Lettisches Centrum Münster e.V.

   

Lettland: Die mehr oder weniger lettischen Lettgaller
29.03.2012


Die Bewohner der ostlettischen Region Latgale (Lettgallen), die an Russland und Weißrussland grenzt, gelten als besonders herzlich und gastfreundlich. Sie unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht vom übrigen Lettland: Im Gegensatz zur Bevölkerung von Kurzeme (deutschbaltisch: Kurland), Vidzeme (Livland) und Zemgale (Semgallen) ist hier die Mehrheit katholisch, weil es lange Zeit unter polnischer Herrschaft blieb. Lettgallen ist historisch ein multikulturelles Gebiet. Früher – vor den Nazi-Massenerschießungen – waren Juden in den lettgallischen Städten die größte Bevölkerungsgruppe. Bis heute bilden Letten mit 44 Prozent nur eine relative Mehrheit unter 39 Prozent Bewohnern russischer, 7 Prozent polnischer und 5 Prozent weißrussischer Herkunft. Zudem bekennen sich viele Ostletten zur eigenen lettgallischen Identität, die sie von den übrigen Letten unterscheidet. So bleibt unklar, ob Lettgallisch nur als ein Dialekt des Lettischen oder als eigene Sprache anzusehen ist. Die lettischen Medien berichten oftmals Betrübliches aus dem Osten: Die ärmste Region des Landes zählt die meisten Erwerbslosen und die höchsten Abwanderungsraten. Bei der Volksabstimmung im Februar waren Lettgaller die einzige Regionalgruppe, die mehrheitlich eine Zweitsprache Russisch befürworteten. Die Sozialwissenschaftlerin Rita Kaša fordert in ihrem Beitrag auf der Webseite politika.lv, dass die Politiker in der Hauptstadt Lettgallen mehr beachten sollten.

Burgruine des Deutschen Ordens im lattgallischen Ludza, Foto: Thomas Grams at de.wikimedia

 

Multikulturelle Eintracht am Rande

Kaša, selbst in der lettgallischen Kleinstadt L?v?ni geboren, fordert eine konsequente Politik, damit sich die ostlettische Bevölkerung als Bürger eines lettischen Staates empfinden können. Dass 56 Prozent Russisch als zweite Staatsprache befürworten, habe die Lettgaller selbst überrascht. Doch die Wissenschaftlerin mahnt zur Differenzierung, die Abstimmungsergebnisse des 18.2.12 seien sehr unterschiedlich. Große Mehrheiten erzielten die Russischbefürworter mit 85 Prozent in der größten Stadt der Region, Daugavpils, wo nur 15 Prozent sich zur lettischen Bevölkerungsgruppe zählen, und mit 60 Prozent in R?zekne. In den ländlichen Regionen war die Zustimmung geringer. Kaša beklagt, dassnur das spezifisch lettgallische Abstimmungsergebnis von Journalisten und Politikern Beachtung finde, hofft aber in Zukunft auf Besserung. Die politischen Gestalter sollten ihre Aufmerksamkeit nicht nur auf die Sprachfrage lenken. Dass R?zeknes Bürgermeister Aleksandrs Bartaševi?s Russisch als offizielle zweite Regionalsprache fordert, solle nicht einziges Thema bleiben. „Man muss hoffen, dass sich die Regierung endlich besinnt und sich der Situation in der östlichen Region und dem Grenzgebiet zuwendet, dass sie hilft, hier einen solchen Lebensraum zu gestalten, der gestattet, sich in Lettland zu befinden, auch in der Zeit der Nachrichtensendungen und nicht einen solchen, in dem man sich die Nachrichten des Kremls anschaut, um die Ereignisse in Lettland zu verfolgen.“ Kaša spricht hier das Problem an, dass viele Lettgaller ihre Antennen gen Russland gerichtet haben. Häufig berichten russische TV-Sender kritisch bis polemisch über Lettland. Umgekehrt finden die spezifischen lettgallischen Verhältnisse in den lettischen Medien kaum Beachtung. So entstanden zwei `unterschiedliche Informationsräume` auf lettischem Staatsgebiet. Dennoch hofft Kaša auf eine Politik, die die ethnischen Gruppen zukünftig vereinen wird. „Jedenfalls ist es für die regierende Elite der Saeima höchste Zeit damit zu beginnen, die Gesamtheit der Faktoren zu begreifen und eine Politik zu verwirklichen, welche die Einwohner Lettgallens, auch in Daugvpils, R?zekne, Kr?slava, Ludza, Dagda und Zilupe nicht absondert, sondern als Staatsbürger mit Lettland verbindet. Die Bewohner Lettgallens pflegen selbst ein gutes Verhältnis zueinander. Dennoch – falls keine konsequente Politik gemacht wird, um zielstrebig zu helfen, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie man die Lebensumstände verbessert und um die Zugehörigkeit als lettische Staatsbürger im Ostteil des Landes zu stärken, wird das Einvernehmen der örtlichen Bevölkerung zur Lösung staatlicher Fragen zu wenig sein.“

 

Externer Linkhinweis:

politika.lv: Nevelciet valsts robežu pie Latgales!




 
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