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Lettland: Weiter Streit um Gehälter für Ärzte- und Pflegepersonal
26.02.2020


Ombudsmann Juris Jansons hält gebrochene Gehaltszusagen des Gesetzgebers für verfassungswidrig

Medizinerproteste vor der SaeimaIm letzten Jahr publizierten die investigative Redaktion “re:baltica” und darauf der staatliche Rechnungshof brisante Zahlen. Sie verdeutlichten den Fachkräftemangel im lettischen Gesundheitsbereich. Derzeit fehlen in Lettland bereits 1.500 Pflegekräfte, die Zahl könnte sich bis 2025 auf 3.200 erhöhen. 43,5 Prozent der Ärzte und 35 Prozent der Pflegekräfte - meistens Krankenschwestern - sind älter als 56 Jahre. Von den Pflegerinnen und Pflegern hat ein Drittel noch einen Zweitjob. Sie sind mit Arbeit überlastet und das geringe Gehalt in den staatlichen Krankenhäusern verleiht dem Personal nur wenig gesellschaftliche Anerkennung (LP: hier). Noch 2009 plante die damalige Regierung, die Gehälter im Gesundheitsbereich deutlich anzuheben: Ärzte sollten das 2,5fache des lettischen Durchschnittsgehalts verdienen, Pflegekräfte 60 Prozent vom Ärztegehalt, Sanitäter 40 Prozent. Doch statt dessen setzten lettische Regierungen in Folge der Finanzkrise drastische Kürzungen durch und die medizinische Versorgung blieb bis heute eine schlecht bezahlte und unattraktive Branche. Inga Vavara, Abteilungsleiterin des Rechnungshofs, bezifferte den Mangel: Jedes Jahr werden 30 Prozent weniger Pflegekräfte ausgebildet, als notwendig wären; nur etwas mehr als die Hälfte von ihnen arbeitet nach dem Abschluss in lettischen Krankenhäusern, die übrigen bevorzugen Jobs in der besser bezahlten Privatwirtschaft, zum Beispiel in Schönheitssalons, oder gehen gleich ins Ausland (lsm.lv). Nach langjährigen Verhandlungen zwischen Regierungen und Gewerkschaftern schien im letzten Jahr der Durchbruch erzielt: Die Parlamentarier beschlossen deutliche Gehalterhöhungen bis zum Jahr 2021. Doch dann weigerte sich das neue Kabinett des Ministerpräsidenten Krisjanis Karins, die gesetzliche Zusage zu erfüllen und stellte im Budget des laufenden Jahres nur die Hälfte des zusätzlich benötigten Geldes zur Verfügung. Gewerkschafter der Branche sehen sich betrogen und reagieren auf weitere Gesprächsangebote der Regierung mit Misstrauen. Juris Jansons, der Ombudsmann für Menschenrechte, schrieb den Saeima-Abgeordneten am 17. Februar 2020 einen 19seitigen Brief. Er forderte die Parlamentarier auf, bis zum 1. Juni das Gesetz wieder zu ändern und die ursprünglich vorgesehene Gehaltserhöhung zu beschließen, sonst werde er vor dem Verfassungsgericht klagen.

Protestaktion der lettischen Ärztinnen und Pflegekräfte vor der Saeima, Foto: LP

Um die stufenweise geplante Gehaltserhöhung zu finanzieren sah der Gesetzgeber für 2020 zunächst eine Steigerung des Gesundheitsbudgets um 119 Millionen Euro vor. Doch das neue Ministerkabinett ließ im November von den Parlamentariern einen Haushaltsentwurf beschließen, der nur noch die Hälfte dieser Summe vorsah. Gewerkschafter protestierten und verlangten die Auflösung des ihrer Auffassung nach widerrechtlich agierenden Parlaments, das erst im Oktober 2018 gewählt worden war (LP: hier).

Juris Jansons, Ombudsmann für Menschenrechte, schloss sich dieser Kritik an; auch er hält die nicht gehaltene Zusage der Parlamentarier für verfassungswidrig. In der Schrift seines Büros findet sich eine ausführliche rechtliche Begründung, in der unter anderem die Misere des lettischen Gesundheitssystems beschrieben wird: “Eines der wesentlichen Probleme des Gesundheitsbereichs ist der Mangel an notwendigem Fachpersonal zur Sicherung der medizinischen Versorgung, der mit einer nicht hinreichenden Anzahl von Krankenschwestern, einem Missverhältnis von Ärzten und Krankenschwestern, einem nicht hinreichenden Gehaltsniveau, Überalterung des Personals und ausbleibendem Generationswechsel verbunden ist. Die Migration des medizinischen Personals im Kontext der EU ist eines der wesentlichen Probleme im Bereich der Personalplanung. Wegen der hohen Qualität der medizinischen Ausbildung und den geringen Gehältern ist Lettland schon seit mehreren Jahren in der Position einer Ärzte-Export-Nation.” (tiesibsargs.lv) Die Saeima habe als Staatsorgan die Verpflichtung, die Grundrechte im Gesetzgebungsverfahren zu beachten. “Wenn der Gesetzgeber die eigenen Gesetze nicht respektiert, die er selbst beschlossen hat, verstößt er gegen das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit.”

Wieder einmal reagiert das Gesundheitsministerium mit Gesprächsangeboten. Ministerin Ilze Vinkele hatte der Lettischen Gewerkschaft für die Beschäftigten in der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung (LVSADA) zu einem Think Tank geladen, doch deren Vorsitzender Valdis Keris lehnte ab. Er kommt zu einem skeptischen Fazit: “Tatsächlich erweist die bisherige Tätigkeit des Arbeitskreises eher die fügsame Erfüllung politischer Vorgaben.” Bereits in den Jahren 2005 und 2006 hätten die Regierungen das Durchschnittsgehalt des medizinischen Personals im Verhältnis zur gesamten Volkswirtschaft festgelegt. “Und man muss hinzufügen, dass im Gegensatz zu diesem sogenannten Think Tank diese Tatsache dem Rechnungshof nicht entging, der das in seiner Revision analysierte und dessen Folgerungen für die Regierung wenig schmeichelhaft sind.”

Ministerin Vinkele, die sich an Keris` Stellvertreterin und nicht direkt an ihn gewandt hatte, wirft ihm sowjetische Denkart vor: “Meiner Ansicht nach hat Herr Keris seine Lektionen aus sowjetischer Zeit gut gelernt, als eines der Elemente öffentlicher Gewerkschaftsrhetorik war: `Ich habe nichts gelesen, aber ich habe eine Meinung`. Herr Keris hat sich nicht mit der Zeitverschwendung belastet, an diesem Think Tank teilzunehmen, doch er hat eine Meinung darüber, was er weder gesehen, noch gehört hat und wo er nicht anwesend war.” (lsm.lv) Die Politikerin Vinkele (Attistibai/Par) steht selbst unter Druck. Sie hatte sich dafür eingesetzt, dem medizinischen Personal die vollen Gehaltserhöhungen auszuzahlen, doch Ministerpräsident Krisjanis Karins (Jauna Vienotiba) griff ein und kritisierte ihre Arbeit (LP: hier).




 
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