Lettisches Centrum Münster e.V.

   
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Lettland: Krisjanis Karins regiert nur noch mit vier Fraktionen
04.06.2021


Marija Golubeva als neue liberale Innenministerin

Marija Golubeva in der Saeima, Foto: CC BY-SA 2.0, Link

 

Im Schatten der Eishockey-WM hatte sich Karins am 2. Juni 2021 mit Staatspräsident Egils Levits getroffen. Danach verkündete der Regierungschef die Umgestaltung seines Kabinetts: Ab sofort werden ihm keine Minister der Partei “Kam pieder valsts?” (Wem gehört der Staat? KPV) mehr angehören. Die KPV, die mit einem Gemisch aus wirtschaftsliberalen und nationalkonservativen Parolen auf Anhieb den Einzug ins Parlament schaffte und die neben der Jauna Konservatija Partija (Neue Konservative Partei, JKP) die größte Regierungsfraktion stellte, zeigte sich von Anfang an zerstritten. Inzwischen haben 11 von 16 KPV-Abgeordneten ihre Fraktion verlassen. Die verbliebenen KPV-Vertreter forderten von Karins, Wirtschaftsminister Janis Vitenbergs abzuberufen, nachdem er von ihrer Partei zur Nacionala Apvieniba (Nationale Allianz, NA) gewechselt war (LP: hier). Das störte den Ministerproporz und die Regierungsparteien forderten eine neue Koalitionsvereinbarung. Am 3. Juni 2021 wurden die neuen Kabinettsmitglieder von der Saeima bestätigt. Auch ehemalige KPV-Abgeordnete haben für sie gestimmt. Fortan ist das Kabinett Karins auf deren Zustimmung angewiesen.


Karins berief auch Janis Vitenbergs wieder ins Kabinett, der in den letzten Wochen kommissarisch von Landwirtschaftsminister Kaspars Gerhards vertreten wurde. Hier die Liste der ausgetauschten Minister:


bisher

fortan


Wirtschaftsministerium

Kaspars Gerhards, NA

Janis Vitenbergs, NA


Innenministerium

Sandis Girgens, KPV

Marija Golubeva, AP


Sozialministerium

Ramona Petravica, KPV

Gatis Eglitis, JKP


Bildungsministerium

Ilga Suplinska, JKP

Anita Muizniece, JKP


Neben KPV-Politikern wurde auch Bildungsministerin Suplinska, eine JKP-Politikerin, ausgetauscht (lsm.lv). Karins meinte inhaltslos, dies sei das Ergebnis der Regierungspartner. Auch Janis Bordans, Justizminister und JKP-Vorsitzender, fand vor der Öffentlichkeit keine wirkliche Begründung, lobte Suplinska für die große Arbeit, die sie bewältigt habe und vertraute darauf, dass Muizniece diese fortsetzen werde. Bordans Hoffnung auf Muiznieces gute zukünftige Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern und einzelnen Branchen könnte indirekt darauf hinweisen, weshalb Suplinska ihr Amt verloren hat.  


Gatis Eglitis versteht als Nationalkonservativer unter Sozialpolitik vor allem Familienförderung und in diesem Sinne möchte er ein umfangreiches Programm in einem Zeitraum von 15 bis 20 Jahren verwirklichen. Zudem will er sich um die öffentlichen Pflegeeinrichtungen kümmern, die sich während der Pandemie-Wellen zu Corona-Hotspots entwickelten. Für ebenso dringlich hält es Eglitis, gemeinsam mit dem Justizministerium den Rechtsschutz für Kinder zu verbessern. Eglitis war auch als Nachfolger für Vitenbergs im Gespräch. Als Ökonom sieht er sich für seine neue Aufgabe befähigt: “Sozialleistungen, Renten, Unterhaltszahlungen usw.; dass alles ist mit Geld verbunden.”


Erstmals übernimmt eine Politikerin des liberalen Parteienbündnisses Attistibai/Par! (Für Entwicklung/ Pro! AP) das Innenministerium. Marija Golubeva promovierte in Cambridge im Fach Philosophie und arbeitete für die von George Soros` “Open Society” unterstützte Denkfabrik “Providus”, also eine der Institutionen, auf denen sogenannte “Antiglobalisten” ihren Hass konzentrieren. Die bisherige AP-Fraktionsvorsitzende verkörpert den Gegenpol zu den nationalkonservativen Positionen innerhalb der Regierung. Sie setzt sich für die Rechte sexueller Minderheiten ein, ist nach Edgars Rinkevics die zweite Ministerin, die sich zu ihrer Homosexualität bekennt. Sie beschäftigte sich als Forscherin mit dem Thema Migration. “Der Bereich der Migrationspolitik ist mir nicht fremd. Auch mit der Bekämpfung des Menschenhandels und der Arbeit mit Gewaltopfern bin ich vertraut, denn ich habe sowohl informell als auch im Rahmen von Projekten mit Nichtregierungsorganisationen zusammengearbeitet, die sich gegen Gewalt einsetzen.” Golubeva war als politische Beobachterin in Brüssel tätig: “Ich möchte überprüfen, wie weit wir mit den von der EU-Kommission empfohlenen Strukturreformen im Bereich des Inneren sind. Man muss an der Ausbildung der Polizisten arbeiten, aber auch daran, dass die Ausstattung und Räumlichkeiten, in denen Polizisten sich aufhalten, angemessen sind. Ebenso möchte ich daran arbeiten, die Gewalt zwischen Einwohnern zu verringern, dabei jenen Menschen helfen, denen Gewalt in der Familie droht, so dass die Polizei imstande ist, dies zu erkennen und sie zu schützen.” Das klingt nach zukünftigen Spannungen mit den nationalkonservativen Parlamentariern, die sich beispielsweise bislang weigerten, die Istanbuler Konvention zu ratifizieren, eine internationale Vereinbarung über staatliche Maßnahmen, die Frauen und Familienmitglieder besser vor Gewalt schützen sollen.


Golubeva könnte sich zu einer ungewöhnlichen Innenministerin entwickeln, die nicht auf ein “Law and Order”-Image, sondern auf liberale Prinzipien setzt. Schon jetzt muss sie den Gegenwind der nationalkonservativen Presse ertragen. Journalistin Elita Veidemane überzieht die neue Ministerin mit entsprechend stereotypem Spott: “Jeder mit Toleranz versehene Mensch wird urteilen: Lasst diese Frauen (?)* doch tun, was sie möchten. Natürlich, wer kann das schon verbieten? Nur, ob die Situation, in der Fräulein Marija in das Amt der Innenministerin eingeführt wurde und deren Verantwortungsbereich es ist, tausende von Männern in einem männlichen Beruf mit Vernunft anzuleiten, kann das nicht, entschuldigen Sie, bis zu Konflikten ethischer und moralischer Natur führen? Ob denn das Parteienbündnis `Attistibai/Par` nicht darüber hätte nachdenken müssen, wie man Fräulein Marija vor unangenehmen Zwischenfällen beschützt und wäre sie nicht besser, sagen wir, Ministerin für den Juni-Pride geworden? Als ob die Verpflichtung der Innenministerin lediglich in der Umfärbung der Polizeiautos in Regenbogenfarben bestehen wird, der Wechsel der Polizeiuniformen auf rosa und hellblau und im Befehl, in allen `Machenschaften` der Hühnerdiebe Anzeichen von `homophoben Hassverbrechen` zu entdecken... Aber man muss nicht nervös werden: In den höchsten Fächern wird angenommen, dass jeder das Seine für alles werden kann, denn alle sind vollständig in allen Fragen kompetent.” (nra.lv)

*Diese Klammer mit Fragezeichen ist im Text von Veidemane enthalten. 

UB 




 
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