Die US-Armee wird Präsenz an der NATO-Grenze zu Russland zeigen. Etwa 600 Soldaten der 173. US-Brigade beteiligen sich in den nächsten Wochen an Militärübungen in den baltischen Ländern und Polen. Ab dem 24.4.2014 werden 150 Angehörige dieser Luftlandetruppe aus dem italienischen Vicenza nach Lettland geschickt. Die Soldaten werden etwa einen Monat lang bleiben und danach durch andere US-Einheiten ersetzt. Zumindest bis zum Jahresende soll us-amerikanische Infanterie in Osteuropa stationiert bleiben. Pentagon-Sprecher John Kirby gab auf us.news.com bekannt, dass die US-Army gemeinsam mit den örtlichen Streitkräften Manöver plane. Wenn man Bodentruppen sende, habe dies nicht nur symbolische Bedeutung. Zudem stellte Kirby klar, dass diese Aktion nur in Absprache mit dem Militär der betroffenen Staaten stattfinde. Andere NATO-Länder hätten Skepsis gegenüber solchen Stationierungen verlautbart. Us.news.com weist in diesem Zusammenhang auf einen Artikel des Saeima-Abgeordneten Artis Pabriks hin. Der ehemalige lettische Verteidigungsminister bezweifelt, ob die Deutschen die osteuropäischen Sicherheitsinteressen ernstnehmen. Aivars Lembergs hingegen, der umstrittene Oligarch aus Ventspils, hält die antirussische Haltung lettischer Politiker für verantwortungslos.
US-Soldat, Foto: Wikimedia Commons
Pabriks: Gegen zaudernde Europäer
Pabriks bezieht sich auf den jüngsten ARD-Deutschlandtrend. Demnach wären 61 Prozent der Deutschen nicht einverstanden, wenn ihre Soldaten sich an „besserem militärischen Schutz für osteuropäische NATO-Mitglieder“ beteiligten. Nach Ansicht des Vienot?ba-Politikers seien Sicherheit und Freiheit der baltischen Länder nicht weniger wertvoll als jene Deutschlands oder anderer NATO-Staaten. Die Kritik an den Deutschen verbindet Pabriks mit herben Vorwürfen gegen Russland. „Leider“ habe man die Warnungen der Osteuropäer im Hinblick auf die „alarmierenden Entwicklungen“ mit Misstrauen behandelt. Besonders die baltischen Länder seien als „Störenfriede“ betrachtet worden. Seit dem Georgien-Konflikt von 2008 rüste Russland stetig auf und zeige mehr Militärpräsenz an den Grenzen der baltischen Länder: „Beispielsweise hat die jüngste Helikopterbasis in Ostrowo, gerade mal 30 km von der lettischen Grenze entfernt, die gleiche militärische Wirkung in dieser Region, wie es ein voll ausgestattetes Schiff der Mistralklasse [ein Hubschrauberträger] hätte, wenn es in der Elbmündung platziert wäre.“ Pabriks ist der Überzeugung, dass gegen Aggressoren keine Appeasement-Politik helfe. „Wir lernten das bereits vor dem Zweiten Weltkrieg in München und jüngst ebenso in Syrien. Wenn man eine rote Linie zeichnet und diese überschritten wird, muss man handeln. Falls ein hypothetischer Aggressor den Eindruck gewinnt, dass die NATO-Mitglieder zaudern, wenn ein Mitglied herausgefordert wird, wird die Aggression stattfinden.“ Pabriks kritisiert „eine Reihe von Politikern“, die intensive wirtschaftliche Beziehungen mit Moskau befürworteten, um die Demokratie in Russland zu entwickeln und wirtschaftlich zu profitieren. Nun seien die Europäer nicht fähig, ernsthafte Sanktionen zu verhängen. So behalte Russland als autoritärer Staat Handlungsfreiheit. Schließlich führt Pabriks das Zaudern „mancher Europäer“ auf ein geringeres Bedrohungsgefühl zurück. Eine Verschärfung der Krise bedeute für sie nur finanzielle Konsequenzen, „da sich ja niemand Putin vorstellt, wie er durch das Brandenburger Tor marschiert.“ Für die Balten hingegen sei die Bedrohung durch Russland existenziell. Sie habe direkten Einfluss auf ihre Freiheit und Unabhängigkeit.
Straßenszene in Riga, Lembergs prophezeit im Sanktionsfall miese Zeiten für die lettische Wirtschaft, Foto: LP
Lembergs: Sanktionen gegen Russland sind Sanktionen gegen Lettland
Was Pabriks in seinem Beitrag unerwähnt lässt: Lettland ist selbst eng mit Russland verbunden. Der große Nachbar versorgt die mittlere Baltenrepublik mit Erdgas. Russen investieren an der Rigaer Bucht. Ernsthafte Sanktionen würden die lettische Wirtschaft schwer schädigen. Darauf wies Aivars Lembergs, der ebenso einflussreiche wie umstrittene Bürgermeister von Ventspils, hin. Die Ölhafenstadt wurde durch den Transithandel mit russischen Brennstoffen relativ wohlhabend. Ein neuer Ost-West-Konflikt könnte die Geschäfte verderben. Lembergs, der seit Jahren wegen Korruptionsverdachts vor Gericht steht, warnt vor steigenden Kreditzinsen, die schon jetzt Investitionen erschwerten. Er prophezeit bei einer Verschärfung des Ukraine-Konflikts den wirtschaftlichen Niedergang. Das „Geschwätz“ lettischer Politiker hält er für „verantwortungslos“. Das meinte Lembergs am 16.4.2014 in einem NRA-Interview. Falls die USA, Frankreich, Deutschland und Großbritannien wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland verhängten, wären das in Wirklichkeit Sanktionen gegen Lettland. „Falls es zu solchen Sanktionen kommt, dann änderte sich die Lage absolut radikal und völlig unvorhersehbar.“ Das habe schwere Folgen für das gesamte Transport- und Logistikgewerbe und beeinträchtige letztlich die gesamte Wirtschaft. Im Gegensatz zu einem Großteil des Polit-Establishments glaubt Lembergs nicht, dass Russland die Ukraine angreifen wird. Sanktionen beträfen seiner Meinung nach die USA kaum. „Hauptakteur sind die USA. Lettlands Handelsvolumen mit Russland war im Jahr 2013 elf mal größer als das mit den USA. Wenn Lettland keine wirtschaftlichen Beziehungen zu den USA hätte, dann würden wir das im alltäglichen Leben kaum bemerken. Falls Lettland keine zu Russland hätte, dann stünde die lettische Volkswirtschaft faktisch still.“ Der Transithandel, die Lebensmittelindustrie und der Energiehandel stünden still. „Aus und vorbei. Finita la comedia.“ Daher sei die Lage so gefährlich für Lettland. Die USA hingegen riskierten wenig, wenn sie ihr Militär in die Nähe Russlands beorderten. Die Haltung lettischer Politiker hält der Bürgermeister, der bei Saeima-Wahlen mehrmals als Spitzenkandidat der Bauernunion auftrat, für „völlig verantwortungslos“. Lettland solle sich im geopolitischen Kampf der Weltmächte nicht einmischen. Vor ein paar Wochen unterzeichneten lettische Intellektuelle einen Protestbrief gegen Staatspräsident Andris B?rzi?š, der Lembergs politisch nahesteht. Die Kritiker beklagen die verbale Zurückhaltung des Staatsoberhaupts in Sachen Krim-Krise. Lembergs hält sie für naiv, sie wüssten nicht, wie es in der Welt zuginge. Sie begriffen den geopolitischen Kampf nicht. Sie hätten einen begrenzten und fragmentarischen Blick auf die Vorgänge. Angesichts der ökonomischen Situation handelten die Letten klüger, wenn sie für eine Weile schwiegen. Doch Personen in höchsten Ämtern handelten wie Funktionäre zur Zeit der Sowjetunion, als sie mit fügsamem Geschwätz einen Ruf nach Moskau bezweckten, um dort besser bezahlt und mit einem Sommerhaus belohnt zu werden. Nun gröle man lauter als in Washington, Paris, London und Berlin zusammengenommen und habe einen guten Posten in Brüssel, der EU, NATO, dem IWF oder der Weltbank im Blick. Das erscheint Lembergs kindisch und ein wenig clownesk.
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Externe Linkhinweise:
swp-berlin.org: Die Ukraine-Krise - Die Dimension der paneuropäischen Sicherheitskooperation (PDF)
heise.de: Verdruckste Vollzugsgehilfen der USA
atlantic-community.org: Germany Must Take Baltic Security Concerns More Seriously
nra.lv: Lembergs: Sankcijas pret Krieviju b?tu sankcijas pret Latviju
usembassy.gov: ASV palielina milit?ro kl?tb?tni Latvij?
usnews.com: U.S. Sends Airborne Infantry to Russian Front Door
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