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Lettland: Viele Corona-Schutzbestimmungen bleiben in Kraft
10.06.2020


Opposition kritisiert mangelndes Gleichgewicht zwischen Unternehmern und Lohnabhängigen

Kucinskis und Reizniece-OzolaErst mal die gute Nachricht für alle Schnapsdrosseln: Auch nach Beendigung des Ausnahmezustands am 9. Juni 2020 dürfen alkoholische Getränke weiterhin im Internet gehandelt werden, zumindet noch bis zum Jahresende. Das war vor der Pandemie in Lettland verboten. Nach lettischem Gesetz darf die Regierung, wenn die Sicherheit des Landes bedroht ist, bis zu drei Monaten den Ausnahmezustand verhängen. Dieser Zustand, über den ein Krisenrat entscheiden musste, verlieh ihr beim Ausbruch der Pandemie zahlreiche Vollmachten: Das Ministerkabinett durfte ab dem 12. März kommunale Befugnisse außer Kraft setzen und die Rechte der Bürger einschränken. Sie fasste Beschlüsse, die normalerweise der Zustimmung des Parlaments bedurft hätten. Am 5. Juni beschloss die parlamentarische Mehrheit der Fünf-Parteien-Koalition, mehrere Covid-19-Gesetze im Eilverfahren durch die Saeima zu bringen. Auch nach dem Ende des Ausnahmezustands bleibt die Regierung gestärkt und das Parlament geschwächt. Der Gesetzgeber lockerte zwar die Ausgangs- und Kontaktsperren, doch Kinder, Angestellte, Kunden, Besucher, Demonstranten, Fahrgäste, Touristen und Geschäftsreisende müssen noch so manche Corona-Schutzbestimmungen beachten.

Saeima-Sitzung vom 5. Juni im Corona-Modus: Die Abgeordneten, hier die ZZS-Politiker Maris Kucinskis und Dana Reizniece-Ozola, tagen in separaten Räumen und reden über PC. Foto: Ernests Dinka, Saeima

Seitdem die lettische Regierung die Quarantänepflicht für Einreisende aus den meisten EU-Ländern (auch den deutschsprachigen) am 3. Juni aufgehoben hat, ist Lettland wieder zu Lande, zu Wasser und über Luft erreichbar. Doch diese Information kann nur ohne Gewähr erfolgen. Beispielsweise müssten Busreisende sich erkundigen, ob Polen und Litauen ihre Grenzen tatsächlich am Freitag für Transitreisende öffnen. Weitere Informationen zur Reisesituation finden Sie auf der Webseite der Deutschen Botschaft: riga.diplo.de. Bei steigenden Infektionszahlen kann die Regierung die Einreisebestimmungen wieder verschärfen.

In Lettland sind im öffentlichen Leben noch zahlreiche Corona-Regeln zu beachten (lsm.lv):

  • Weiterhin müssen Fahrgäste in öffentlichen Verkehrsmitteln Masken tragen.
  • Öffentliche Einrichtungen wie Museen, Theater, Bibliotheken, Archive, Konzerthallen, Freilichtbühnen und Kulturzentren dürfen von 6.30 Uhr bis Mitternacht geöffnet bleiben, Kneipen und Cafés bis zwei Uhr morgens.
  • Zwischen den Kunden soll in Lokalen oder Geschäften ein Zwei-Meter-Abstand eingehalten werden.
  • Innerhalb eines Lokals dürfen nur vier Gäste an einem Tisch sitzen, vor dem Lokal acht. Zwischen den Tischen ist der Mindestabstand von zwei Metern zu beachten. Pro Gast muss eine 4m² große Fläche berechnet werden. Bei drohender Überfüllung sind Gäste und Kunden abzuweisen.
  • Unternehmer müssen Personal und Kunden über Hygienemaßnahmen informieren.
  • Bis Ende Juni dürfen sich in Räumen nicht mehr als 100 Personen versammeln, im Freien nicht mehr als 300. Die Versammlungsbeschränkungen sollen im Juli und August weiter gelockert werden. Ligo-Feiern werden also in diesem Jahr nur im kleinen Rahmen stattfinden.
  • Organisatoren von Veranstaltungen und Demonstrationen müssen bei Anträgen erklären, wie sie den epidemiologischen Schutz gewährleisten.
  • Behörden bieten wieder persönlichen Kundenservice. Allerdings werden Auskunftssuchende gebeten, vorrangig die digitalen Angebote zu nutzen.
  • Ferienlager bis zu 30 Kindern sind gestattet. Kinder müssen aber sieben Tage vor der Fahrt ein ärztliches Attest einreichen, ein Covid-19-Test ist nicht erforderlich.
  • Sport-Training und -Wettkämpfe mit bis zu 30 Personen sind draußen und in Innenräumen über 1000 m² wieder erlaubt.
  • Ärzte entscheiden darüber, ob die Beratung der Patienten per Internet erfolgen kann oder ob ein Besuch in ihrer Praxis notwendig ist. Beratungen über das Internet sind für Patienten kostenlos.
  • Ärzte, Lehrer und Mitarbeiter von Sozialzentren, die an einer gefährlichen Infektion (nicht nur Covid-19) erkrankt oder Kontaktpersonen von derartig Erkrankten sind, dürfen nicht zur Arbeit erscheinen und müssen ihren Chef informieren.
  • Sozialzentren dürfen Bedürftige nur aufnehmen, wenn epidemiologische Vorkehrungen getroffen wurden.
  • Covid-19-Tests werden weiterhin auf Staatskosten durchgeführt. Vom 10. bis 30. Juni können sich auch Personen testen lassen, die symptomfrei sind.

Auch die Regierung tagt weiterhin über Videokonferenzen. Der Gesetzgeber hat ihr am 5. Juni zahlreiche Vollmachten eingeräumt. Das Ministerkabinett darf nach wie vor religiöse, kulturelle und sportliche Aktivitäten oder Versammlungen beschränken, über Schulen, digitalen Fernunterricht und die gesundheitliche Versorgung entscheiden. Sie darf weiterhin Unternehmer und Lohnabhängige unterstützen. Staatliche und kommunale Behörden dürfen Unternehmen und Organisationen Steuern stunden und Mieten verringern. Diese Sonderrechte der Exekutive bleiben in Kraft, solange eine Covid-19-Bedrohung besteht, also auf unbestimmte Zeit. Die Parlamentarier haben lediglich das Recht, dreimal monatlich von der Regierung über die aktuelle Situation informiert zu werden.

Die Gesetze wurden im Eilverfahren nach verkürzter Debattenzeit in erster Lesung beschlossen (saeima.lv). Besonders strittig war die Befugnis des Finanzministers, ohne Zustimmung des Parlaments Kredite aufzunehmen und den staatlichen Schuldenstand zu erhöhen. Zwar rät wohl eine Mehrheit unter den Wirtschaftswissenschaftlern zu erhöhter Staatsverschuldung. Das Vorrecht des Finanzministers rührt jedoch an das traditionelle Vorrecht des Parlaments, über den Staatshaushalt zu entscheiden. Regierungsverteter beschwichtigen: Der Minister müsse den Saeima-Haushaltsausschuss konsultieren und benötige dessen Zustimmung.

Oppositionsabgeordnete beklagten, dass die Regierung versuche, die Krise auf Kosten der Lohnabhängigen zu bewältigen. Saskana-Abgeordnete beantragten, Paragraphen, die die Situation von Arbeitern und Angestellten verschlechtern, zu streichen. Ex-Finanzministerin Dana Reizniece-Ozola (Union der Grünen und Bauern, ZZS) erinnerte in dieser Debatte daran, dass Karins` Kabinett noch Ende letzten Jahres Dauer und Höhe der Arbeitslosenunterstützung gekürzt hatte (LP: hier). Das Gleichgewicht zwischen Unternehmern und Lohnabhängigen sei gestört. Regina Locmele-Lunova (Saskana) pflichtete ihr bei. Die Rechte der Lohnabhängigen seien unter verschiedenen Gesichtspunkten beschränkt worden. Zudem kritisierte sie die Corona-Regelung, welche Unternehmer berechtigt, die Löhne der Beschäftigten um 70 Prozent zu verringern oder, falls das nicht akzepiert werde, sie zu entlassen. Außerdem bemängelte sie, dass nicht alle beschäftigungslose Mitarbeiter und Selbstständige ein Recht auf Kurzarbeitergeld hätten.

Für Locmele-Lunova ist der Ausnahmezustand noch längst nicht vorbei. Die Regierung bemühe sich in keinerlei Weise, die Wirtschaft zu unterstützen, sie unterstütze lediglich das Big Business, aber keine kleinen Unternehmen und im noch minderen Maß die Lohnabhängigen. Juris Rancans (Neue Konservative Partei, JKP) verteidigte die Gesetze der Regierung. Darüber habe es in der Saeima-Kommission lange Debatten gegeben, doch man sei zu dem Schluss gekommen, dass man die Unternehmer unterstützen müsse, damit sie die Möglichkeit haben, ihre Auszahlungen zu optimieren. Falls es keine Unternehmen mehr gäbe, hätten auch die Beschäftigten keine Arbeit mehr. Der Antrag der Opposition fand keine Mehrheit.




 
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