Europawahl 2014 in Lettland - Wahlbeteiligung: 30,04 Prozent - Vienot?ba wahrscheinlich Wahlsieger
24.05.2014
In Lettland wurde bereits am Samstag gewählt. "Wenn Wahlen etwas ändern würden, dann wären sie verboten, " sagte einst die in Litauen geborene Anarchistin Emma Goldman. Dies lässt für beinahe 70 Prozent der lettischen Wahlberechtigten zwei Schlüsse zu: Entweder sie sind derart zufrieden, dass sie keine Änderung wollen oder sie sehen Wahlen ähnlich wie Emma Goldman. Nur eine Minderheit von 30,1 Prozent beteiligte sich, das entspricht laut Zentraler Wahlkommission einer Stimmzahl von 442.286 und ist die bislang niedrigste Teilnahme überhaupt, nochmals weniger als 2009, als zugleich Kommunalwahlen stattfanden. Am relativ höchsten war die Beteiligung in der Hauptstadt Riga (35,2 Prozent), am niedrigsten in der Region Lettgallen (23,41 Prozent). Das amtliche Wahlergebnis wird erst Sonntagabend veröffentlicht, wenn die Abstimmung in allen EU-Ländern erfolgt sein wird. Laut einer Exit-Poll-Umfrage des Lettischen Fernsehens und Latvijas Fakti ist die liberalkonservative Regierungspartei Vienot?ba mit 31,2 Prozent überraschend deutlich Wahlsieger. Das Saska?as Centrs, bislang stärkste lettische Kraft in Straßburg, kommt nur auf 13,1 Prozent. Dahinter folgen die Nationale Allianz (11,7 Prozent), die Union der Grünen und Bauern (6,2 Prozent) und die Union der Russen Lettlands (5,5 Prozent). Letztere dürfte dem Saska?as Centrs Stimmen gekostet haben. Falls die Russenunion einen Sitz erobert, wird Tatjana Ždanoka EU-Abgeordnete bleiben. Ob das Umfrageergebnis der tatsächlichen Wahl annähernd entspricht, bleibt laut lsm.lv unklar, denn 21,9 Prozent der Befragten wollten sich nicht zu ihrer Entscheidung äußern. (Da solche Aussagen in lettischen Umfragen eingerechnet werden, sind die Prozentzahlen für die Parteien entsprechend niedriger).
Wenn Sie auf "weiterlesen" klicken, finden Sie Kurzbeschreibungen zu den lettischen Parteien, die voraussichtlich Abgeordnete im EU-Parlament stellen werden.
Foto: Saeima
Politologin Iveta Kažoka hat auf politika.lv eine Einschätzung der Wahlprogramme vorgenommen, daraus wird im Folgenden zitiert:
NA - Nacion?l? apvien?ba (Nationale Allianz) "Visu Latvijai!"-"T?vzemei un Br?v?bai/LNNK" ("Alles für Lettland!" - "Für Vaterland und Freiheit/LNNK") – in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten
Dieses Parteienbündnis fischt am rechten Rand. Es besteht aus Nationalkonservativen und Rechtsradikalen, die gegen die russischstämmige Minderheit polemisieren. Ihre Position ist nicht so eindeutig wie die der westeuropäischen Rechten. Einerseits betrachtet die Allianz die EU als Bollwerk gegen Russland – die mitregierenden Nationalen haben sogar den Euro akzeptiert - andererseits bedroht der westliche `Sittenverfall` (Homosexualität usw.) die lettische Nation. Iveta Kažoka resumiert, dass die Nationalkonservativen ihren Kampf gegen `Russifizierung` im EU-Parlament fortsetzen wollen: „Von allen lettischen Parteien scheint gerade das Verhalten der Nationalen Allianz gegen die EU das Uneindeutigste. Es ist der Prototyp für Hassliebe-Beziehungen. Einerseits sieht die Nationale Allianz in der EU eine Bedrohung für Lettlands Eigenständigkeit und lettische Besonderheiten (deshalb „Nein“ zum Föderalismus!), aber andererseits wird Russland dennoch als die größere Bedrohung eingeschätzt... und auch für die Wirtschaft wäre eine stärkere EU wahrscheinlich besser. Daher sind im NA-Programm mehrere Themen (z.B. eine vollständige Bankenunion, völlig geöffneter Dienstleistungsmarkt, Hilfe für die Ukraine, Georgien und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken, sich der EU anzunähern), welche, falls sie mit der Zeit nach und nach verwirklicht würden, am Ende doch zu einer Föderation und größeren Vielfalt innerhalb der EU führten.“
SC "Saska?as Centrs" soci?ldemokr?tisk? partija („Zentrum der Eintracht“ sozialdemokratische Partei) - Die sozialistische und die sozialdemokratische Partei des Zentrums gehören im EU-Parlament verschiedenen Fraktionen an: Die Sozialisten der Vereinten Europäischen Linken, gemeinsam mit der deutschen Linken, und die Sozialdemokraten der Progressiven Allianz, gemeinsam mit der SPD
Dieses Parteienbündnis bildet die größte Fraktion im lettischen Parlament, gilt aber als Vertreter der russischstämmigen Minderheit und wird von den übrigen lettischen Parteien in der Opposition isoliert. Im Jahr 2009 wäre beinahe eine Koalition zwischen liberalkonservativen Parteien und dem sozialdemokratischen SC zustande gekommen. Doch die SC-Politiker weigerten sich, einzugestehen, dass es sich bei der sowjetischen Besatzung 1940 um eine völkerrechtswidrige Okkupation gehandelt hatte. Zudem misstrauen Letten der Zusammenarbeit des SC mit der Putin-Partei „Vereintes Russland“. Iveta Kažoka lobt die durchdachte Klarheit des SC-Programms, das auf Solidarität setzt. Bei der Wahl zwischen Austeritäts- und Wettbewerbspositionen einerseits und Stärkung des Sozialen andererseits, entscheide das SC sich für letzteres. „Das SC wünscht, dass sich die EU mehr der Lösung sozialer Fragen zuwendet, sowohl in Bezug auf Löhne, Renten, Gesundheitsversorgung als auch in Wohnangelegenheiten.“ Doch bislang hätten sich EU-Parlamentarier nicht besonders um Soziales gekümmert. Die weitgehend unterschiedlichen Steuer-, Renten- und Gesundheitssysteme seien bislang Aufgabe der einzelnen Nationalstaaten. „Das heißt, wenn jemand eine größere Solidarität in diesen Bereichen zwischen den EU-Mitgliedstaaten wünscht, dann müsste auch jemand die moralische Verpflichtung übernehmen, das Portemonnaie zu öffnen, um für die Solidarität zu zahlen. Und dieser ist in diesem Programm nicht zu finden. Ich nehme an, das dies Deutschland sein wird. Wer weiß, ob die Deutschen begeistert sein werden?“
V - Partija "VIENOT?BA" (Partei „Einigkeit“) - in der Fraktion der Europäischen Volkspartei, gemeinsam mit der CDU
Die Partei Vienot?ba ist in wesentlichen Zügen eine Nachfolgepartei von „Jaunais Laiks“, die eine scharf neoliberale Wirtschaftspolitik verfolgte. Die Regierungspartei, die die Regierungschefin stellt, hat mit einem harten Austeritätskurs auf den drohenden Staatsbankrott zum Jahreswechsel 2008/09 reagiert. Iveta Kažoka wertet das Programm als ähnlich durchdacht wie das des SC, doch die Liberalkonservativen entscheiden sich im Zweifelsfalle eher für Konkurrenz statt für Solidarität. "Was am Programm ist gut? Im Unterschied zu vielen `Wir kämpfen leidenschaftlich für Letten`-Programme, ist es eines der wenigen, in dem man den Atem europäischer Zukunftsfragen spüren kann. Um Konkretes zu nennen: Die Gestaltung von Europas Wettbewerbsfähigkeit, engere Zusammenarbeit in innenpolitischen Fragen und in Rechtsangelegenheiten, E-Unterschriften, E-Dokumente, Gewicht auf Wissenschaft und Innovation.“ Kažoka stellt allerdings fest, dass Vienot?ba hier nur den Common Sense der EU-Parlamentarier formuliert und es bei diesen Fragen gar keiner Mitwirkung lettischer Abgeordneter bedarf. Gemeinhin gilt der maßgeblich von Vienot?ba bestimmte Regierungskurs als besonders EU-freundlich.
ZZS - Za?o un Zemnieku savien?ba (Union der Grünen und Bauern)
Die Bauernunion gilt als „Oligarchenpartei“, die dem Bürgermeister von Ventspils und Geschäftsmann Aivars Lembergs nahesteht. Als Nachfolgerin der Partei des Staatsgründers und Diktators K?rlis Ulmanis hat auch die ZZS ein nationalkonservatives Geschichtsverständnis, polemisiert aber weniger gegen russischstämmige Mitbürger. Die Partei ist derzeit wieder an der Regierung beteiligt. Kritiker bemängeln einen gewissen Populismus. So fordert die ZZS bessere Sozialleistungen, doch die Finanzierung bleibt unklar. Iveta Kažoka kritisiert die Phrasen des ZZS-Programms, die mit jenen anderer Parteien verwechselbar seien. Auch die Grünen und Bauern wollen sich leidenschaftlich für lettische Interessen einsetzen. Immerhin erkennt die Politologin einige Punkte, die über Lettland hinausweisen, z.B. eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte oder die Verbesserung der ökonomischen Situation von Familien. „Was macht mich an diesem Programm konfus? Solche Phrasen: `Wir werden beobachten, ob die lettische Regierung die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) umsetzt, das staatliche Gesundheitsbudget zu erhöhen.` Entschuldigt, verehrte ZZS, aber ist es nicht so, dass eure Partei Teil der lettischen Regierung ist? Kontrolliert ihr euch selbst? Und … welcher Zusammenhang besteht überhaupt zwischen den WHO-Empfehlungen und dem EU-Parlament?“
Latvijas Krievu Savien?ba - Union der Russen Lettlands
Die von Tatjana Ždanoka angeführte Partei wittert mit neuem Namen Morgenluft. Iveta Kažoka findet das Programm interessant, weil es sich deutlich von anderen unterscheidet: "Die Partei ist auf die Interessenvertretung der russischsprachigen Gemeinschaft und des russischsprachigen Teils der Gesellschaft im EU-Parlament orientiert, ebenso wünscht es bessere Beziehungen der EU zu Russland. Das ist hinreichend konkret und im Prinzip auch legitim." Ähnlich wie die Nationale Allianz nicht in allen Punkten eine typische Rechtsaußen-Partei darstellt, ist die Russenunion nicht in allen Punkten typisch links. Kažoka bemerkt einerseits die linke Kritik an der neoliberalen Sparpolitik, andererseits die Klage über den Verlust typisch konservativer Orientierungen, wie die Institution der Familie als "Quelle natürlicher moralischer Werte in der Gesellschaft".
Weiterer LP-Artikel zum Thema:
Rigenser straften aggressiven Wahlkampf der Nationalkonservativen ab
Externer Linkhinweis:
politika.lv: Mini-recenzijas Eiropas Parlamenta v?l?šanu programm?m
cvk.lv: Zentrale lettische Wahlkommission
lsm.lv: LTV aptauja: Eiroparlamenta v?l?šan?s uzvar «Vienot?ba»; Ždanokai – 5,5% atbalsts
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