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Lettische Regierung verkündet Ausnahmezustand über Rigaer Müllentsorgung
12.09.2019


Die inszenierte Konkurrenz mit unterschiedlichen Firmennamen

Müllcontainer in RigaUm es vorwegzunehmen: Riga ist bislang eine recht saubere Stadt, nicht zu vergleichen mit manchen italienischen Kommunen, in denen sich zuweilen Abfallhaufen auf den Straßen türmen, weil sich die Mafia ins profitable Geschäft mischt (youtube.de). Die Deals mit dem „Wertstoff“, wie Müll sich mittlerweise schick bezeichen darf, sind allerdings auch in Riga mit rätselhaften Entscheidungen verbunden. Die Einwohner der lettischen Hauptstadt fragen sich derzeit, wer in naher Zukunft zu welchem Preis ihre Müllcontainer leeren wird. Ab 15. September 2019 sollte ein neues Firmenkonsortium sich darum kümmern. Doch wenige Tage zuvor untersagte die Kartellbehörde diesen Wechsel. Nun ist die Lage juristisch unklar. Deshalb verkündete die lettische Regierung am 12. September über Rigas Müllentsorgung den Ausnahmezustand.

Müllcontainer in Riga, Foto: LP

Juris Puce, Minister für Umweltschutz und regionale Entwicklung, zu dessen Aufgaben gehört, kommunale Entscheidungen zu überprüfen, hatte das Ministerkabinett am 11. September 2019 gebeten, den Ausnahmezustand zu beschließen. Zwar drohen ab nächster Woche keine italienischen Verhältnisse in Riga, doch es bleibt unklar, auf welcher juristischen Grundlage der Abfall demnächst entsorgt wird.

Am Sonntag läuft der Vertrag mit den vier bisherigen Entsorgern aus und er kann nicht verlängert werden, weil das Verfassungsgericht seit Jahren Änderungen forderte, die die Rigaer Stadtregierung nicht vornahm. Nächste Woche sollte das neu gebildete Firmenkonsortium namens „Tiriga“ die Aufgabe auf neuer rechtlicher Basis übernehmen. Jeder Hausbesitzer in der lettischen Hauptstadt wurde aufgefordert, mit diesem Unternehmen einen Vertrag zu schließen. Die Unterschrift bedeutete, bis zu 40 Prozent höhere Gebühren zu akzeptieren. Tiriga begründete die drastische Preissteigerung mit erhöhten Anforderungen an Mülltrennung und Recycling. Der Vertrag hat eine Laufzeit über 20 Jahre.

Ein prominenter Einwohner widersetzte sich: Staatspräsident und Jurist Egils Levits verkündete im Fernsehinterview, den Vertrag nicht zu unterschreiben, weil ein Monopol nichts Gutes bedeute und man versuchen müsse, Konkurrenz zu wahren (lsm.lv). Wenige Tage später gab ihm die lettische Kartellbehörde recht (kp.gov.lv).

Ministerpräsident Krisjanis Karins (Jauna Vienotiba) zeigte sich verärgert über die Rigaer Stadtregierung, die von seinen politischen Gegnern, den Parteien Saskana und Gods kalpot Rigai, gebildet wird. Er macht die städtischen Vertreter für die entstandene Situation verantwortlich. „Rigas Stadtrat gestaltet stillschweigend ein Monopol,“ beklagt Karins. Nun untersagt es die Kartellbehörde und die Stadt müsse damit zurechtkommen. Dass sie die Verantwortung nun auf die lettische Regierung abschiebe, nannte der Regierungschef eine „Frechheit“ (lsm.lv).

Ebenso wie Puce hatte zuletzt auch Rigas Bürgermeister Olegs Burovs von der Regierung gefordert, den Ausnahmezustand zu verkünden, denn die Kartellbehörde schien für ihn das Unmögliche zu verlangen, nämlich die Verträge mit Tiriga zu kündigen und zugleich die Zusammenarbeit mit den bisherigen vier Entsorgern fortzusetzen. Doch die städtischen Juristen hätten darauf hingewiesen, dass dies aufgrund gesetzlicher Bestimmungen nicht möglich sei. Am Mittwochmorgen hatte Burovs das zögerliche Verhalten des Ministerkabinetts beklagt, das die weiteren Planungen der Stadt behindere.

Skaidrite Abrama, Leiterin der Kartellbehörde, kritisierte wiederum die städtische Abfallpolitik. Das derzeitige Szenario der öffentlich-privaten Partnerschaft Rigas sei ein „Damoklesschwert“. Es beende in dieser Branche die Marktwirtschaft. „Es ist vorhersehbar, dass ohne Konkurrenz die Dienstleistungen langfristig nur teurer werden, das wird jeder Einwohner der Hauptstadt zu spüren bekommen.“ (delfi.lv)

Am 11. September traf sich das Ministerkabinett zur außerplanmäßigen Sitzung, um das drohende Abfallchaos zu verhindern. Zunächst schienen die Minister wegen juristischer Bedenken ihre Entscheidung zu vertagen, doch am Abend beschlossen sie dann doch den Ausnahmezustand. Nun können zwei der bisherigen Firmen, Eco Baltia Vide und Clean R, ihre Arbeit vorläufig ohne vertragliche Grundlage fortsetzen. Die beiden deckten bislang bereits 88 Prozent der Rigaer Müllentsorgung ab. Burovs versichert, dass die Müllentsorger nächste Woche die Gebühren nicht erhöhen werden.

Für Premier Karins ist damit die Welt nicht wieder in Ordnung. Er sieht in Riga Anzeichen einer Kartellbildung. Wenn zwei Firmen, die sich schon zum Konsortium Tiriga zusammentaten, nun die Arbeit fortsetzen, sehe er keine Konkurrenz: „Faktisch besteht dieses Monopol schon,“ ein Konkurrent sei bereits aus dem Markt gedrängt, fügte Karins hinzu.

Nach der neoliberalen „Privat-vor-Staat“-Ära ist inzwischen umstritten, ob öffentliche Daseinsvorsorge, zu der die Abfallwirtschaft gehört (difu.de), vom Markt zugunsten aller Einwohner optimal geregelt werden kann. Eine Stadt muss solche finanziell aufwändigen Dienstleistungen für einen langfristigen Zeitraum ausschreiben. Jene Entsorger, die den Auftrag übernehmen, haben weitgehende Befugnisse über Löhne, Gebühren und Qualität (In Sachen Mülltrennung und Recycling ist Riga weit im Rückstand).

Im Gegensatz zu kommunalen Betrieben können Privatunternehmen längerfristig nur existieren, wenn sie - möglichst steigenden - Gewinn erwirtschaften. Dieser lässt sich vergrößern, indem man entweder an den Lohnkosten spart und die Qualität verringert oder die Gebühren erhöht. Auch wenn sich mehrere Unternehmen längerfristig den Markt teilen, ist die beklagte Kartellbildung, also Preisabsprachen zwischen den kooperierenden Firmen, kaum zu vermeiden. Die Vorstellung, dass sich unter solchen Umständen ein Markt herausbilden kann, der zu Konkurrenz und geringen Gebühren führt, erscheint ziemlich unrealistisch.

In Lettland ist die private Abfallwirtschaft ein lohnendes Geschäft. Wie auf vielen Märkten täuschen verschachtelte und kooperierende Firmen eine konkurrierende Vielfalt vor, die in Wirklichkeit nur von wenigen Besitzern betrieben wird. Zwischen 2014 und 2018 erhöhte sich der Gewinn der Branche nach Steuern von 3,66 auf 10,88 Millionen Euro. Der größte Entsorger ist Clean R, der im letzten Jahr 33,37 Millionen Umsatz erwirtschaftete (lsm.lv). Clean R hat die Abfallentsorgung vollständig oder teilweise in 15 Städten und Gemeinden, unter anderem in Riga und Jurmala, übernommen.

Clean R gehört dem Unternehmer Guntars Kokorevics, der 2012 von Andris Skele die private Abfallwirtschaft erwarb. Skele war einst Ministerpräsident und Parteigründer, der nebenbei seine Privatgeschäfte betrieb und Firmen in verschiedenen Branchen gründete. Skele wird von seinen Kritikern als Oligarch bezeichnet. Neben Clean R ist Kokorevics Besitzer oder Mehrheitseigner von sechs weiteren Entsorgungsbetrieben. Er ist auch Hauptprofiteur des neuen Konsortiums Tiriga.

Dazu stellt die Lsm.lv-Redaktion fest: „Im Fall, dass der AS `Tiriga` die Abfallbewirtschaftung in Riga übertragen wird, werden faktisch die beiden größten Abfallbewirtschafter der Hauptstadt, SIA `Eco Baltia vide` und SIA `Clean R` ihre Arbeit fortsetzen - nun allerdings als Teil der AS `Tiriga`.“ Der neue Name von ohnehin kooperierenden Firmen ist anscheinend nur ein Manöver, um den Einwohnern Preiserhöhungen abzuverlangen und Konkurrenten zu verdrängen, denn die kleineren Entsorger SIA Pilsetas serviss und SIA Lautus, die bisher in Riga mitwirkten, haben ihren Rückzug erklärt, zum Teil hatten sie schon Angestellte entlassen. Egal, ob die Rigenser demnächst von Clean R und Eco Baltia vide oder von deren Gemeinschaftsunternehmen CREB oder doch vom Konsortium Tiriga bedient werden: Es bleiben dieselben Müllwerker mit denselben Fahrzeugen und Kokorevics wird Hauptprofiteur bleiben.

Unter den Einwohnern weckte die diktierte Preiserhöhung den Bürgersinn. Die Kartellbehörde bedankte sich bei „allen aktiven Einwohnern“ für Unterstützung und Informationen, die sie in den letzten Monaten über die Vertragsbedingungen Tirigas geliefert hätten. „Ihre Klagen bekräftigen, dass unter den Umständen, unter denen effektive Konkurrenz beseitigt wird und an deren Stelle ein Monopol entsteht, Verbraucher und die Gesellschaft im Ganzen die Verlierer sind.“ (kp.gov.lv). Insbesondere die Nachbarschaftinitiative Rigas Akaimju alianse hatte sich engagiert. Die Aktivisten lobten wiederum Abrame, die Leiterin der Behörde, weil sie Rückgrat gezeigt habe. Doch der Kampf sei noch nicht beendet, denn Tiriga könne doch noch durch die Hintertür kommen, um die Preise zu erhöhen. (facebook.com)




 
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