Lettisches Centrum Münster e.V.

   

Lettland mit der Aufnahme von Geflüchteten überfordert
20.05.2017


Ohne Arbeit und Wohnung ist keine Integration möglich

Aufnahmelager MuceniekiLettland hat bislang im Rahmen des EU-Programms zur Verteilung von Geflüchteten 318 Menschen aufgenommen. Davon, so schätzt man, weil Zahlen nicht vorliegen, hat der größte Teil das Land wieder verlassen. Am 19.5.2017 organisierten der lettische Think Tank Providus und die Friedrich-Ebert-Stiftung in Riga eine Konferenz zur Frage, wie die Situation der Asylsuchenden verbessert werden kann. L?va Rauhvargere, LSM-Journalistin, befragte verschiedene Teilnehmer, weshalb sich die lettische Politik und Verwaltung bei diesem Thema schwertun (lsm.lv).

Der lettische Ort Mucenieki, wo sich eine Unterkunft für Asylbewerber befindet, Foto: Saite

Zusagen nur teilweise erfüllt

Geflüchtete haben es schwer, in Lettland eine soziale Existenz aufzubauen, das heißt, sie können von der bislang geleisteten staatlichen Unterstützung weder Arbeit noch Wohnung finden. Jana Muižniece, stellvertretende Staatssekretärin des Sozialministeriums, weist auf Bemühungen des Arbeitsamtes hin, Geflüchtete mit Unternehmern zusammenzubringen. Man kenne die Sprachkenntnisse, Fertigkeiten und Qualifikationen der Betroffenen. Häufig fehlen den Arbeitssuchenden Lettischkenntnisse und bislang finanzierte der lettische Staat zuwenig Sprachkurse. Doch nun gibt es Pläne, Sprachunterricht konkret für den erstrebten Arbeitsplatz anzubieten. Solche Überlegungen sind dringend notwendig, denn bislang haben nur fünf der 318 Geflüchteten eine bezahlte Arbeit. Ebenso schwierig ist es für die Betroffenen, eine Wohnung zu finden. Die staatlichen Unterstützungszahlungen reichen nicht aus.

Eine geflüchtete Person erhält monatlich lediglich 139 Euro, weitere Familienmitglieder 97 Euro. Schon für das Begleichen von Mietkautionen fehlt Geld. Zwar tritt ab 1.6.2017 eine Gesetzesänderung in Kraft, nach der die Zahlungen bei Wohnungssuche für einen Monat verdoppelt werden können, doch Egils Grasmanis, Gründer des privaten Vereins "Ich helfe Geflüchteten" bezweifelt, ob das ausreicht. Die Mitglieder seines Vereins spenden, damit sich die Betroffenen überhaupt eine Bleibe leisten können. Er bewertet die staatlichen Zahlungen prinzipiell als zu niedrig: "Wahrscheinlich werden wir uns mit privaten Unternehmern, Spendern in Kontakt setzen, wir werden versuchen, für einzelne Familien die Wohnkosten zu decken." Für die Konferenz war auch der für Lettland zuständige Vertreter der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR, Marcel Colun, angereist. Er bewertet die lettische Asylgesetzgebung skeptisch, denn nicht alle Bewerber erhalten ein dauerhaftes Bleiberecht, ein Teil erhält nur einen "alternativen Status". Bei diesem ist die Aufenthaltsdauer auf ein Jahr begrenzt. Für viele sei dies ein Stolperstein im Bemühen, sich in die lettische Gesellschaft zu integrieren.

"Wahrscheinlich müsste man diese Befristung überprüfen. Klar, das ist eine Entscheidung der lettischen Regierung, ob dies notwendig ist oder nicht, aber ich denke, dass man den Asylsuchenden solange in Lettland Aufenthalt gewähren müsste, solange ihnen Gefahr in ihrem Heimatland droht." Die Konferenzteilnehmer waren sich einig, dass die lettischen Verantwortlichen noch zu wenig Erfahrung haben. Die Koordination zwischen staatlichen und kommunalen Stellen sowie privaten Hilfsorganisationen funktioniere noch nicht. Im September 2016 machten Geflüchtete Schlagzeilen, die gleich nach der Entlassung aus dem Aufnahmelager in Mucenieki das Weite gesucht hatten: Von 23 anerkannten Asylbewerbern hatten 21 versucht, in Deutschland Obdach zu finden. Allerdings stellten sich die deutschen Behörden stur und die Betroffenen mussten nach Lettland zurückkehren.

Die Aufnahme von Geflüchteten ist in Lettland ein Streitthema. Besonders die rechts gerichtete Nationale Allianz polemisiert dagegen. Sie kann die unangenehmen Erfahrungen der Letten aus der Sowjetzeit aktivieren. Damals ließ die Moskauer Regierung viele russische Arbeiter in den lettischen Großstädten ansiedeln. Das wurde als Versuch gewertet, die lettische Gesellschaft zu `russifizieren`. Nun lässt sich gegen die islamische Kultur agitieren, die nicht zum lettischen Abendland passe. Ein weiteres Problem sind die schwachen Leistungen des lettischen Sozialstaats, der auch die heimische Bevölkerung nur ungenügend unterstützt. Sozial benachteiligte Gruppen lassen sich in dieser Konkurrenzsituation gegeneinander ausspielen. Die lettische Regierung hatte aus populistischen Gründen die Unterstützungszahlungen für Geflüchtete deutlich vermindert, weil sie vorher die kümmerlichen Zahlungen für Rentner und Sozialhilfeempfänger übertraf. Andererseits besteht unter Letten kaum ein Bewusstsein dafür, die desolate Lage im Nahen Osten mit verschuldet zu haben. Die lettische Armee beteiligte sich 2003 am Angriff auf den Irak. Dieser ist eine Ursache für Terror, Krieg und Chaos, die seitdem die Menschen dieser Region ertragen müssen. Mit 318 aufgenommenen Personen hat auch Lettland die Zusage für das EU-Umverteilungsprogramm nur zum Teil erfüllt. Eigentlich hatte die lettische Regierung zugesagt, 531 aus dem Umverteilungsprogramm und zusätzlich 250 neu ankommende Geflüchtete aufzunehmen.


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