Lettlands Beitrag zur Architektur-Biennale 2021 in Venedig
22.05.2021
Heimelige Begegnung mit unheimlicher Technik
Der lettische Pavillon auf der Architektur-Biennale 2021, Foto: Youtube.com
“Das ist nicht für dich gedacht. Das ist für das Gebäude gedacht.” So lautet der provokante Titel des diesjährigen lettischen Kunstprojekts der Architektur-Biennale in Venedig, die am 22. Mai 2021 eröffnet wird (die Biennale wurde pandemiebedingt zeitlich verschoben). Traditionelle ästhetische Bezeichnungen wie “schön” oder “anmutig” passen nicht auf diese Installation, die bei Besucherinnen und Besuchern zunächst einmal das Gegenteil erreichen will: Befremdung und Verunsicherung. Seit 2002 beteiligt sich Lettland an dieser Biennale und wird zum zweiten Mal durch das Büro “No Rules Just Architecture” (NRJA) vertreten. LSM-Journalistin Paula Devica befragte NRJA-Architekten, was sie sich bei diesem Arrangement gedacht haben (lsm.lv).
Im PR-Text der Veranstalter heißt es: “Die Installation im lettischen Pavillon konzentriert sich auf den Gegensatz zwischen der Natur und unserer Beziehung zur Technik. Als ein arrangiertes unheimliches Netz schwarzer Röhren, die unbekannter Herkunft sind, erscheint die ernorme Apparatur zunächst ein fremder Organismus zu sein, der sich des Raums bemächtigt, der einst den Menschen gehörte. Die Installation lädt die Besucher dazu ein, ihre Perspektive zu wechseln und einen amüsanten Nachbarn in diesem anscheinend bedrohlichen Eindringling zu entdecken - jemand, der auf unsere Anwesenheit reagiert und sich sogar in einer zwar unverständlichen, aber doch eigenartig beruhigenden Sprache an uns richtet.” (biennalepavilions.com)
Das komplizierte und vieldeutige Verhältnis zwischen Mensch, Natur und Technik ist das Thema des NRJA-Projekts. Der Besucher betritt eine düstere Halle, in der Versorgungsschläuche die Umrisse eines traditionellen Hauses mit Satteldach formen. In den Rohrmündungen sind Lichtstrahler installiert, die seine Position erkennen und ihn anleuchten. Die Projektmacher bleiben vieldeutig: Was zunächst befremdet, kann alsbald beruhigend wirken. Kaum jemand erfasst noch die komplizierte Technik, die die Räume des menschlichen Alltags beherrscht. In der Pandemie-Zeit wurde der Mensch noch abhängiger von den komplexen Geräten, die mit Kabeln und Röhren verbunden sind. Manche Zeitgenossen setzen in noch zu entwickelnder Technik die Hoffnung, die Klimakrise ohne Änderung der eigenen Lebensweise überwinden zu können. Andere fürchten, dass sie den Planeten in den endgültigen ökologischen Ruin treiben wird.
NRJA-Kurator Uldis Luksevics erklärt das Konzept: “Der größte Teil der Ausstellung wird von einer Wolke aus schwarzen Röhren eingenommen und nur ein kleiner Teil bleibt leer, der als jene archetypische Hausform mit Satteldach verbleibt. Das ist der erste Eindruck. Von außerhalb erscheint es dem Besucher, dass vieles finster ist und ob das wirklich für ihn gedacht ist? Vielleicht ist es nur für das Haus gedacht. Doch in dem Moment, wenn der Besucher in diesen dunklen Raum geht, der mit einem Dielenboden gedeckt ist, in dem Mikrofone montiert sind, die das Quietschen verstärken und das Empfinden des Hauses mit Dielenboden, wenn es vom Menschen betreten wird. Und in diesem Moment bemerkt der Besucher, dass alle diese Röhren, die im dunklen Raum in Lichtstrahlern enden, ihn in seiner Bewegung begleiten. Und in diesem Moment weiß der Besucher, dass dieses ganze technische Gewirr nur für ihn gedacht ist, dass es sich gegen ihn richtet.” Hier zeigt sich meine Unsicherheit als Übersetzer des lettischen Originalzitats: Es ließe sich auch mit “dass es sich auf ihn richtet.” oder mit “dass es sich auf ihn konzentriert ist” ins Deutsche übertragen. Diese Vieldeutigkeit gehört wohl zur Absicht der Projektmacher.
In der Sendung "Space me up" stellten die Ausstellungsmacher aus den baltischen Ländern am 21. Mai 2021 ihre Projekte vor.
Luksevics` Kollegin Elina Libiete beschreibt die Schwierigkeiten heutiger Architektinnen und Architekten angesichts der ökologischen Herausforderungen: “Jetzt, wenn die Technologien der Architektur nicht nur die Bedürfnisse eines einzelnen, einer Gemeinschaft oder Stadt entsprechen müssen, sondern sich auch den globalen Problemen wie beispielsweise der Klimaerwärmung zuwenden sollen, können die Technologien und architektonischen Lösungen, die in unseren Lebensraum gelangen, den üblichen Nutzern der Architektur unverständlich erscheinen. Das erzeugt gewiss Widerstand. Und diesem Widerstand widmen wir uns in dieser Ausstellung. Libiete will Architekten und Ingenieure daran erinnern, dass Technik dem Menschen dienen soll; andererseits möchten die Ausstellungsmacher den Nutzern von Architektur verdeutlichen, dass das, was zunächst nur für ein Gebäude gemacht erscheint, letztlich für die Bewohner selbst gemacht wurde. Zum Pavillon-Thema haben die Veranstalter ein Begleitbuch veröffentlicht, dass diesen Technikpessimismus thematisiert. Venedigs Architektur-Biennale ist dieses Jahr pandemiebedingt stärker über das Leitungsgewirr des Internets präsent, so dass auch jene, die keine Möglichkeit haben, die Lagunenstadt zu besuchen, an vielen Veranstaltungen teilnehmen können. So wurden die baltischen Projekte bereits am 21. Mai 2021 via YouTube vorgestellt. Die Webseite biennalepavilions.com präsentiert das Veranstaltungsprogramm der teilnehmenden Länder. Viele Programmpunkte sind live über YouTube verfolgbar. UB
Atpakaï