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Saeima beschließt den Abriss des sowjetischen Siegesdenkmals in Riga-Pardaugava
13.05.2022


Nationale Allianz fordert wegen russlandfreundlicher Versammlungen zum 9. Mai die Entlassung der Innenministerin Marija Golubeva

Das sowjetische Ehrenmal für die Sieger über den Faschismus, Foto: Kalnroze, Neaizsargâts darbs, Saite

Der lettische 9. Mai 2022 hat Folgen. Zum strittigen Jahrestag des sowjetischen Kriegsendes versammelten sich trotz Verbots mehrere hundert Menschen am Siegesdenkmal in Riga-Pardaugava und legten dort Blumen nieder. Letten sehen darin eine Verherrlichung der sowjetischen Okkupationszeit und neuerdings auch eine Zustimmung zu Russlands Krieg gegen die Ukraine. Vertreter russischsprachiger Einwohner werten den Tag dagegen als Sieg der Sowjetunion über Nazi-Deutschland. Die mitregierende Nationale Allianz wirft nun der Innenministerin Marija Gobuleva (Attistibai/Par!) vor, die Versammlungen nicht verhindert zu haben und verlangt deren Entlassung. Am 12. Mai 2022 beschloss die Saeima, den Vertrag mit Russland einseitig auszusetzen, der Lettland zum Erhalt des Denkmals verpflichtet (saeima.lv). Ab dem 16. Mai 2022 ist das Bauwerk aus den 80er Jahren zum Abriss freigegeben.


“Denkmal für die sowjetischen Soldaten - den sowjetischen Befreiern Lettlands und Rigas von den faschistischen Angreifern” - so lautet der offizielle Titel der von pathetischen Figuren umgebenen 79 Meter hohen Betonsäule. Trotz Verbots und Absperrungen kamen hier am 9. und 10. Mai mehrere hundert Menschen zusammen und gedachten dem Kriegsende von 1945. Die Polizei hatte zugesagt, keine Ansammlungen zuzulassen; aber sie forderte die Menge nicht auf, sich zu zerstreuen. Die Beamten griffen nur bei Provokationen ein. So führten sie jemanden zur Wache ab, der Blumen zertrat und deshalb von den Umstehenden bedroht wurde. Die Ordnungshüter verzichteten darauf, Jugendliche in der Menge zu verfolgen, die russische Fahnen schwenkten. Aus den Medienberichten ist nicht zu entnehmen, ob Bekundungen zur heutigen russischen Armee und zu Russlands Krieg Einzelfälle oder eine allgemeine Erscheinung waren. Die Polizisten wollten offenbar die Situation nicht eskalieren lassen und verzichteten darauf, die Versammlungen gewaltsam aufzulösen. Wie gemeldet, nahm die Polizei in Riga etwa 20 Personen im Zusammenhang mit den Ereignissen zum 9. Mai fest (LP: hier). Nach ihren Angaben sei sie bereit gewesen, auf den Gebrauch von Symbolen, die militärische Aggression und Kriegsverbrechen rühmten, jederzeit zu reagieren. Zur Emotionalisierung und zum Streit, der im Internet ausgetragen wurde, trug zudem bei, dass der arrangierte Blumenteppich am Fuße des Denkmals bereits am nächsten Tag mit Traktoren entfernt wurde.


Dass sich überhaupt russisch orientierte Demonstranten einfanden, wird nun in der lettischen Öffentlichkeit skandalisiert. Ministerpräsident Krisjanis Karins (Jauna Vienotiba) twitterte am Dienstagabend, nachdem sich Menschen zum zweiten Mal versammelt hatten, dass die Kundgebung ebenso eine Missachtung der lettischen Staatlichkeit und der historischen Erfahrung darstelle wie der Opfer des russischen Angriffs auf die Ukraine (lsm.lv). Karins verlangte auf diesem Weg von seiner Ministerin Golubeva eine Erklärung und fügte hinzu: “Das, was sich heute ereignet hat, ist nicht zu rechtfertigen.” Raivis Dzintars, Fraktionsvorsitzender der Nationalen Allianz (NA), steigerte den Druck auf Golubeva mit einer Presseerklärung: “Das, was am 9. und 10. Mai jeder Lettland loyale Mensch gezwungen war, in seinem Land zu erleben, ist nicht hinnehmbar. Das können wir nicht als alltäglichen Zwischenfall betrachten, bei dem die politische Verantwortung auf symbolischer Kritik und dem Versprechen, sich zu bessern, begrenzt bleibt. Man muss alles mögliche tun, damit sich diese Situation niemals wiederholt.” Inzwischen fordert die NA, die selbst mitregiert, die Entlassung der liberalen Ministerin und droht, die Koalition zu verlassen, wenn ihre Meinung übergangen wird.  


Das Denkmal ist der zentrale Identifikationsort der russischsprachigen Minderheit. Die Blumenteppiche, die sich zum 9. Mai auf seinem Fundament bilden, sind vergleichbar mit jenen, die an lettischen Festtagen am Nationaldenkmal zu sehen sind, das sich symmetrisch auf der anderen Seite der Daugava in der Rigaer Innenstadt befindet. Russischsprachige feierten alljährlich ein buntes Volksfest, das keine Ähnlichkeit mit der formierten und uniformierten Veranstaltung aufwies, die an diesem Tag in Moskau stattfindet. Die Feiern zum 9. Mai konnten allerdings auch mit Protesten gegen die lettische Politik verbunden sein, zum Beispiel 2004, als erstmals ein Gesetz verabschiedet wurde, das den Gebrauch des Russischen als Unterrichtssprache an den Minderheitenschulen einschränkte.


Die Tage des Bauwerks sind offenbar gezählt, mit dem sich eine Minderheit identifiziert, aber das eine Mehrheit verärgert. Für lettische Nationalisten stellt es seit jeher ein Ärgernis dar. Rechtsextremisten versuchten im Juni 1997 vergeblich, es in die Luft zu sprengen; zwei von ihnen kamen ums Leben. Mehrmals starteten Initiatoren den Versuch, Regierung und Saeima zum Abriss zu bewegen. Bislang wiesen die Verantwortlichen darauf hin, dass Lettland durch den internationalen Vertrag mit Russland gebunden sei; daran könne auch das Parlament nichts ändern. Trotz seiner Unbeliebtheit unter den Letten fand sich 2019 laut einer Umfrage, die die lettische Wikipedia zitiert, in der Bevölkerung keine Mehrheit für die endgültige Beseitigung. 41 Prozent sprachen sich für den Erhalt aus, 36 Prozent für den Abriss und 15 Prozent wünschten eine Verlegung des Denkmals (lv.wikipedia.org). Doch nun, wo Russland Krieg in der Ukraine führt, sehen sich lettische Politiker nicht mehr am Vertrag mit der Russischen Föderation gebunden. Am 12. Mai 2022 stimmten 68 von 100 Parlamentariern dafür, ihn einseitig aufzuheben und das Denkmal zum Abriss freizugeben. 18 Abgeordnete, überwiegend Politiker der Oppositionspartei Saskana, die als Vertreterin der russischsprachigen Minderheit gilt, stimmten dagegen (lsm.lv).


Rihards Kols, NA-Abgeordneter, überging den eigentlichen Zweck des Denkmals und verklammerte dessen Bedeutung mit dem derzeitigen russischen Vorgehen: „Das Bild und die Symbolik der sowjetischen Armee ist nun doch untrennbar mit der russischen Aggression und den Verbrechen seiner bewaffneten Streitkräfte in der Ukraine verbunden. Das Siegesdenkmal und ähnliche Bauten in ganz Lettland sind zum Katalysator für die postsowjetische Nostalgie den im Milieu russischer Medien lebenden Teil der Gesellschaft geworden. Andererseits wertet der größere Teil der Gesellschaft es als Okkupationssymbol.“


Der Saskana-Abgeordnete Igors Pimenovs erinnerte in der Saeima-Debatte daran, dass das Denkmal nicht zu Ehren des russischen Angriffs auf die Ukraine errichtet wurde; die Rote Armee habe Lettland von Hitler befreit; der Siegestag sei nur der Siegestag über die Anhänger Hitlers; es handele sich nicht um ein russisches Denkmal, denn die Rote Armee habe den Menschen verschiedener Ethnien gedient, auch Ukrainern und Letten. Viktors Valanais, Abgeordneter des nationalkonservativen Oppositionsbündnisses der Grünen und Bauern, warnte, dass der Beschluss zum Abriss zu Sicherheitsproblemen und Provokationen führen könne. Damit komme die Regierung nicht zurande, wie die Ereignisse vom 9. und 10. Mai gezeigt hätten. Am Streit um das Denkmal wird der Konflikt zweier entgegengesetzter Erinnerungskulturen sichtbar: Die russisch-antifaschistische gegen die lettisch-antibolschewistische.  


Dennoch wertet Verteidigungsminister Artis Pabriks, der dem liberalen Parteienbündnis angehört, das auch die kritisierte Innenministerin stellt, die Auseinandersetzungen rund um das Siegesdenkmal nicht als ethnischen Konflikt, sondern als Streit zwischen unterschiedlichen Weltanschauungen (nra.lv). Die Ereignisse des 9. und 10. Mais hätten gezeigt, dass ein Teil der Gesellschaft den lettischen Staat nicht annehme, aber sie stellten für Pabriks keine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit dar, verlautbarte er im lettischen Fernsehen. Gegen Handlungen, die russische Propaganda förderten, müsse man mit der ganzen Härte des Gesetzes vorgehen. Pabriks erwies sich in früheren Äußerungen als Befürworter der antibolschewistischen Sicht, die die lettischen SS-Legionäre, die gegen die Rote Armee kämpften, als „Helden“ betrachtet (heise.de).


 Udo Bongartz

 

 

 




 
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