassen des Zentralgefängnisses untersagt (lsm.lv). Vielleicht muss nun seine Frau Kristine einspringen, auch sie wurde in den Stadtrat gewählt.


 

Stärkste Fraktionen in den größten Städten:

 

Daugavpils

Saskana

42,25%

Liepaja

Liepajas Partija

41,19%

Jelgava

ZZS

32,27%

Jurmala

ZZS

50,56%

Ventspils

Latvijai un Ventspilij

54,32%

In der ostlettischen Stadt Daugavpils wurde wieder die sozialdemokratische Saskana stärkste Fraktion. Sie gilt als Vertreterin der russischsprachigen Einwohner. In Liepaja und Ventspils gewannen Stadtparteien. Die gemäßigt nationalkonservative ZZS, die derzeit in der Saeima die Oppositionsbänke drückt, hatte sowohl in einigen Städten als auch auf dem Land Erfolg.


Auch in anderen lettischen Städten erhielten langjährige Bürgermeister die Mehrheiten für eine weitere Amtszeit: In Jelgava Andris Ravins, in der Stadt (nicht im Kreis) Rezekne Aleksandrs Bartasevics und in Jurmala der ZZS-Politiker Gatis Truksnis, der ebenfalls eine skandalbehaftete politische Karriere aufweist. “Menschen mögen keine Veränderungen,” kommentierte Politikwissenschaftler Filips Rajevskis Truksnis` Wiederwahl (lsm.lv). Jurmala sei eines der typischsten Beispiele. Dort hatten die Einwohner sich vor Truksnis ständig mit politischem Wechsel und Korruptionsaffären auseinanderzusetzen. Rajevskis fand eine eigenartige Erklärung für die geringe Wahlbeteiligung: Es habe zu wenig Show und Intrigen gegeben. Er bezweifelt, ob Witterungsverhältnisse oder die Gemeindereform den Gang zur Urne verhinderten. Die Menschen hätten keine besonderen Einwände gegen die Zusammenlegung der Gemeinden gehabt. Jene, die zur Wahl gingen, seien größtenteils wirtschaftlich aktive Bürgerinnen und Bürger gewesen, denen es nicht einerlei sei, was im kommunalen Leben geschieht. Mehr Städter als Landbewohner haben sich beteiligt. Rajevskis schließt nicht aus, dass das Fernbleiben auf dem Land ein Protest gegen schlechte Infrastruktur gewesen sein könnte. Insgesamt sei der Wähler sehr konservativ vorgegangen: “Alle fühlen sich gut, dafür zu stimmen, was ist. Ruhe.” Rajevskis bietet allerdings nur einen Teil der Erklärungen. In Umfragen zeigen lettische Bürgerinnen und Bürger eine besonders ausgeprägte Parteienskepsis.

UB 

 




 
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