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Nun fordert auch Lettland eine Flugverbotszone über der Ukraine
18.03.2022


Ex-General Harald Kujat nennt solche Forderungen “unverantwortlich”

AWACS-Überwachungsflugzeug für Lufträume, Foto: U.S. Air Force, Gemeinfrei, Link

Parlamentarier der drei baltischen Länder haben Erklärungen beschlossen, in denen sie von den Vereinten Nationen die Zustimmung zu einer Flugverbotszone über der Ukraine fordern. NATO-Vertreter und Militärexperten warnen davor.


Am 17. März 2022 stimmten die lettischen Saeima-Abgeordneten einstimmig zu. Die Forderung nach einer Flugverbotszone begründeten sie mit dem brutalen Verhalten der russischen Angreifer. “Die Abgeordneten stellen fest, dass in der fortgesetzten militärischen Aggression der Russischen Föderation und deren Angriff auf ukrainisches Territorium eine immer inhumanere Taktik und Waffen benutzt werden, um Zivilisten anzugreifen und massenhaft zivile Objekte zu bombardieren. Die Parlamentarier erinnern die Vollversammlung der Vereinten Nationen an die Resolution über die von der Russischen Föderation begangene Aggression gegen die Ukraine. Zugleich weisen die Abgeordneten auf die Erklärung des Internationalen Gerichtshofs der UN [in Den Haag] vom 16. März, in welcher die Russische Föderation aufgefordert wird, den Angriff auf die Ukraine zu beenden und in der sich tiefe Besorgnis über die von Moskau angewendete militärische Gewalt ausdrückt. Die Parlamentarier fordern die UN-Mitgliedstaaten zum unverzüglichen Handeln auf, um eine Flugverbotszone über der Ukraine einzurichten, somit Menschenleben zu schützen und die Sicherheit über den ukrainischen Atomkraftwerken zu garantieren,” heißt es in der Saeima-Pressemitteilung (saeima.lv).


Die Parlamentarier kommen damit der Forderung der ukrainischen Regierung nach. Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj hatte am 3. März 2022 besonders die baltischen Staaten gewarnt: “Wenn ihr nicht die Macht habt, den Himmel zu schließen, dann schickt uns Flugzeuge,” sagte er Pressevertretern: “Falls wir nicht mehr sein werden, dann, Gott bewahre, werden Lettland, Litauen und Estland die nächsten werden. Glaubt mir.” Selenskyj möchte mit einer Flugverbotszone die Bombardierung durch russisches Militär verhindern und dafür benötigt er westliche Hilfe. Die Erfüllung dieser Forderung dürfte den Krieg allerdings gefährlich eskalieren. Sollten NATO-Flugzeuge oder NATO-Abschussrampen russische Flugzeuge vom Himmel holen, befände sich das Militärbündnis im direkten Krieg mit Russland. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnte in den letzten Tagen wiederholt vor solchen Plänen. Eine Flugverbotszone über der Ukraine würde wahrscheinlich zu einem Krieg zwischen der NATO und Russland führen, was “viel mehr Leid, viel mehr Tod und Vernichtung” verursache, sagte Stoltenberg der Nachrichtenagentur AFP bei einem diplomatischen Treffen in Antalya am 11. März (tvnet.lv). Harald Kujat, Ex-Generalinspekteur der Bundeswehr, hält diesen Plan für “unverantwortlich”. Eine Flugverbotszone sei eine “Kriegserklärung an Russland”: “Die Nato und Russland wären miteinander im Krieg und stünden an der Schwelle zu einem Nuklearkrieg.” (presseportal.de)


Die lettischen Abgeordneten appellierten an die Vereinten Nationen, nicht an die NATO. Doch gerade das lässt ihre Erklärung aktionistisch, populistisch und fahrlässig erscheinen. Der Weltsicherheitsrat müsste einer Flugverbotszone zustimmen. In diesem Gremium haben die fünf Atommächte, unter ihnen Russland, ein Vetorecht. Daher ist ein UN-Mandat für ein solches Vorhaben äußerst unwahrscheinlich. Der ukrainische Versuch, Russland als Nachfolgestaat der Sowjetunion das Veto-Recht zu entziehen, müsste erst einmal völkerrechtlich Erfolg haben, auch das ist eher unwahrscheinlich (lto.de). Doch selbst wenn das Unwahrscheinliche der Fall würde und ein UN-Mandat für eine Flugverbotszone vorläge, wären es wohl NATO-Staaten, die es umsetzen müssten und dann würde Kujats Alptraum doch Wirklichkeit.  


Gäbe es Nicht-NATO-Länder, die sich im Falle eines UN-Mandats bereit erklärten, Piloten und Flugzeuge in die Ukraine zu schicken? Wahrscheinlich nicht. Zwar hat eine überwältigende Mehrheit der UN-Vollversammlung den russischen Angriffskrieg verurteilt, doch die militärisch relevanten Atommächte China, Indien und Pakistan konnten sich nur zu einer Enthaltung durchringen. Überhaupt sind die westlichen Sorgen nicht jene anderer Weltregionen; für Araber dürfte der Krieg in Europa kaum von größerem Belang sein als der Krieg im Jemen für Europäer.  


Und auch die Eigensicht und die Außensicht der sogenannten westlichen “Wertegemeinschaft” unterscheiden sich erheblich. Wolfgang Kaleck analysierte, wie der Westen völkerrechtlich mit zweierlei Maß misst und beschrieb dies u.a. aufgrund mangelnder juristischer Konsequenzen des NATO-Angriffs auf Jugoslawien, weil NATO-Länder sich der Kooperation mit dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag entzogen: “Der NATO wird, abgesehen von der Völkerrechtswidrigkeit des Angriffs, insbesondere vorgehalten, durch die Bombardierung von zivilen Zielen gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen zu haben. Der Anklagebehörde in Den Haag wurden von den Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch sowie von der serbischen Regierung und dem russischen Parlament detaillierte Berichte über knapp 90 Vorfälle im Kosovo und in Serbien übermittelt, bei denen durch Bombenabwürfe aus NATO-Flugzeugen schätzungsweise 1200 Zivilpersonen getötet und über 5000 verletzt wurden. [...] Diese Bombardierungen sowie die Verwendung von Cluster-Bomben und von uranummantelter Munition seien Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht gewesen. Besonders strittig waren Bombenangriffe vom 12. April 1999 auf eine Eisenbahn in der Grdelica-Schlucht, vom 14. April 1999 auf einen Flüchtlingstreck auf der Straße zwischen Djakovica und Decane im Westen des Kosovo und am 23. April 1999 auf die serbische Fernsehstation RTS in Belgrad.” In der gesamten sogenannten Dritten Welt werde die Berufung auf den europäischen Universalismus bei Militärinterventionen kritisch wahrgenommen; dass die Auswirkungen brutaler Gewaltanwendung positiv seien, erscheine immer mehr Menschen zweifelhaft, resümierte Kaleck.


Quelle: Wolfgang Kaleck: Mit zweierlei Maß. Der Westen und das Völkerstrafrecht. Bonn 2012, S. 54-56. 

UB 




 
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