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Regierungserklärung, Teil 2: Ziele der lettischen Regierung in der Sicherheits- und Außenpolitik
02.01.2023


Militärische Aufrüstung und die Isolierung Russlands sollen Sicherheit bewirken

Lettische Nationalgarde auf einer Militärparade am 11. November. Foto: Latvijas Republikas Valsts kanceleja CC BY-SA 2.0, Saite

Am 14. Dezember 2022 veröffentlichte die neue Regierung von Krisjanis Karins ihre Koalitionsvereinbarung (mk.gov.lv). Die Fraktionen Jauna Vienotiba, Apvienotais Saraksts und Nacionala Apvieniba, konservative Parteien bzw. Parteienbündnisse, die wirtschaftsliberale, grüne und nationale Standpunkte vertreten, einigten sich auf eine Liste, die 328 Punkte umfasst. Die Schwerpunkte sind: I. „Sicherheit und Außenpolitik“, II. „Bildung“, III. „Energie, Klima und Umwelt“, IV. „Wettbewerbsfähigkeit“ und V. „Lebensqualität“. Verschiedene Themen dieser Vereinbarung werde ich in lockerer Reihe vorstellen. Im ersten Teil beschrieb ich die geplante Umweltpolitik der Regierung und die Skepsis von Umweltschutzverbänden (LP: hier). Hier im zweiten Teil möchte ich ein akutes und brisantes Thema vorstellen: Die Sicherheits- und Außenpolitik.


Im Jargon lettischer Politiker bedeutet „Sicherheit“ militärische Stärke und Aufrüstung. Daher möchte sich die Regierung eng mit den NATO-Verbündeten abstimmen. Sie plant bis 2027 die Erhöhung des nationalen Militärbudgets auf 3 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt. Besonders erwähnt wird die Kooperation mit den transatlantischen Partnern USA und Kanada (die Kanadier leiten die NATO-Eingreiftruppe in Lettland), Großbritannien, Polen, den baltischen und skandinavischen Nachbarn. Die „Drei-Meeresinitiative“ der osteuropäischen EU-Länder zwischen Ostsee, Adria und Schwarzem Meer wird ebenfalls hervorgehoben. Lettland beharrt weiterhin auf mehr NATO-Präsenz auf eigenem Territorium. Die internationalen Kampfverbände sollen auf Brigade-Stärke, mehrere tausend Soldaten, erweitert werden.  


Die Regierung beabsichtigt, die Bevölkerung militärisch auszubilden. Die Gesellschaft soll psychologisch widerstandsfähig und gegen Desinformation gefeit werden. In Punkt 8 plant das Kabinett: „Wir stärken die patriotische und staatliche Erziehung der Jugend. Wir fördern die Bewegung der Junggardisten, werden aber auch die staatliche Wehrkunde als Pflichtfach in der Sekundarstufe einführen, um das Gefühl der Verbundenheit mit Lettland zu fördern.“ Der Kampf gegen Desinformation beinhaltet vor allem die Abschaltung russischer Medien (LP: hier).


Lettland soll zu einem Rüstungsstandort entwickelt werden. Das Verteidigungsministerium plant, das in Finnland entwickelte Truppentransportfahrzeug 6x6 im eigenen Land herzustellen (LP: hier). Auch militärisch nutzbare Drohnen und Munition sollen zukünftig aus lettischer Produktion kommen (lsm.lv). Einige Dutzend Privatfirmen haben als Lobbyorganisation die „Föderation der lettischen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“ gegründet, der auch die wichtigsten staatlichen Hochschulen angehören (federacija.lv). Die Regierung schreibt dazu unter Punkt 10: „Wir werden die Entwicklung einer nationalen Verteidigungsindustrie unterstützen. Wir stärken die Fähigkeiten der heimischen Industrie, um die operativen Grundbedürfnisse der NBS [=lettische Armee] unter allen Umständen zu gewährleisten, werden aber auch in die Entwicklung der militärischen Stärke der EU und der NATO investieren. Wir werden die Entwicklung innovativer und neuer Produkte fördern, um den Bedarf des Verteidigungsbereichs sicherzustellen.“


Außenpolitisch setzt die Regierung den Kurs bedingungsloser Solidarität mit der ukrainischen Führung fort. Dazu schreibt sie unter Punkt 44: „Wir bieten der Ukraine im Kampf gegen die russische Aggression politische, militärische, finanzielle, humane und wirtschaftliche Hilfe, indem wir sie weiter mit Waffen und Ausrüstung beliefern und ihre bewaffneten Kräfte ausbilden, dazu fordern wir auch unsere Partner und die Weltgemeinschaft auf. Wir werden uns aktiv am Wiederaufbau und der Stärkung der Ukraine beteiligen. Wir unterstützen dynamisch ihre Integration in EU- und NATO-Strukturen.“ Lettland unterstützt die Kiewer Regierung bis zum Sieg und fordert wie sie die Rückeroberung aller von Russland besetzten Gebiete und die Wiederherstellung der international anerkannten Grenzen.


Dagegen fordern die Regierungsfraktionen gegen Russland weiter Sanktionen, Isolation und Bestrafung. Sie machen nicht die selbst geforderten und von der EU beschlossenen Sanktionen, sondern die russischen Feindseligkeiten für die heimische Inflation und Energiekrise verantwortlich. Lettlands Regierung fordert ein Tribunal, unter Punkt 44 heißt es weiter: „Wir werden für die Bildung eines besonderen Tribunals zur Untersuchung und Bestrafung der Verbrechen russischer Aggression gegen die Ukraine eintreten. Wir werden unsere Teilnahme an internationalen Gerichtsverfahren gegen Russland aufgrund seiner begangenen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit fortsetzen.“ Eine solche Haltung schließt Verhandlungen über einen Waffenstillstand praktisch aus. Die russische Führung wird sich kaum auf Gespräche mit ukrainischen und westlichen Delegationen einlassen, wenn ihre Inhaftierung geplant ist. Für ein solches internationales Gerichtsverfahren benötigte man internationale Einstimmigkeit, zumindest eine deutliche Mehrheit unter den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen.  


Unter Punkt 45 wünscht Karins` Kabinett die Isolierung Russlands in internationalen Organisationen, bis der Krieg in der Ukraine beendet ist und es völkerrechtliche Prinzipien beachtet. Die bisherigen internationalen Reaktionen deuten aber nicht darauf hin, dass Länder, die nicht zum Westen zählen, unter ihnen die Schwergewichte China, Indien, Südafrika oder Brasilien, sich der antirussischen Sanktionspolitik anschließen oder ein internationales Tribunal gegen Russland unterstützen. Übrigens lehnen auch die USA ab, sich für die eigenen Kriegsverbrechen vor internationalen Gerichtshöfen zu verantworten. Der internationale Strafgerichtshof in Den Haag wird weder von Russland oder China noch von den USA anerkannt (swr.de).


Insgesamt zielt der Kurs der lettischen Regierung auf militärische Stärke und Abschreckung. Ob dies zu mehr „Sicherheit“ führt, ist in der Diplomatie umstritten. Diese Strategie steht dem Prinzip der Entspannungspolitik entgegen, das einst Willy Brandt und Egon Bahr formulierten: „Auch ohne die disziplinierenden Klammern der Blöcke muß ein Ordnungssystem entwickelt werden, das die unteilbare Sicherheit für alle Staaten schafft, nun ergänzt durch die entbehrten Freiheiten der Völker, aber garantiert durch organisierten Gewaltverzicht. Das ist Logik, Konsequenz und Tradition Brandtscher europäischer Außenpolitik, wohl auch ein Schlüssel zur Konfliktlösung über unseren Kontinent hinaus.“ (cvce.eu) Diesen Satz schrieb Egon Bahr 1998. Politiker haben seitdem das Prinzip einer unteilbaren Sicherheitspolitik, die auch das Sicherheitsbedürfnis des potenziellen Feindes anerkennt, nicht beachtet. Die NATO-Osterweiterung entspricht nicht dem Ordnungssystem unteilbarer Sicherheit, das sich die Entspannungspolitiker nach dem „Wind of Change“ der 90er Jahre gewünscht hatten.  


Udo Bongartz 




 
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