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100jähriges Jubiläum der lettischen Zentralbank “Latvijas Banka”, Teil 2
17.11.2022


Bankpräsident Einars Repse fragte die Deutsche Bundesbank um Rat

Dagobert Duck hätte seine Freude: Der Geldspeicher der lettischen Zentralbank in Riga-Pardaugava bewahrt auch die Euros der baltischen Nachbarn auf. Helmut Rittgen war an der Planung des Gebäudes beteiligt, Foto: UB

Anfang der 90er Jahre, als Lettland von der sich auflösenden Sowjetunion nicht mehr mit Rubel versorgt wurde, befand sich der wieder unabhängige Staat in einer finanzpolitisch ähnlich schwierigen Lage wie nach dem Ersten Weltkrieg. Unternehmen misstrauten den Banken und rechneten lieber untereinander ab. Ein unkontrollierter Strom fremder Währungen floss ins Land. 1992 erreichte die Jahresinflation des lettischen Rubels 951,2 Prozent, im Lande herrschten Not und Chaos (enciclopedija.lv). Ein Jahr zuvor wurde Einars Repse zum Vorstandsvorsitzenden der Latvijas Banka ernannt, die nun wieder Zentralbank einer unabhängigen Republik war. Repse wandte sich an Hans Tietmeyer, den Präsidenten der Deutschen Bundesbank, fragte an, ob deren Experten ihn und seine Angestellten bei der Organisation des lettischen Finanzwesens und der Wiedereinführung der Währung Lats beraten könnten.


Die Webseite von Latvijas Banka hat zum 100jährigen Jubiläum ein Porträt mit Interview-Zitaten von Helmut Rittgen veröffentlicht (bank.lv). Rittgen war leitender Angestellter der Deutschen Bundesbank, der zum Beraterkreis der Letten gehörte. Bereits 1991, im ersten Jahr der Unabhängigkeit, hatte Repse Bundesbankchef Tietmeyer kontaktiert, um erfahrene Leute zu finden, die ein neues Gesetz für die eigene Zentralbank ausarbeiten und eine neue Geldpolitik einleiten könnten. Tietmeyer benannte Dieter Haverkamp und Willy Friedmann, schließlich einen „Herrn Fischer“ (Rittgen lässt den Vornamen unerwähnt), um dem lettischen Zentralbankchef beiseite zu stehen. Rittgen musste anstelle von Fischer, der krankheitsbedingt aufhörte, bald die Gesamtverantwortung für die deutsche Beratung übernehmen. Der Banker hatte bereits Erfahrungen mit der Einführung der (westdeutschen) D-Mark auf dem Gebiet der ostdeutschen Bundesländer gesammelt.


So erhielt Lettland eine Zentralbank nach deutschem Vorbild: Von Regierungsentscheidungen unabhängig ist Währungs- und Preisstabilität ihr oberstes Ziel; das schien nach der Hyperinflation Anfang der 90er Jahre eine attraktive Geldpolitik. Nachdem der lettische Gesetzgeber das Zentralbankgesetz am 19. Mai 1992 beschlossen hatte, war für den Deutschen klar: „Hier kann ich arbeiten!“ Anderenfalls hätte er die Beratung abgelehnt. So aber habe Lettland Chancen gehabt, erfolgreich zu sein. „Das ist das Modell, das tief in meinen Gedanken und meinem Herzen war, das einer stabilen, unabhängigen Bank mit einem klaren Mandat - eine stabile Währung,“ bekundet Rittgen, der von 1992 bis 1997 regelmäßig nach Riga reiste, um sich um geldpolitische Fragen zu kümmern, bei der Neuorganisation der staatlichen Finanzaufsicht, der statistischen Erfassung und der Ausgabe neuer Wertpapiere beriet.


Trotz Latvijas Banka und der Einführung der stabilen Währung Lats im März 1993 geriet das lettische Finanzwesen in den neunziger Jahren noch mehrmals in Turbulenzen. Ein Grund war das Gesetz über Aktiengesellschaften aus dem Jahr 1990. Es sah vor, dass zur Gründung einer Geschäftsbank fünf Millionen Rubel Basiskapital erforderlich sind. Doch diese Summe verlor durch die Inflation ihren Wert, so dass sich in Lettland Mitte der 90er Jahre 62 Geschäftsbanken tummelten.


1995 meldete die AS Banka Baltija Konkurs an, in ihrem Gefolge wurden weitere Banken insolvent; diese Finanzkrise führte zu Spekulationen über eine Abwertung des Lats; doch Latvijas Banka stabilisierte die Währung. Geschäftsbanken gerieten 1998 erneut in die Krise, weil einige von ihnen ihr Kapital in russischen Wertpapieren hielten. Russland befand sich in einer schweren Krise und konnte international seine Schulden nicht mehr zurückzahlen. Rigas Kommercbanka hatte fast die Hälfte ihres Vermögens in russische Wertpapiere angelegt und wurde mit Hilfe von Latvijas Banka saniert. Die russische Krise erwies sich als reinigendes Gewitter, nur 24 Privatbanken überstanden diese Zeit. Nach der Jahrtausendwende entdeckten ausländische Banker den lettischen Kapitalmarkt und gründeten in Riga Filialen. Besonders skandinavische Geldinstitute suchten neue Profitmöglichkeiten. Ein für diese Banken günstiges Geschäftsmodell war die Vergabe von Immobilienkrediten an Privatkunden, deren Zahlungsfähigkeit nicht überprüft wurde. Für die Banken war es ein sicheres Geschäft, vermochte ein Häuslebauer seine Kreditraten nicht mehr zu zahlen, blieb den Kreditverleihern die Immobilie.


Die Banken heizten mit derart leichtfertig vergebenen Krediten die Wirtschaft zu einem fragwürdigen Boom an. Kapital kam in Umlauf, so dass die lettische Regierung und auch private Unternehmer in recht kurzer Zeit die Gehälter erhöhten, um Arbeiter und Angestellte im Land zu halten. Latvijas Banka konnte mit Zinserhöhungen kaum gegensteuern. Die Kunden hatten ihre Kredite in der zinsgünstigen Währung Euro und nicht in Lats aufgenommen.Vor der Finanzkrise wies Lettland die höchste Inflation innerhalb der EU auf. Die abrupte Steigerung von Löhnen und Gehältern hatte eine Lohn-Preis-Spirale entfacht, die mit dem Bankrott der Parex-Bank im Herbst 1998 ein jähes Ende fand.  


Zu diesem Zeitpunkt erwies sich Währungsstabilität als ein unter Ökonomen umstrittenes Ziel. Die lettische Regierung, die wegen des Zusammenbruchs einer der größten Geschäftsbanken des Landes das Vertrauen internationaler Anleger verlor und von den (privaten) Ratingagenturen auf Ramschniveau herabgestuft wurde, benötigte einen Milliardenkredit von IWF, EU, Weltbank, Schweden und Dänemark, um kurzfristige Zahlungsschwierigkeiten zu überwinden. IWF-Berater hatten eine Abwertung des Lats empfohlen, um die Situation der lettischen Wirtschaft zu verbessern, deren Waren sich durch die Inflation verteuert hatten. Eine Abwertung hätte dagegen Importware verteuert, was einerseits einen gewissen Inflationsschub und eine verminderte Kaufkraft bewirkt hätte, andererseits wäre lettische Ware im Vergleich zur ausländischen Konkurrenz preisgünstiger geworden, was die eigene Wirtschaft belebt hätte. Zudem hätte man bei einer Abwertung des Lats auf die massive Kürzung von Löhnen und Gehältern verzichten können, die die Regierung von Valdis Dombrovskis statt dessen vornahm und damit eine der größten Rezessionen im EU-Raum in jener Zeit auslöste. Erwerbslosigkeit und Migration ins westliche Ausland waren die Folge. Doch die Banker der Lettischen Zentralbank hatten ihr Ziel wieder erreicht: Der Kurs des Lats blieb stabil und wurde im Inneren durch Deflation gehärtet.  


Das Beispiel der Finanzkrise von 2009 verdeutlicht, dass geldpolitische Entscheidungen oftmals positive wie negative Wirkungen haben. Rittgen gesteht, dass der Weg der Geldstabilität, den Lettland ging, steinig, aber korrekt gewesen sei. Über die Steine stolperte vor allem die von Lohnarbeit abhängige Bevölkerung, die in Krisenzeiten entweder weniger verdiente oder gleich ganz erwerbslos wurde. Rittgen gesteht die massiven Nebenwirkungen ein: „Ein Systemwechsel ist immer eine sehr harte Zeit. Das hängt nicht nur mit der Zentralbank zusammen, sondern mit dem ganzen Land und der Wirtschaft. Das bedeutet, dass viele Leute ihre Jobs verlieren, sie kein hohes Einkommen haben. Die Leute in Lettland sagten mir dann: `Wir sind eine verlorene Generation. Aber wir blicken mit Optimismus in die Zukunft.`“


Die optimistischen Visionen mögen sich für manche erfüllt haben, doch längst nicht für alle. Bis heute verzeichnet die lettische Statistikbehörde einen Bevölkerungsrückgang, bedingt durch die Emigration von Menschen im erwerbsfähigen Alter und durch geringe Geburtenraten. Mit den Ergebnissen lettischer Wirtschafts- und Sozialpolitik, die auf wirtschaftsliberalen und monetaristischen Grundsätzen basieren, sind laut Umfragen viele unzufrieden. Das lettische Parteienspektrum bietet den Wählern aber kaum Alternativen - die keynesianisch orientierte Saskana war als „Kreml-Partei“ verschrien und scheiterte bei der Saeima-Wahl im Oktober an der Fünf-Prozent-Hürde. Ob die neue Partei der Progressiven sich wirtschaftspolitisch tatsächlich zu einer linken Alternative entwickelt, bleibt abzuwarten (links antäuschen, rechts spielen - dieser Trick aus dem Fußball ist auch in der Politik bekannt). Bei der letzten Wahl war die wirtschaftsliberale Partei Jauna Vienotiba der Gewinner: Sie ist die Nachfolgepartei von Jaunais Laiks - eine Partei, die Einars Repse nach seinem Weggang von der Zentralbank 2002 mitgegründet hatte und mit deren Abgeordneten er sich noch im selben Jahr zum Ministerpräsidenten wählen ließ, heute ist Krisjanis Karins sein Nachfolger, auch im wirtschaftspolitischen Sinne.


Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker kritisieren die Geldpolitik der Deutschen Bundesbank scharf, weil sie immer noch auf Milton Friedmans fragwürdiger Lehre des Monetarismus basiert, nämlich dass man mit Zinspolitik die Geldmenge steuern und somit Inflation vermeiden könne und dass man alles Übrige am besten dem Markt und nicht dem Staat überlasse. Die beiden keynesianisch orientierten Ökonomen stellen zudem die angeblichen Vorteile einer unabhängigen Zentralbank in Frage. Sie erinnerten in einem Beitrag von 2014 an das Verhalten der Deutschen Bundesbank in der Ära des Sozialdemokraten Helmut Schmidt Ende der siebziger Jahre, der mit Konjunkturprogrammen, also aktiver Fiskalpolitik der Regierung, die Wirtschaft stimulieren wollte (makroskop.eu). Doch dem stand die Hochzinspolitik der unabhängigen Bundesbank entgegen, die den Unternehmen die Kreditaufnahme für neue Investitionen erschwerte. Flassbeck und Spiecker stellten dazu fest: „Entscheidend für die politische und intellektuelle Niederlage des keynesianischen Konzepts [Helmut Schmidts] war, dass nur ganz wenige den monetaristischen Dogmatismus in der Position der Deutschen Bundesbank zur Kenntnis nahmen und bereit waren, ihm offen entgegenzutreten. Es ist eben sinnlos, defizitfinanzierte Konjunkturprogramme in einer Zeit zu fordern, in der die Zentralbank auf einen eindeutigen und harten Restriktionskurs einschwenkt. Es war klar, dass man mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm von 1977, obwohl es zunächst positive Effekte hatte, in den Jahren 1979 und 1980 keine Erfolge mehr erzielen konnte, weil die Bundesbank die Wirtschaft längst in eine Rezession steuerte. Expansive Fiskalpolitik kann immer nur erfolgreich sein, wenn die Geldpolitik sie unterstützt. Aber für viele, allzu viele Keynesianer existierte Geldpolitik fast nicht oder man vertrat die Position, dass Geld keine wichtige Rolle spiele.“


Udo Bongartz



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