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Corona-Krise: Angespannte Situation in lettischen Kliniken
19.12.2020


Weihnachten soll eine “stille Periode” werden

Die Corona-Lage in Lettland gleicht der deutschen. Der im November verkündete sanfte Lockdown hat zwar die fortwährende Zunahme der Covid-Neuinfektionen verzögert, aber keine Trendumkehr bewirkt. Die Epidemiologen warnen vor Überlastung der Kliniken. Die Regierung hat in dieser Woche den Corona-Ausnahmezustand verschärft. Die Corona-Querdenker sind eine globalisierte Bewegung, Foto: CC BY 2.0, Link

Das Zentrum zur Prävention und Kontrolle von Krankheiten (SPKC) hat für den 18. Dezember folgende Zahlen verkündet: 9.748 Menschen wurden am Tag zuvor auf eine Covid-19-Infektion getestet. Davon fielen 892 positiv aus, also 9,2 Prozent. Dieser Anteil gilt als zu hoch, um Infektionsherde zu ermitteln. Am selben Tag starben 15 ältere Patienten mit oder wegen einer Corona-Infektion. Insgesamt sind bis gestern 409 Covid-19-Infizierte gestorben. Derzeit müssen 871 Covid-Patienten in lettischen Kliniken versorgt werden, 41 von ihnen befinden sich in einem kritischen Zustand. Die Infektionszahlen sind nun deutlich höher als im Frühjahr. Die Zahl der ermittelten Neuinfizierten waren in den beiden Tagen zuvor erstmals vierstellig gewesen.

Die Zahlen alarmieren die Epidemiologen. SPKC-Vertreter Jurijs Perevoscikovs warnt, dass bei Fortsetzung dieses Trends bald mehr als 1.000 Covid-Patienten in den Kliniken versorgt werden müssten, das sei eine “psychologische Grenze”. Im LTV-Interview beklagt er, dass sich immer noch zuviele Menschen in den Geschäften begegneten und fordert, Versammlungen weiter einzuschränken. Der Arzt kritisiert das Verhalten der Bürger: Die beschlossenen Maßnahmen wären effektiver, wenn sich alle an ihnen halten würden. Er habe beobachtet, wie nachlässig manche ihre Maske tragen (lsm.lv).

Noch schärfer formulierte Uga Dumpis, Infektiologe der Rigaer Pauls-Stradins-Universitätsklinik: "Wenn heute 1.000 Menschen erkranken, dann werden nach einer Woche mindestens 100 mit Lungenentzündung in die Krankenhäuser eingeliefert. Das heißt, dass ihre Kollegen und Angehörigen in die Selbstisolation gehen. Mit solchen Zahlen ist das Leben in Lettland nicht sicher. Das bedroht sämtliche staatliche Funktionen.” (lsm.lv) Die Lösung sei einfach: Drei Wochen lang in der eigenen Wohnung bleiben. 

Die Ärzte in den Kliniken bestätigen die angespannte Lage. In der Stradins-Klinik sind bereits 95 Prozent der Betten, die für Covid-Patienten vorgesehen sind, belegt. Klinikvertreterin Janita Veinberga bekundet das Bemühen des Managements, die Bettenzahl zu erhöhen. Von 106 Covid-19-Betten sind 101 besetzt. Wenn die Zahl der behandlungsbedürftigen Infizierten weiter steige, müsse die Klinik die übrige Versorgung einschränken. “Die neuen Patienten treffen schneller ein als wir die Genesenen entlassen können, denn der Genesungsprozess dauert lange,” fügt Veinberga hinzu. Zudem weist sie darauf hin, dass sich Ärzte und Pfleger ebenfalls mit Covid-19 infizierten oder mit Infizierten Kontakt hatten. Etwa 200 Angestellte seien erkrankt oder befänden sich gerade in Selbstisolation, so dass noch mehr Personal fehlt als in normalen Zeiten. (nra.lv)

Im Regionalkrankenhaus Vidzeme musste die neurologische Abteilung für zwei Wochen geschlossen werden, weil sich Ärzte und Pfleger infiziert haben. Rettungssanitäter müssen nun Patienten, die einen Schlaganfall erlitten, zu weiter entfernten Kliniken bringen. (lsm.lv) Die Corona-Krise hat Auswirkungen auf die gesamte medizinische Versorgung. Iveta Kudaba, Leiterin der chemotherapeutischen Abteilung der Onkologie in der Rigaer Universitätsklinik Austrumi, berichtete, dass gerade Krebspatienten eine besondere Risikogruppe für Covid-19-Erkrankungen darstellten. Zudem fehle auch auf den onkologischen Stationen Personal, weil sich Mitarbeiter in Quarantäne befinden. Da vieles nun über Internet besprochen werden muss, werde die Arbeit langwieriger und komplizierter. 

Krebspatienten äußerten sich nach Kudabas Ansicht nicht zu jenen, die keine Masken tragen wollten; nicht weil sie mit diesem Verhalten einverstanden seien, sondern weil sie sich auf einen viel schwierigeren Kampf konzentrieren müssten und nicht die Kraft hätten, sich an solchen Diskussionen zu beteiligen. 

Für Demonstranten, die gegen Mundschutz und Kontaktverbote protestieren, hat die Ärztin kein Verständnis: “Wenn das auf staatlicher Ebene beschlossen wurde, dann ist das, so weit ich es verstehe, zu befolgen. Ein Gesetz für alle. Wenn ein Mensch das nicht vermag, nicht wünscht, dann müssen Maßnahmen getroffen werden. Es darf derzeit keinen auf sich gerichteten Egozentrismus geben, ob als Patient, Arzt oder einfach als gesunder Mensch. Wir müssen nicht nur uns selbst schützen, sondern einer auch den anderen.” 

Dann fügt sie vor dem Mikrofon der LTV-Journalistin Aija Kinca noch hinzu: “Ich wundere mich, dass überhaupt jemand existiert, der Sachverhalte bestreitet, die nachgewiesen sind, objektiv, mit Analysen, verzeihen Sie, dann kann man auch meine Volljährigkeit bestreiten. Wenn auch Covid-19 jemanden nicht persönlich betrifft, müssen wir doch verstehen, dass wir alle in einem Boot sitzen, wie man gewöhnlich zu sagen pflegt, aber wir sind es wirklich.” (lsm.lv)

Kudabas Unmut über die Wissenschaftsskepsis deutet darauf hin, dass auch Lettland eine Corona-Querdenker-Szene hat. Am 12. Dezember hatten sich Demonstranten an der Uferstraße in Riga versammelt, um gegen die staatlichen Corona-Bestimmungen zu protestieren. Statt der erlaubten 25 Teilnehmer trafen sich mehrere hundert. Nun ermittelt die Polizei wegen Ordnungswidrigkeiten, den Veranstaltern droht eine Geldstrafe bis zu 5.000 Euro. Die Stadt Riga hat Anträge auf weitere Protestkundgebungen dieser Art abgelehnt.

Am 17. Dezember hat die Regierung beschlossen, den Ausnahmezustand, der mindestens bis zum 11. Januar in Kraft bleibt, zu verschärfen. Vom 19. Dezember an dürfen Geschäfte, die nicht zur Grundversorgung zählen, auch wochentags nicht mehr öffnen, das betrifft zum Beispiel Schönheitssalons, Friseurbetriebe und Blumengeschäfte. Auch Museen sind in den nächsten drei Wochen für Besucher nicht zugänglich. Die Arbeit soll nach Möglichkeit im Homeoffice verrichtet werden. Die Regierung hat für die Weihnachtszeit eine “Periode der Stille” ausgerufen und appelliert an ihre Bürger, zuhause zu bleiben (lsm.lv).

Noch ist fraglich, ob mit diesen Bestimmungen der Trend gebrochen werden kann. Ministerpräsident Krisjanis Karins stellt weitere Verschärfungen in Aussicht: “Wenn wir in einer Zeit von zehn Tagen die Situation nicht verbessern können, dann sind wir gezwungen, die Bewegungen in vollem Umfang zu begrenzen, aber das will weder die Regierung, noch die Öffentlichkeit. Wir haben die Möglichkeit, nicht in diese Richtung zu gehen, sondern mit vereinten Kräften den Pandemieausbruch einzudämmen. Ich fordere alle auf, sich drei Wochen lang zusammenzunehmen. Ich fordere alle mit vereinten Kräften dazu auf. Wir werden durchhalten, uns einschränken und mit vereinten Kräften die Lage verändern.” (lsm.lv)

Deutlich höhere Infektionszahlen weist das Nachbarland Litauen auf. Litauische Medien berichteten über erste Triage-Entscheidungen der Ärzte. Die Litauer dürfen ohne triftigen Grund ihre Wohnung nicht mehr verlassen. Die Polizei kontrolliert an vielen Orten. Geschäfte, die nicht dem Grundbedarf dienen, sind geschlossen.

UB


 
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