Lettisches Centrum Münster e.V.

   
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Lettische Ostertraditionen zwischen Ost und West
03.04.2021


“Denn welches Mädchen schaukelt schon umsonst?”

Foto: Sciencia58, Eigenes Werk CC BY-SA 3.0, Link

Was kennzeichnet lettische Ostertraditionen? Darüber machte sich 1930 ein “J-S” in der Soldatenzeitschrift “Latvijas Kareivis” Gedanken (periodika.lv). Kurz formuliert: Lettische Ostern weisen sowohl römisch-katholische als auch russisch-orthodoxe Einflüsse auf.


Über die Anfänge ist schwer etwas zu sagen. Darüber wissen selbst die besten Kirchenhistoriker nichts. Der christliche Glaube kannte sie in den ersten Jahrhunderten nicht. Vermutlich entstanden die meisten dieser Traditionen im Mittelalter. Vieles von diesen Überlieferungen fand allgemeine Zustimmung und verbreitete sich unter vielen Völkern. Andere hingegen sind eher spezifisch. Sie kennzeichnen besondere Volksgruppen oder Umgebungen. 


Die Ostervorbereitungen und das Fest selbst werden daher in gewisser Hinsicht zum Ausdruck des Charakters eines Volkes und seiner Überzeugungen. Zu uns kam Ostern vergleichsweise spät, vor etwa 600 Jahren, als sich der christliche Glauben an den Ufern der Daugava und der Lielupe verbreitete. Sowohl der Westen als auch der Osten beeinflussten unsere Traditionen. Die Traditionen des orthodoxen Ostens und Südostens unterscheiden sich sichtbar vom katholischen Westen. Und die Lutheraner, besonders die, die mit den einen und den anderen in Berührung kamen, schufen weiche Übergänge.


Das zahlreichste Volk der orthodoxen Familie sind die Russen, gefolgt von den südslawischen Völkern. Und Ostern ist das Fest, in dem die Eigenart des russischen Volkes am besten zum Ausdruck kommt. Das lange vorösterliche Fasten wechselt bei den Russen zu den Festtagen zur Überfülle, für die kein Maß besteht. Wer mit den normalen Lebensumständen der Russen unter Vorkriegsbedingungen - nicht jetzt - vertraut war, der weiß, mit welcher Begeisterung und mit welch freigiebigen Händen russische Hausmütter sich darum kümmern, dass der Ostertisch zur Ehre gereiche. Es wird alles getan, um das Fasten durch Überfluss zu ersetzen. Etwas betrüblich ist es, wenn man nach einem lustig verbrachten Fest in eine leere Truhe schauen muss.


Sowohl bei Katholiken als auch Orthodoxen nehmen die Gottesdienste in der Erwartung des Osterfestes einen sichtbaren Platz ein. Die Urheber geistlicher Musik taten viel, damit die vorösterlichen Trauer- und österlichen Jubelmelodien derart schön erklingen, dass die Kirchen äußerlich noch anmutiger erscheinen und dem inneren Gehalt größerer Glanz verliehen wird. Lutheraner, Calvinisten und Anglikaner schenkten dem Prunk österlicher Gottesdienste weniger Beachtung.


Im Allgemeinen feiern die abendländischen Völker Ostern zurückhaltender als es in Russland war. Das Fest dauert nicht drei, sondern nur einen Tag, höchstens zwei. Die Festgottesdienste sind feierlich, aber ihnen folgen keine maßlosen Ess- oder Trinkgelage. Wir haben die Länge des Osterfestes von den Russen übernommen. Und es wäre nicht schlecht, es hin und wieder zu verkürzen.


Eine weit verbreitete Ostertradition ist das Eierkochen: Ihre Färbung und ihr Austausch als wechselseitiges Geschenk. Bekannt sind auch einige Spiele mit Eiern: Schlagen, Rollen, Raten. Weshalb nimmt gerade das Ei auf dem Ostertisch einen derart sichtbaren Platz ein? Vielleicht deshalb, weil Ostern mit der Eierzeit zusammenfällt. Hier muss man auch die symbolische Bedeutung des Eies in Betracht ziehen, mit dem verschiedene Riten verbunden sind. Der Hahnengesang vertreibt um Mitternacht die bösen Geister und die Dunkelheit. Aus dem Ei entsteht neues Leben. 


Der Osterhase ist den Kindern ein lieber Gast, denn er bringt den Eierkorb und ist selbst genügsam. Aber welchen Bezug er zu Ostern hat und weshalb gerade ihm der Eiertransport anvertraut wurde, das ist schwer zu sagen.


Das Schaukeln bereitet der Jugend viel Freude und Spaß. Allerdings geschehen auch Unfälle. Denn Lustigkeit und Jugend haben eine dritte Schwester: die Übermütigkeit. Und wo sie sich einfindet, geht es selten ohne Flecken und Beulen zu. Weshalb muss man Ostern schaukeln? Alte Leute sind der Ansicht, dass dann im Sommer die Mücken nicht stechen. Dieser Glaube, so scheint es, ist örtlichen Ursprungs. 


Zudem sagt man, dass das Schaukeln noch vor dem ersten Osterfest begann. Römische Soldaten, die den ans Kreuz Geschlagenen bewachten, hätten geschaukelt, um sich die Zeit zu verkürzen. Daraus entstand später der Brauch. Diese Erklärung ist kaum annehmbar. Man muss eher vermuten, dass der Ursprung des Schaukelns in einem heidnischen Glauben oder Brauch liegt. Aber wie dem auch sei, für die Schaukellustigen bringt das Schaukeln sein Gutes. Denn welches Mädchen schaukelt schon umsonst? Für das Schaukeln muss man zahlen, zuweilen mit Eiern oder mit Küssen, zuweilen muss sogar beide Gaben erbracht werden. Es gibt Fälle, wo die Eierspenderin als Preis das Herz des Schauklers gewinnt.


Die russischen Ostertraditionen umfassen Küssen, feierliches Begrüßen und fröhliche Ostergrüße. Diese Tradition ist in einem oder anderen Fall für Annehmlichkeiten gut, aber als hygienisch kann man das nicht ansehen. Die Hausmutter hat ihre österlichen Geheimnisse und Überraschungen. Sie sind recht verschieden, blickt man auf die wirtschaftlichen Bedingungen eines jeden Volkes und den Möglichkeiten, auch auf die überlieferten Gewohnheiten. 

[Der zeitbedingte Schlusssatz lässt sich heutzutage nur in Anführungszeichen zitieren: “Osterpostkarten haben die Zustimmung aller Völker der weißen Rasse gefunden.”] J-S.




 
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