Wer Investigatives in den öffentlich-rechtlichen Medien erfahren will, muss zuweilen lange aufbleiben. Der Blog denkraum. wordpress. com weist auf die Arte-TV-Sendung Vox Pop hin, die der deutsch-französische Kulturkanal am 12.5.2014 in tiefer Nacht ausstrahlte. Thema war die Eurokritik vieler Ökonomen. Die Einführung der Gemeinschaftswährung in Lettland diente als Aufhänger des siebenminütigen Beitrags. Es zeigte sich: Nicht nur die lettische Bevölkerung ist skeptisch. Bedenken äußert nun auch ein Regierungsmitglied, nämlich Wirtschaftsminister Vja?eslavs Dombrovskis. Er nennt die Euro-Einführung „eine recht zynische Geschichte“, die vor allem auf Druck schwedischer Banken erfolgt sei.
Zur Weihnachtszeit 2013 spielte die repräsentative lettische Zentrale der Swedbank in Riga den Unschuldsengel mit rotem Herzchen, Foto: LP
Schweden wollten Abwertung des Lats` auf jeden Fall verhindern
Über die ökonomische Kritik am Euro hat die Lettische Presseschau oftmals berichtet. Jetzt stellt sich heraus: Auch von der Regierungsseite bestehen Bedenken. Denkraum. wordpress. com zeichnete das Interview mit Vja?eslavs Dombrovskis schriftlich auf. Die Schweden fürchteten 2009, dass ihre Nachbarn jenseits der Ostsee als Reaktion auf die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise ihre Währung Lats abwerten wollten. Ein fragwürdiger kreditfinanzierter Boom hatte Lettland die eu-weit höchsten Inflationsraten beschert. Die Preise für lettische Waren verteuerten sich drastisch. Das erschwert unternehmerische Tätigkeit, denn Importe sind dann häufig billiger. Doch eine Abwertung wollten schwedische Banker auf jeden Fall verhindern. Denn sie hatten ihrer lettischen Kundschaft Euro-Kredite in Milliardenhöhe gewährt. Im Falle einer Abwertung hätte eine Rückzahlung viele Kreditnehmer, die ihr Geld in Lats verdienten, überfordert. Gerade die Swedbank, das größte Bankunternehmen auf lettischem Territorium, musste eine Pleite fürchten. Denkraum. wordpress. com notiert die Worte des Wirtschaftsministers: „Eine recht zynische Geschichte. 2009 wollten wir angesichts der Krise unsere Währung um 40 Prozent abwerten. Das wäre ein harter Schlag für die skandinavischen Banken gewesen, die immense Aktiva in Lettland halten. Deshalb waren sie gegen eine Abwertung. Und so blieb aus ihrer Sicht nur eine Lösung: Wir mussten der Eurozone beitreten.“
Leeres, zum Verkauf stehendes Parkhaus auf dem Höhepunkt der lettischen Finanzkrise 2009, Foto: LP
Zweifel am Erfolg des Euro
Statt einer echten Abwertung erfolgte die sogenannte „innere Abwertung“: Das heißt: Staatliche Gehälter wurden bis auf die Hälfte gekürzt, Angestellte entlassen, Sozialleistungen gestrichen, Schulen und Krankenhäuser geschlossen. Diese „Schocktherapie“, die ökonomisch sehr umstritten ist, setzte der Namensvetter des Wirtschaftsministers, Valdis Dombrovskis, durch. Er wurde im März 2009 Ministerpräsident. Bislang war von Regierungsseite nur Pro-Euro-Propaganda zu vernehmen. Ökonomisch fundierte Kritik am Euro äußerte eigentlich nur die Oppositionspartei Saska?as Centrs. Die lettischen Medien klärten über dieses Thema kaum auf. Die meisten Finanz- und Wirtschaftsexperten, die in der lettischen Presse zitiert werden, sind eben Bankangestellte. Angesichts niedriger Produktivität und hoher Lohnstückkosten (die keineswegs bedeuten, dass die Letten hohe Löhne haben, es bedeutet eher das Gegenteil) ist die lettische Wirtschaft kaum in der Lage, mit den stärkeren Ländern der Eurozone zu konkurrieren. Auf die Frage des Reporters, ob sich der drastische Euro-Sparkurs denn gelohnt habe, entgegnet der Wirtschaftsminister wenig begeistert, fast achselzuckend: „Time will tell!“
Wirtschaftsminister Vja?eslavs Dombrovskis, Saeima auf Wikimedia Commons, Lizenz
Finanzkrisenbewältigung auf Kosten der Bevölkerung
Leider ist das Interview mit Vja?eslavs Dombrovskis recht kurz, so dass Fragen bleiben. Er selbst war 2009 noch gar nicht im Regierungskabinett und bezeichnete damals in einem italienischen Baltikum-Blog die Euro-Einführung 2014 "als Chance, die man nicht verpassen" dürfe. Von den Abwertungsplänen berichtet er nur vom Hörensagen. So lässt der Beitrag offen, wer den Plan, den Lats um 40 Prozent abzuwerten, gefasst hatte. Waren es noch die Minister des Regierungschefs Ivars Godmanis? Die Vertreter des Internationalen Währungsfonds` hatten zu diesem Schritt geraten. Oder verfolgte das Kabinett von Valdis Dombrovskis ab März 2009 zunächst Abwertungspläne? Offiziell stellte der ehemalige Regierungschef Dombrovskis die Euro-Einführung als alternativloses Unterfangen dar. Das Interview verrät auch nicht, womit schwedische Banker und Minister den Letten konkret gedroht haben. Im Prinzip führte es dazu, dass der lettische Staat – neben der Pleite der lettischen Parex-Bank - die Krise schwedischer Banken (und ihrer lettischen Kunden) aufgebürdet bekam. Als Folge kürzte der lettische Fiskus seine Ausgaben und ruinierte so manche berufliche und soziale Existenz.
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Externe Linkhinweise:
info.arte.tv: Den Euro um jeden Preis
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