Lettisches Centrum Münster e.V.

   
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Lettland: Nationalkonservative empören sich über die öffentlich-rechtliche Berichterstattung
03.12.2021


Journalisten sollen nicht über das Elend der Geflüchteten an der polnischen Grenze berichten

Nichts los an der Grenze? Grenzmarkierungen zwischen Belarus und Polen, Foto: Torstenspecht, Eigenes Werk CC BY-SA 4.0, Link

Edvins Snore, Abgeordneter der Nationalen Allianz (NA), behauptete jüngst in einem NRA-Interview: “Das Ziel illegaler Migranten und ihrer Schlepper ist es offensichtlich, die EU von innen zu zerstören (nra.lv). Sagen wir mal, man fängt mit Polen an... Man fragt sich, weshalb es so ausschaut, dass die öffentlich-rechtlichen Medien mit einer Stimme das Lied der EU-Feinde singen.” Er und andere Nationalkonservative beschweren sich über die öffentlich-rechtlichen Medien des Landes, die es gewagt hatten, über das Elend der Geflüchteten und Migranten an der polnisch-belarussischen Grenze zu berichten. Snore bezieht sich auf den von der Regierung verlautbarten “Hybridkrieg”, den Lukaschenko angeblich begonnen hat. Diesem Jargon zufolge machen sich Journalisten mit Kritik an den polnischen Verbündeten zum Handlanger des Feindes. Das belarussische Fernsehen sende täglich “tränenreiche Leidensgeschichten von `Flüchtlingen` und appelliert an das europäische Gewissen”. Snore erklärt die angebliche Absicht: “Das Ziel ist deutlich: Bedauern und Empathie hervorrufen, um in dieser Weise die Aufmerksamkeit von der Tatsache des illegalen Grenzübertritts abzulenken. Aber mit Hilfe von Propaganda wird in den Zuschauern das Bewusstsein geschaffen, dass, ja, formal vielleicht dort irgendwas übertreten wurde, doch, wenn man das menschlich betrachtet, dann ist dort nichts besonders Schlimmes passiert.” Er befürchtet, dass, wenn entsprechende Gefühle die Oberhand gewinnen, sich die Tore an den Grenzen öffnen könnten. Snore reagiert auf eine Twitter-Debatte, bei der sich einige Nutzer bei Saeima-Abgeordneten am rechten Rand über Berichte von der polnisch-belarussischen Grenze beschwert hatten. Nationalkonservative und Rechtspopulisten werfen den Journalisten “linke” Gesinnung vor.


So manche Mediennutzer bevorzugen nicht nur Fake News, die die eigene Meinung bekräftigen, sondern weisen auch jene Berichte empört zurück, die die eigene Auffassung in Frage stellen. Vor einigen Wochen kritisierte Verteidigungsminister Artis Pabriks (Attistibai/ Par!)* die Deutsche Welle. Der Sender hatte über Geflüchtete berichtet, die wochenlang im Niemandsland zwischen Belarus und Lettland ausharren mussten. Grenzer beider Länder hatten ihnen den Weg versperrt. Pabriks empfahl den deutschen Journalisten, sich lieber über das Lukaschenko-Regime zu informieren, wie es kidnappe und sich am Menschenhandel beteilige (LP: hier).


Im Land, das von der Regierung, aber auch von den öffentlich-rechtlichen Medien auf einen “Hybridkrieg” eingeschworen wurde, beklagen sich nun manche, dass lettische Journalisten Polen “anschwärzten”, das gegen Obdachsuchende einen Zaun errichtet, sich verweigert, ihre Asylanträge entgegenzunehmen und sie mit gewaltsamen Pushbacks zurückdrängt, was lettischen Grenzern ebenfalls gestattet ist (LP: hier). Twitter-Nutzer wandten sich an den NA-Abgeordneten Janis Iesalnieks, der 2011 nach den Attentaten in Oslo und auf der Insel Utoya verlautbarte, “Multikulturalisten” und deren “Islamisierungspolitik” hätten die Opfer auf dem Gewissen. Iesalnieks solle die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens zur Debatte stellen, humanitäre Erwägungen müsse man in dieser Krise vergessen (la.lv). Der rechtspopulistische und fraktionslose Abgeordnete Artuss Kaimins, Vorsitzender der Saeima-Kommission für Menschenrechte und gesellschaftliche Angelegenheiten, versprach, das Thema auf der nächsten Sitzung zu erörtern, weil “Demokratie kein Freibrief für alles” darstelle. 


Dagmara Beitnere-Le Galla, Abgeordnete der Regierungsfraktion Jauna Konservativa Partija (JKP), teilte auf der angekündigten Kommissionssitzung vom 25. November 2021 die nationalkonservative Kritik (lsm.lv). “Es gibt Journalisten, die sagen, dass sie ein öffentlich-rechtliches Medium sind und der Staat ihnen nichts diktieren kann, beziehungsweise die Regierung nichts diktieren kann. Die Regierung kann ihnen nichts diktieren, aber die Regierung ist der Ansicht, dass, falls man von der Regierung das nimmt, was das Geld des Steuerzahlers ist, falls sie diese Finanzierung annehmen, dann müssen sie auch die ungeschriebenen Gesetze respektieren.” Dann erläuterte sie dem öffentlich rechtlichen Sender LTV, was sie unter “ungeschriebenen Gesetzen” versteht: “In der Gesellschaft bestehen geschriebene und ungeschriebene Gesetze. Und es ist sehr sonderbar, dass man beginnen muss zu erklären, was ungeschriebene Gesetze sind. Das ist eine Selbstverständlichkeit, dass öffentlich-rechtliche Medien in außenpolitischen Fragen unsere von der Regierung benutzten Begriffe und Einstellungen zum Ausdruck bringen müssen. So habe ich bislang gedacht.”  


Sanita Upleja-Jegermane, selbst gelernte Journalistin, war auf dieser Sitzung als Mitglied des gerade gegründeten Rats für öffentliche elektronische Medien (SEPLP) geladen, der die Medien staatlicherseits beaufsichtigen soll. Sie zeigte sich negativ von dem überrascht, was von den Politikern verhandelt wurde. Sie vermutete die politische Absicht, mit der Finanzierungsfrage kritische Berichterstatter einzuschüchtern.


Das kriegstaktische Verhältnis der Nationalkonservativen zur Berichterstattung besorgt den Lettischen Journalistenverband (LZA). In einer Pressemitteilung kritisierte er den Druck auf die öffentlich-rechtlichen Medien (latvijaszurnalisti.lv). Auch wenn das Lukaschenko-Regime für die Krise verantwortlich sei, dürfe man nicht darüber hinwegsehen, dass die Menschen, die an der Grenze ausharren, selbst betrogen wurden und sich in einer verzweifelten Situation befinden. Politiker sollten trotz aufflammender Emotionen nicht vergessen, dass sie in einem demokratischen Land lebten. Die Zeiten, als kritische Journalisten ins Büro der Macht zitiert wurden, seien nun glücklicherweise seit mehr als drei Jahrzehnten vorüber. Journalisten erfüllten keine politischen Aufträge. Nach lettischem Gesetz sollten sie unabhängig von politischen Einflüssen und einzelnen Interessengruppen informieren. Dass Kaimins dieses Thema aufgrund von Twitter-Korrespondenz in seiner Kommission erörtern ließ, wertet der LZA als ein Vorgehen, das für ein demokratisches Land unwürdig sei.


Die Vorwürfe über zu humane Berichterstattung sind nur ein Teil des Kampfes lettischer Nationalkonservativer, Rechtspopulisten und Rechtsradikaler gegen vermeintlich “linke” bzw. “liberale” Journalistinnen und Journalisten. Im öffentlich-rechtlichen Polit-Talk “Kas notiek Latvija” bekannte sich Iesalnieks dazu, ein Sympathisant der polnischen Regierung und der PiS-Partei zu sein (lsm.lv). Er sprach von einem “Kulturkrieg”, der zwischen konservativen und liberalen Ansichten über die Frage stattfinde, wohin sich Europa entwickelt. Für ihn sei die “Vorbereitung der Gesellschaft auf eine liberale Politik” nicht hinnehmbar, deshalb widersetze er sich und werde weiterhin auf alles hinweisen, wo die öffentlich-rechtlichen Medien das “Interesse des lettischen Staats” missachteten. Zwischen “links”, “liberal” und “linksliberal” macht die lettische Rechte keinen besonderen Unterschied, links und liberal ist für sie nahezu alles, was von den eigenen Auffassungen abweicht. Edvins Snore warnt im erwähnten Interview, weil linksliberale Journalisten nicht nur über Flüchtlingsschicksale, sondern sogar schon über Marx und Engels berichteten: “Im Gesetz steht geschrieben, dass öffentlich-rechtliche Medien neutral und objektiv sein müssen, aber ich offenbare kein Geheimnis, wenn ich sage, dass es nicht so ist. Wer weiß denn nicht in Lettland, dass die öffentlich-rechtlichen Medien einen klaren Standpunkt linksliberaler Ideologie einnehmen. Parteien, die sich in diesem Spektrum befinden, stehen und fallen natürlich mit diesen Medien. Die übrigen sind nicht so glücklich, allerdings, wenn man etwas einwendet, dann flüsternd, denn negativ gestimmte Medien an den Kragen zu bekommen wünscht sich niemand besonders. Doch es sieht so aus, dass für das Volk das Maß nunmehr voll ist. Wenn für das Geld des Steuerzahlers schon Marx und Engels ertönt, dann ist niemand zu mir gekommen und hat gefragt: Was ist da bei euch los in Riga?”

 

*An dieser Stelle war Pabriks als Mitglied der Partei "Jauna Vienotiba" bezeichnet worden, der er zuvor angehörte. 

UB 




 
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