Titelthema
04.05.2006
EU-Arbeitsmarkt: „Wem es gut geht, der bleibt zu hause“
Das lettische Außenministerium begrüßte am Dienstag, dem zweiten Mai die Entscheidung von Belgien, Frankreich, Griechenland, Portugal, Finnland und Spanien ihren Arbeitsmarkt für die „neuen“ EU-Mitglieder ab dem ersten Mai 2006 zumindest teilweise geöffnet zu haben. Damit folgen diese Länder dem Beispiel von Großbritannien, Irland und Schweden. In diesen Staaten sind die Arbeitsmärkte bereits seit der EU-Erweiterung im Jahre 2004 allen arbeitswilligen EU Bürgen ohne Beschränkungen zugänglich.
Ein Zustand von dem nicht nur Deutschlands und Österreichs Regierungen weit entfernt sein wollen. Dort beharren Politiker, Interessensverbände und auch die Gewerkschaften auf eine restriktive Abschottung des eigenen Arbeitsmarktes vor Arbeitnehmern aus den neueren EU-Mitgliedsstaaten. Insbesondere die deutsche Bundesregierung befürchtet, dass billig Lohnempfänger aus dem Osten den bereits strapazierten deutschen Arbeitsmarkt gravierend belasten würde.
Deutschland hat daher seine bestehenden Beschränkungen des Arbeitsmarktes gegenüber den Arbeit suchenden Bürgern aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten just im März um weitere drei Jahre verlängert: "Angesichts der Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt muss der Zugang von Beschäftigten aus den neuen EU-Ländern weiterhin gesteuert werden." Dies erklärte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales am 22.03.2006. Nach dem Beitrittsvertrag vom 16. April 2003 können die bisherigen Mitgliedsstaaten gegenüber den Beitrittsländern bis zum Jahre 2011 Einschränkungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit vornehmen (sieben Jahresfrist).
Laut lettischen Außenministeriums seien diese Ängste vor den neuen EU-Staaten überzogen. Schließlich konnten sowohl der schwedische als auch der britische und irische Arbeitsmarkt kaum negative Effekte in den letzten zwei Jahren feststellen. Ganz im Gegenteil: „die Länder profitieren von den Gastarbeitern, da sie vor allem auf solchen Sektoren ihre Arbeitskraft anbieten, auf denen es an inländischen Arbeitnehmern sowieso mangelt “ so die Auffassung des lettischen Außenministeriums.
Beispiel Irland
Was das lettische Außenministerium verschweigt: Nicht immer empfangen die inländischen Arbeitnehmer ihre neuen EU-Kollegen mit offenen Armen. So demonstrierten Irlands Dockarbeiter im vergangenen November gegen die Einstellung lettischer Hafenarbeiter. Zuvor entließ die Fährgesellschaft Irish Ferries über 500 Arbeitnehmer, um sie gegen kostengünstigere Letten einzutauschen. Daraufhin antworteten die irischen Gewerkschaften im Dezember mit einem Protesttag in Dublin. Allein im Jahr 2005 sollen etwa 40 Tausend ausländische Arbeitnehmer in Irland dazugekommen sein. Diese Informationen stammen von lettland.blogspot.com.
Wem es gut geht, der bleibt zu hause
Das Beispiel von Irland rückt die Befürchtungen Deutschlands und Österreichs unter Berücksichtigung ihrer geografischen Lage in ein anderes und klärendes Licht. Wenn im fernen westeuropäischen Irland allein im Jahr 2005 bereits 40 Tausend Arbeitnehmer aus den neuen EU Ländern hinzugekommen sind, wie viele Polen, Tschechen, Ungarn und Balten drängten wohl bei fehlenden Beschränkungen auf die hiesigen Arbeitsmärkte? Da überrascht die jüngste Empfehlung der EU Kommission vom 18. April, dass Deutschland und Österreich ihre Restriktionen schnellst möglich aufheben sollten. In Berlin stößt diese Brüsseler Depeche auf wenig Zustimmung und man erhält dort ungewöhnliche Rückendeckung. Beim Thema Arbeitnehmerfreizügigkeit stehen selbst die Gewerkschaften hinter der Politik der Bundesregierung. Der deutsche Gewerkschaftsbund, DGB hat in seinem jüngsten Forderungskatalog zur kommenden deutschen EU- Präsidentschaft diese Frage ausgelassen und vertritt generell die Meinung: “… dass sieben Jahre Beschränkung zur Verbesserung der osteuropäischen Arbeitsmärkte ausreichen.“ und „Wem es gut geht, der bleibt zu hause.“ So einfach ist das.
Qualität geht vor
So ist eine Arbeitsaufnahme in Deutschland für Bürger aus Lettland oder anderen Neu EU-Staaten keine leichte Übung. Zwar benötigen sie wegen des neuen FreizüG/EU keine gesonderte Aufenthaltserlaubnis, aber eine so genannte Arbeitsgenehmigung-EU. Für deren Erteilung sind die Arbeitsagenturen zuständig. Die Agenturen können den Bewerbern den Zugang zu Beschäftigungen ermöglichen, die eine qualifizierte Berufsausbildung von mindestens drei Jahren erfordert. Dadurch dürfen sich jedoch keine negativen Folgen für den deutschen Arbeitsmarkt ergeben. Zugleich prüfen die Arbeitsagenturen zuvor, ob Deutsche oder andere EU-Bürger mit vorrangigen Rechten für die betreffende Beschäftigung zur Verfügung stehen.
Diese Übergangsregelungen gelten jedoch nicht für alle Erwerbsformen. Selbstständige aus den Beitrittsländern können sich hier bereits niederlassen und ihrer Tätigkeit nachgehen. Auch im Bereich der Dienstleistungen ist der Einsatz von Arbeitnehmern aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten bereits möglich. Auch hier haben Österreich und Deutschland Sonderregelungen ausgehandelt. Sie können die EU-Dienstleistungsfreiheit in ausgewählten Branchen wie den Baugewerbe und der Gebäudereinigung beschränken. Somit marschieren Österreich und Deutschland im Bezug ihrer EU-Arbeitsmarktpolitik im Gleichschritt. Die Neumitglieder sollten ihnen jedoch dafür ein gewisses Maß an Verständnis entgegenbringen.
DGB-Quelle: http://www.dgb.de/themen/europa/eu_erweiterung/keine_angst/
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