Die Ankündigung, medizinisches Personal notfalls zwangsweise zu “mobilisieren”, erzürnt Ärztevertreter
Daniels Pavluts, Foto: Saeima, CC BY-SA 2.0 CC BY-SA 2.0, Link
In Lettland melden die Medien ständig neue Covid-19-Negativrekorde. Seit Beginn der Pandemie war die Zahl der Neuinfektionen und der stationär zu behandelnden Patientinnen und Patienten nie so groß wie derzeit. Die Regierung reagierte mit Ausnahmezustand und erneuter nächtlicher Ausgangssperre zunächst bis zum 15. November. In den Kliniken werden Behandlungstermine verschoben, mehr Räume für Covid-19-Kranke hergerichtet und Personal aus anderen Abteilungen hinzugezogen. Doch die Personalnot ist derart brisant, dass Gesundheitsminister Daniels Pavluts (Attistibai/Par, AP) die zwangsweise Mobilisierung von medizinischen Fachkräften erwägt. Der lettische Ärzteverband bezeichnet in einem Protestbrief das Vorgehen des Ministers als unprofessionell, beklagt fehlende Kommunikation und fordert seinen Rücktritt. Ministerpräsident Krisjanis Karins (Jauna Vienotiba, JV) zeigte nach einem Treffen mit den Ärztevertretern Verständnis für deren Kritik.
Der Verband Lettischer Ärzte (LAB) veröffentlichte auf seiner Webseite arstubiedriba.lv die Erklärung. Die Ärztevertreter zeigen sich erschüttert über die unprofessionelle Arbeit des Ministers und seines Ministeriums. Pavluts solle das Gesundheitssystem nicht weiter beschädigen und Verantwortung übernehmen. “Deshalb betont der Verband zum wiederholten Mal, dass die Situation nicht weiter hinnehmbar ist, dass die ganze Verantwortung für die Fehler der Regierung und des Gesundheitsministeriums bzw. für nicht rechtzeitig gefasste Beschlüsse auf die Mitarbeiter im Gesundheitsbereich abgewälzt und deren Meinung seit zwei Jahren offen ignoriert werden. Über den Plan des Ministeriums, bereits im November die Mobilisierung von Medizinern zu verkünden, erfuhr die Gesundheitsbranche heute durch die Massenmedien.”
Die Mediziner sehen sich von der Regierung im Stich gelassen. Der LAB beklagt zudem, dass die angekündigten Richtlinien, wie im Notstand bei der Behandlung von Kranken priorisiert werden soll, seit Monaten nicht vorliegen. Über den Plan, bei weiterer Zuspitzung medizinische Fachkräfte, unter ihnen Ärztinnen und Pfleger im Ruhestand, zwangsweise und unter Strafandrohung zu rekrutieren, sei seit Ausbruch der Pandemie im Frühjahr 2020 mit den Betroffenen nicht gesprochen worden. Zudem fehlten Pläne, sie in die Behandlung von Covid-19-Erkrankten zu unterweisen und sie den einzelnen Kliniken und Abteilungen zuzuordnen. So schaffe das Ministerium unnötige Aufregung unter den Einwohnern und innerhalb der Ärzteschaft.
Außerdem kritisiert der LAB die Organisation der Impfungen und den ignoranten Umgang mit Hausärzten. Auch das Vorhaben der Regierung, personelle Unterstützung aus dem Ausland anzufordern, findet angesichts der mäßigen Gehälter im eigenen Land keine Zustimmung: “Anstatt die Gehälterfrage der im Gesundheitsbereich Beschäftigten anzugehen, diskutiert die Regierung allen Ernstes über den Einbezug ausländischer Fachkräfte, was das hiesige Personal, das bis an die Schwelle zur Erschöpfung arbeitet, noch mehr demotiviert.”
In der Pressekonferenz erklärte Krisjanis Karins am Mittwochabend nach dem Treffen mit Ärztevertretern Verständnis für deren Kritik (lsm.lv). Die Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium und der Ärzteschaft bewertete der Ministerpräsident als “kritisch”. Er wolle die Angelegenheit in nächster Zeit mit dem Minister und den Regierungsfraktionen besprechen. Ob dies Pavluts Entlassung bedeutet, bleibt ungewiss. Er wäre bereits der zweite Gesundheitsminister der liberalen AP-Fraktion, der vom Regierungschef und Parteimitglied der kleinsten Regierungsfraktion JV entlassen würde. Pavluts verkündete am Mittwoch, dass er eine Mobilisierung nur im äußersten Notfall verkünden werde, wenn die derzeitig betriebene freiwillige Anwerbung nicht hinreiche.
Doch auch diese Erklärung befriedigt Ärztevertreter nicht. Arturs Silovs, Vorsitzender des Lettischen Verbandes junger Ärzte, machte in der TV-Sendung “Sodienas Jautajums” die gesamte Regierung verantwortlich: “Derzeit sieht es so aus, dass man handeln musste, dass die Mobilisierungsfrage verschoben wurde. Man muss sagen, dass das ein Signal an alle Minister ist, dass die Arbeit für alle unbefriedigend ist. Nicht nur der Gesundheitsminister ist schuldig, sondern das gesamte Ministerkabinett arbeitet derzeit nicht angemessen. Die Schuld können wir auf einen Gesundheitsminister abladen, doch wird sich mit dem Rücktritt einer Person etwas ändern?”
Der Politologe Filips Rajevskis hält die Entlassung oder den Rücktritt Pavluts für unwahrscheinlich: “Aus politischen Gründen wird das wahrscheinlich nicht geschehen, denn zunächst einmal wird er selbst nicht zurücktreten. Und aus Gründen der politischen Stabilität wird ihn der Ministerpräsident nicht zum Rücktritt auffordern, denn das könnte für die Regierungskoalition das Ende bedeuten. Ich denke, dass die Rücktrittsforderung höchstwahrscheinlich ohne Antwort bleiben wird.” (lsm.lv)
UB
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