Lettisches Nationalmuseum der Kunst zeigt vier Bilder des Malers Janis Pauluks
20.11.2021
Ein Nonkonformist in schwierigen Zeiten
Sonderbriefmarke für Janis Pauluks, Foto: Lilija Dinere, Neaizsargats darbs, Saite
Er wurde als eigensinnig und unbelehrbar beschrieben und er habe auf Kritik empfindlich reagiert. Der Maler ließ sich nicht davon abhalten, seinen eigenen künstlerischen Ausdruck zu finden. Bevor Janis Pauluks (1906-1984) seine Ausbildung an der Lettischen Kunstakademie beenden konnte, bestimmten die ideologischen Vorgaben der bolschewistischen und nationalsozialistischen Besatzer die Lehrpläne. Klar, dass unter solchen Bedingungen ein Nonkonformist wie Pauluks kein leichtes Leben hatte. Zwar blieb er von Deportation oder Folter verschont, doch Karriere, Wohlstand und Anerkennung waren ihm lange Zeit ebenfalls versagt. Das Lettische Nationalmuseum der Kunst erinnert derzeit an ihn, der sich trotz aller Hindernisse zum “Klassiker” der lettischen Malerei entwickelte. Sein Biograph Zigurs Konstants beschrieb Anfang der neunziger Jahre das spannungsreiche, aber auch erfüllte Leben des widerspenstigen Malers (jaunagaita.net).
Janis Pauluks wuchs mit drei Geschwistern am Ganibu Dambis im Rigaer Stadtteil Sarkandaugava auf. In der Nähe befand sich die französisch-russische Gummifabrik “Provodniks”, die mehrere tausend Arbeiter beschäftigte. Die Familie wohnte in einem sich rasch entwickelnden Industrieviertel. Konstants beschreibt den Einfluss auf diese Umgebung in Pauluks` späterem Schaffen: Sie habe ihn zum wahrhaftigen Stadtbewohner gemacht, ein Liebhaber der Menschen und Straßen Rigas, der Augen und Seele öffnete, um die Umgebung wahrzunehmen. Sein Vater war Arbeiter beim lettischen Holzfabrikanten Augusts Dombrovskis, von dessen kulturellen und sozialen Einrichtungen die Kinder profitierten. Die Eltern hielten ihren Nachwuchs zum fleißigen Lernen an. Janis und seine Geschwister besuchten lettischsprachige Schulen, was damals noch keine Selbstverständlichkeit war. Janis ging fünf Jahre lang in die örtliche Handelsschule; für einen weiterführenden Abschluss reichte es nicht, dafür fehlte das Geld. 1922 fand er als Kalligraph und Zeichner eine Stelle in der Vermessungsabteilung des Landwirtschaftsministeriums. Dort perfektionierte er seine Schrift und entdeckte seine künstlerische Begabung.
Zugleich beschäftigten ihn in den zwanziger Jahren die Frauen sehr. Sein Verhältnis zu ihnen war spannungsreich, sie wurden für ihn zur Quelle intensiver Leidenschaften, bitterer Enttäuschungen und vor allem zur Inspiration seines künstlerischen Schaffens. Konstants hält ihn für den “letzten Mohikaner” der Romantiker. Ende der dreißiger Jahre wollte er nicht weiter als Angestellter einer Behörde leben: Er verwirklichte seinen Wunsch, Künstler zu werden und schrieb sich an der Lettischen Kunstakademie ein. Sein Verhältnis zu den Dozenten war schwierig, weil er zu ihrem Ärger nur das aufnahm, was ihm für die eigene Kunst wichtig erschien. Als die Deutschen Riga besetzt hatten, wurde Pauluks wegen angeblicher kommunistischer Umtriebe exmatrikuliert. Er lernte in dieser Zeit die Kommilitonin Felicita Janke kennen, die ebenfalls aus den heiligen akademischen Hallen geschasst worden war, aber später ihr Studium in sowjetischer Zeit fortsetzte und sich zu einer anerkannten Malerin entwickelte. Die beiden wurden ein Paar und mussten bis zur Heirat zwei Jahre lang warten, bis zu Felicitas Volljährigkeit im Jahr 1943 - eine wahrhaftige Fontane-Beziehung: Sie war bei der ersten Begegnung 16, er 35 Jahre alt gewesen.
Als die Sowjets das Land und die Bildung beherrschten, kehrte Pauluks vorübergehend an die Kunstakademie zurück, um seine Diplomarbeit anzufertigen. Doch die ideologischen Vorgaben eines bigotten sozialistischen Realismus`, der sich dem Personenkult Stalins unterordnete, verhinderten den erfolgreichen Abschluss. Pauluks trat allerdings nach dem Krieg der Künstlervereinigung bei, die genauso unter sowjetischer Aufsicht stand, die die Kreativen belehrte, unterrichtete, verbesserte, beurteilte und neu machen ließ. Er wurde mehrmals aufgenommen und entlassen. Die Kommunistische Partei verdächtigte ihn wegen nationalistischer Umtriebe, Sympathie mit dem Ungarnaufstand, mangelnder bolschewistischer Parteilichkeit in seiner Kunst. Dennoch war Pauluks in den 50er Jahren recht kreativ. Er malte zuhause oder in der Umgebung seines Viertels. Allerdings sahen nur seine Freunde die Bilder. Niemand kaufte sie, kein Kurator fragte sie für eine Ausstellung nach. Er lebte, von Hunger geplagt, von Gelegenheitsarbeiten, wollte sich nicht für die Rote Armee rekrutieren zu lassen. Sein aufrührerischer und unruhiger Geist vertrug sich nicht mit der repressiven Herrschaft, die Konformisten und Opportunisten bevorzugte. Hinzu kamen die privaten Probleme: Von seiner Frau wurde er 1950 nach nur sieben Jahren geschieden, ein Jahr später starb seine Mutter.
Wie so viele griff der Künstler in einer Zeit der politischen und privaten Hoffnungslosigkeit zum Alkohol; ein Brief an seine tote Mutter kündet von seiner verzweifelten Lage, in der er einerseits den Egoismus mancher Mitmenschen beklagt, andererseits seine Mutter als heilige Madonna anhimmelt, vermischt mit nicht unbescheidenem, indirekten Eigenlob: „Ich werde Menschen nicht mehr unterstützen, die aus Eigennutz kämpfen. Sie sind verdammte menschliche Krüppel, noch schlimmer als alle Krankheiten. Sie stehlen sich ins große Haus der Menschheit und sie denken sich spuckend, dass wenn es schon im Mund rotzig ist, man auf dem Weg in ein anderes Gefäß spucken darf. Solche Menschen rühmen sich mit ihrer Kraft und Größe, dass sie so sind, sie nichts anderes machen können, weil sie so sind. Ich bin auch zäh, Mütterchen, und strafe diese Verbrecher mit großem Schweigen. Du, Mütterchen, rettest mich. Du gabst dich mir hin, damit ich das werde, was ich zu werden bestrebt war. Dein großer Opferruhm wird noch in hunderten von Jahren leuchten. Mütterchen, ich schäme mich, dass ich nicht einmal mit mir zurechtkomme und gerade zugrunde gehe. Du bist die Stellvertreterin Gottes und wirst mich auch weiterhin beschützen.“
Das Gebet an seine Mutter zeigte ein Jahrzehnt später Wirkung: 1962 erhielt er ein Atelier im neu errichteten Künstlerhaus am Rigaer Daugava-Ufer. Konstants beschreibt die „unwiederholbare Atmosphäre“ der 60er Jahre, in welcher die Künstler ein leidenschaftliches Verhältnis zu ihrer Kunst entwickelten und offenbar auch weniger ideologisch steuerbar waren. 1968 änderte sich die Führung der Künstlervereinigung. Erstmals war Pauluks` Kunst in einer Ausstellung zu sehen. „Weshalb ich auf das Daugava-Ufer fixiert bin. Ich möchte nirgend sonst sein. Am Daugava-Ufer war das Tempo beschleunigt. Dort waren wir alle zusammen. Dort wurden wir gequält, geschunden und dort war dieses Ringen - Sein oder Nichtsein, dort war der Kampf. Dort kehrte irgendwie der Puls der Künstler ein und alle, die von dort fortgingen, verloren etwas. Alle zusammen hatten wir Tempo. Wenn wir zusammenkamen, dann erhitzte es sich irgendwie.“
Leider erhitzte es sich auch im wortwörtlichen Sinne: Kochendes Wasser drang in sein Atelier ein und zerstörte viele seiner Arbeiten. Ein ähnlicher Schlag traf ihn 1975, als ihm viele Bilder aus seiner Wohnung gestohlen wurden. Solche Rückschläge deprimierten ihn lange Zeit; andererseits hatte er sich nun doch noch künstlerische Anerkennung verschafft. Konstants schätzt, dass Pauluks mehr als 600 Bilder angefertigt hat. Doch ein großer Teil ging verloren. Der Öffentlichkeit wurde nur ein Bruchteil von ihnen bekannt. Konstants beschreibt, wie sich der widerspenstige Maler auf der Suche nach eigenwilligem Ausdruck entwickelte, der von ersten verschiedenartigen Versuchen, die gleichzeitig verworren und entspannt erschienen, zur eigenen Bildsprache fand, in der er die eigene Unruhe, den eigenen Unfrieden, die eigene Angst „organisch“ mit entspannten Landschaftsmotiven, Sonne, Meer, Strand und Kindern vereinigte. So sei er zum Erneuerer der Kunst geworden, der Realismus mit modernen Ausdrucksmitteln darzustellen wusste. Das Wechselspiel zwischen Unruhe und Entspannung prägt auch die Farbgestaltung seiner Bilder, die Konstants besonders originell erscheint. Schließlich lässt er Pauluks noch einmal selbst zu Wort kommen:
„Wenn man professionell mit den Farben und Linien auf einer Leinwand arbeiten will, musst du darstellen, wie du die Werte deiner Epoche einschätzt: Wo strebt die Welt hin, auf welchem kulturellen Niveau befinden wir uns heute? Mit der Malerei kaufe ich mich von meinen eigenen Lebensfehlern frei, das ist das Mittel, mit dem ich sagen kann, wer ich bin.“
Die Ausstellung „Kentaurs“ im Rigaer Nationalmuseum der Kunst, Rozentala Laukuma 1, zeigt noch bis zum 30. Januar 2022 vier großformatige Bilder aus Pauluks` Frühphase der 40er Jahre: „Fischerfamilie“, „Fabrik Provodnik im Jahr 1905“, „Auf den Kähnen“ und „Geistesknechtschaft“. Bildbeispiele für Pauluks` Schaffen und Corona-Bestimmungen kann man auf der LNMM-Webseite finden:
Kentaurs. Jânis Pauïuks / LNMM kolekcija
UB
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