Lettlands EU-Ratspräsidentschaft endet mit griechischem Fiasko
30.06.2015
Ukraine-Krise, Streit mit Russland, Tote im Mittelmeer, Attentate und zuletzt die voraussichtliche Pleite der Griechen - das erste Halbjahr 2015 war keine Sternstunde der Europäer. Das kleine Lettland, das in dieser Zeit die EU-Ratspräsidentschaft innehatte, ist für die Zerstrittenheit des internationalen Bündnisses kaum verantwortlich zu machen. Das Land, das im komplexen EU-Gebilde zwar den Vorsitz der Ministerrunden übernimmt, aber nicht mal den Ratspräsidenten stellt, ist, um es für Mittelalterfans zu formulieren, der Truchsess und nicht der Fürst der EU. Das heißt, die lettische Regierung musste sich um die Hofhaltung kümmern, für Speis und Trank sorgen, in der umfunktionierten Nationalbibliothek von Riga und an den Brüsseler Tagungsorten. Lettische Medien berichten über viel Lob für die lettische Truchsessschaft. Ministerpräsidentin Laimdota Straujuma ist stolz darauf, dass mit lettischer Hilfe der sogenannte "Juncker-Plan" in kurzer Zeit beschlossen werden konnte.
Die neue Nationalbibliothek, die im letzten halben Jahr für EU-Verhandlungen benutzt wurde, ist fortan wieder uneingeschränkt für Leser zugänglich, Foro: LP
Hoffnung auf den Juncker-Plan
Straujuma zog vor Journalisten am 29.6.2015 ein positives Fazit. Als besonderen Erfolg wertet sie, dass ihre Regierung gemeinsam mit der EU-Kommission und dem Straßburg-Brüsseler Parlament den Juncker-Plan in Rekordzeit auf den Weg gebracht habe. Gewöhnlich sei ein Jahr für solche Projekte nötig, diesmal habe man es in viereinhalb Monaten geschafft. Trotz leerer Staatskassen und Fiskalpakt soll dieser "Europäische Fonds für strategische Investitionen" der stagnierenden Wirtschaft neuen Schwung verleihen. Dafür werden 16 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt umgewidmet und weitere 5 Milliarden von der Europäischen Investitionsbank bereitgestellt. Diese 21 Milliarden bilden einen Garantiefonds, um private Investitionen abzusichern. Die Medien nennen einhellig einen optimistischen Betrag von 315 Milliarden Euro privaten Kapitals, der auf diese Weise aktiviert werden könne. Das Angebot soll sich vor allem an private Lebens- und Rentenversicherer richten, die nach sicheren Anlagen Ausschau halten. Manche sehen darin in der Zeit des Fiskalpakts die einzig mögliche Abkehr von Angela Merkels strikter Austeritätspolitik. Andere warnen vor weiteren Public-Private-Partnership-Geschäften, bei denen nicht selten Gewinne privatisiert und Schulden sozialisiert werden. Auf der gemeinsamen Pressekonferenz lobte auch Außenminister Edgars Rink?vi?s den Juncker-Plan als Anreiz für die Wirtschaft. Er sieht Vorteile für das eigene Land: "Nun müssen wir selber darüber nachdenken, in welcher Weise wir nach Möglichkeit mehr Mittel für die Entwicklung der Bereiche Energiewirtschaft, Transport, Wissenschaft und Forschung bereitstellen. In Riga wurde der Grundstein für die Gestaltung einer Energie-Union gelegt. Ich denke, dass dies unter den heutigen Umständen für Lettland besonders bedeutsam ist, wenn wir unsere hundertprozentige Abhängigkeit von russischem Gas in Betracht ziehen."
Außenminister Edgars Rink?vi?s, Foto: https://eu2015.lv/lv/medijiem/foto#!order:latest/from:63Ab 2017 bessere Verständigung zwischen Europäern
Nach Einschätzung des ehemaligen EU-Parlamentariers Jürgen Klute kamen die Vorstellungen des griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis Jean-Claude Junckers Plänen recht nahe. Dieses Pflänzchen der Zusammenarbeit ist inzwischen zertreten, die lettische Ratspräsidentschaft geht mit einem Fiasko zuende. Noch ist nicht klar, welches Geld die Griechen zukünftig aus den Bankomaten ziehen werden. Auch wenn auf den ernsten Gesichtern lettischer Politiker so manche Krokodilsträne rinnen mag - schließlich sind auch die Regierenden Lettlands Parteigänger deutscher Austeritätspolitik - auch wenn in lettischen Gazetten schon so manch giftiger Kommentar über die "faulen Griechen" zu lesen war - verglichen mit der Besserwisserei und hysterischen Häme, mit der sich Deutsche ihre Meinung BILDen, berichten lettische Journalisten derzeit nahezu sachlich über die Athener Turbulenzen. Experten kommen zu Wort, die voraussagen, dass die griechische Zahlungsunfähigkeit die lettische Wirtschaft kaum treffen werde. Das macht die Letten gelassener als die Deutschen, die mit ihrer Wut auf Griechenland von der eigenen Verantwortung für die miserable Lage in Europa ablenken. Dass der Neo-Merkantilismus der deutschen Exportchauvinisten keinen Bestand haben wird, weil er die eigenen Kunden in den Ruin treibt, hat sich bis zur Washington Post herumgesprochen. Doch zuletzt sei noch etwas Positives von dem verkündet, was sich die Letten auf ihre rot-weiß-roten Fahnen schreiben: Ab 2017 soll es in der EU keine Roaming-Gebühren mehr geben. Das könnte die Verständigung zwischen Europäern verbessern.
Externe Linkhinweise:
freitag.de: Gesine Schwan - Politik wird durch Zwang ersetzt
washingtonpost.com: Europe is destroying Greece’s economy for no reason at all
lsm.lv: ES prezident?ra devusi p?rliec?bu – Latvijai lieli uzdevumi ir pa sp?kam
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