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Der Richard-Wagner-Saal in Riga soll bis 2026 saniert werden
14.09.2022


Ein Gebäude für Gesamtkunstwerke aus Musik, Tanz, Kunst und Kultur

Der Wagnersaal in Riga, Foto: www.wagner200.com, Saite

Am 15. September 1782 eröffnete Otto von Vietinghoff-Scheel Rigas ersten Theaterbau. Er hatte damit den klassizistischen Architekten Christoph Haberland beauftragt, der sich mit einem verwinkelten Grundstück konfrontiert sah. So kam es, dass sich hinter einer für Rigaer Verhältnisse eher unscheinbaren Fassade ein enormes Gebäude mit Theatersaal verbirgt. Seit 2006 steht das Haus leer. 2014 machte das Kunstfestival Survival Kit auf diesen Lost Place aufmerksam. Nun kümmert sich ein Verein um die Sanierung. Er erhält finanzielle Unterstützung aus Deutschland.


Der Bauunternehmer Maris Gailis gründete die Rigaer Wagnergesellschaft. Der lettische Gesetzgeber beauftragte den Verein vor zwei Jahren, den Richard-Wagner-Saal in der Altstadt zu sanieren und zu nutzen. Gailis` Organisation muss sich selbst um die finanziellen Mittel kümmern. Er berichtete der LSM-Journalistin Zane Brikmane, dass die Planungsphase bald abgeschlossen werde (lsm.lv). Der Wettbewerb zur Beauftragung der Baufirma sei bereits ausgerichtet, nach Vertragsabschluss sollen die Bauarbeiten beginnen. Die Planer berechneten ursprünglich die Kosten auf 35 Millionen Euro. Doch die Inflation hat sie nach Aussage Gailis´ bereits auf 44 Millionen hoch getrieben. Noch reicht das zur Verfügung stehende Geld nicht; der Verein stellt Finanzierungsanträge; Gailis klagt über bürokratische Hürden, sowohl in Deutschland als auch in Lettland. Der Deutsche Bundestag beschloss vor einem Jahr, dass Deutschland im Verlauf der nächsten sechs Jahre sich mit 5,2 Millionen Euro beteiligt. Die Staatspräsidenten beider Länder, Egils Levits und Frank-Walter Steinmeier, sind Schirmherren.  


Gailis wünscht sich, die Säle und Kammern des Gebäudes vielfältig zu nutzen: “Hier gab es Spiel, Musik, Tanz und Kunstausstellungen und so wird es wieder sein. Und hier wurde auch viel gefilmt. Hier sind mehrere Filme entstanden, wir müssen auch irgendwie zu Geld kommen, wir vermieten an Produzenten und sie finden so manche benötigten Räume.” Auch wenn der Wagnersaal zukünftig verschiedenen Zwecken dient, so dürfte die Musik doch weiterhin im Mittelpunkt stehen. Dafür sorgt der geplante Einzug des international bekannten Kammerorchesters Kremerata Baltica. Es wird hier nach der geplanten Fertigstellung 2026 proben und dessen Leiter Gidon Kremer in der dritten Etage sein Büro beziehen.


Direktor Otto Hermann von Vietinghoff-Scheel, der zuvor auf seinen ländlichen Gefilden Bühnenstücke unter freiem Himmel aufgeführt hatte, ließ das Theater für 500 Zuschauer bauen. In Riga beschäftigte er neben seiner Theatertruppe ein Sinfonieorchester mit 24 Musikern, so dass auch Opern und Konzerte aufgeführt wurden. Als Vietinghoff 1788 nach Sankt Petersburg zog, wurde ein Schauspielmitglied neuer Direktor. 1815 übernahm der deutschbaltische Kulturverein Musse das Gebäude. In den nächsten Jahrzehnten hatten bekannte Musiker hier ihren Auftritt: Franz Liszt, Clara Schumann, Hector Berlioz und Richard Wagner, der von 1837 bis 1839 als Kapellmeister der Musse-Gesellschaft arbeitete und in seiner Rigaer Zeit die Oper Rienzi komponierte. 1863 zog das Theater in das neu errichtete Haus am Stadtkanal, doch Rigas erstes Theater blieb im Besitz der Musse. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnten Rigenser hier die Produkte eines Autosalons betrachten; nach dem Zweiten Weltkrieg war hier eine Bibliothek untergebracht. Zwischen 1988 und 2006 war der heutige Wagnersaal nochmals Konzertsaal und steht seitdem leer.


Anlässlich seines 240jährigen Bestehens organisierte die Rigaer Wagnergesellschaft am 13. September 2022 die Konferenz “Vom Vietinghoff-Theater bis zum Wagner-Saal”, an der die Nachfahren des ersten Theaterdirektors, Julia und Joachim von Vietinghoff, teilnahmen. Auf der Veranstaltung wurde nicht nur an Historisches erinnert; Maris Gailis` Ehefrau Zaiga Gaile, die Architektin ist, berichtete auch über die zukünftige Gestalt und Nutzung der Säle und Räume. Der Diena-Journalistin Inese Lusina berichtete Gaile, mit welchen Aktivitäten der Verein um finanzielle Unterstützung warb: “Wir bastelten ein Modell des Wagnersaals, eine schwarze Camera obscura, und fuhren zur Präsentation nach Deutschland. Im schwarzen Koffer, im Kasten der Camera obscura, ist das Modell. Als man den Koffer öffnete, entflammten Lichter und die Rienzi-Ouvertüre begiann. Als wir das Modell im Bundestag vorstellten, begannen alle zu lachen und zu fotografieren. Das Modell befindet sich zur Zeit in der Wohnung von Eva Wagner-Pasquier in Deutschland.” (diena.lv) Bislang hat, so Gaile, das Haus nur wenig zu bieten: “Doch was können wir heute einer deutschen Touristengruppe zeigen? Die Gedenkplatte an der Fassade des Gebäudes? Innen ist völliges Chaos: Irgendein Innenhof, Glas, ein langer Korridor mit Garderobe, über die Treppe kann man in den Musse-Saal hochsteigen und allen scheint, dass das der Wagnersaal ist, doch der ist in Wahrheit unten.”


Die Zukunft stellt sich Gaile im Sinne Wagners vor: “Gesamtkunstwerk21 - so lautet die Devise des Erneuerungsprogramms, das sich an einer Vision Wagners orientiert: Die Vereinigung aller Künste. Das wird nicht nur ein Konzertgebäude mit zwei Sälen, sondern auch ein internationales, der Zukunft zugewandtes Ausbildungszentrum für Jugendliche aus aller Welt. Hier sollen Meisterkurse stattfinden, experimentelle Ausstellungen, Konzerttätigkeiten, verschiedene kulturelle Veranstaltungen und Projekte. Wir werden sowohl den historischen deutschen Theatersaal als auch den direkt darüber sich befindenden Gesellschaftsraum des einstigen Musse-Vereins erneuern - ein Verein deutscher Männer. Es wird auch eine ganze Etage für die Künstlergarderobe eingerichtet. Indem wir den riesigen, authentischen Dachboden ausbauen, werden wir einen dritten Saal erhalten.”


Udo Bongartz






 
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