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Frank Walter Steinmeiers Nato-Kritik und Reaktionen lettischer Webleser
07.07.2016


Die lettische Furcht vor dem "Steinmeier-Lawrow-Pakt"

Die Kritik des deutschen Außenministers an den Nato-Militärmanövern nahe der russischen Grenze wurde auch in Lettland vernommen. Steinmeier hatte in der "Bild am Sonntag" Mitte Juni gewarnt: "Was wir jetzt nicht tun sollten, ist durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen" und hinzugefügt: "Wer glaubt, mit symbolischen Panzerparaden an der Ostgrenze des Bündnisses mehr Sicherheit zu schaffen, der irrt". Vor einigen Wochen beteiligten sich Nato-Soldaten, darunter 400 Bundeswehrangehörige, an der polnischen Großübung "Anakonda". Hinter den Kulissen stritten sich laut spiegel.de Steinmeier und andere Diplomaten mit der antirussisch eingestellten polnischen Regierung und baten um Mäßigung. Im Spiegel-Forum spaltet sich die Leserschaft in zwei Gruppen: Die eine teilt die Sorge Steinmeiers, die andere hält die verstärkte Nato-Präsenz für erforderlich. Tvnet.lv zitierte die Sätze des sozialdemokratischen Politikers. Die Meinung der lettischen Leserschaft ist weitgehend einhellig. Sie unterstellt dem deutschen Außenminister, im Sinne des Kremls zu handeln. Die Einschätzungen zu Russland spalten die Europäer. Das hat historische Gründe.

Auch deutsche Waffen sind im Baltikum zu finden, Foto: „Marder1A3.5“ von Paula Guzman, 7th ATC Public Affairs - http://www.hqjmtc.army.mil, http://www.hqjmtc.army.mil/feature/bwtrain/. Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons.

 

Lettische Kommentare zur Kritik Steinmeiers

Die zehn von den Tvnet-Lesern am besten bewerteten Kommentare, Stand 7.7.2016, 8.40 Uhr (Versalien und Ausrufezeichen sind aus den Originaltexten übernommen).

Platz 1: "Guntis" meint, dass es Dialog nur dann geben könne, wenn der okkupierte Teil der Ukraine zur Ukraine zurückkehre.

Platz 2: "patriots" hält Steinmeiers Äußerung für eine unüberlegte Erklärung eines Nato-Außenministers!!!!! Man müsse den Grund dafür erforschen. Steinmeiers Tätigkeit und Äußerungen der letzten Jahre zeigten, dass dieser Herr sehr wahrscheinlich gemeinsam mit seiner Vorgesetzten Merkel einer der einflussreichsten Agenten des Kremls in Westeuropas politischer Elite ist. Bezeichnend sei es, mit welchem Außenminister (nur MINISTER!) Putin (Präsident!!!) in einem UNGEPLANTEN Treffen VIER Stunden reden würde??!! Selbst mit John Kerry nicht!!! Offensichtlich könne Russland Steinmeier SEHR ERNSTHAFT bloßstellen. Nach "patriots" Vermutung: Es könne sich um eine sorgfältig geheimgehaltene Liebe mit einem kleinen Jüngelchen handeln...

Platz 3: "Jukums" meint, dann solle Steinmeier selbst zu Putin fahren und versuchen, ihn zu überzeugen, sich aus der Ukraine zurückzuziehen, um die illegal eingenommene Krim zurückzugeben und die Bedrohung der Nachbarstaaten zu beenden. Man müsse aus Chamberlains Fehlern lernen.

Platz 4: "3nolaukiem" fragt, ob Deutschland für die Balten einen neuen Ribbentrop-Molotow-Pakt vorbereite.

Platz 5: "buratino" glaubt, dass der "Schröderismus" in Deutschland noch hoch im Kurs stehe. Ob es nicht gereicht habe, dass die "Befreier" der Roten Armee im Weltkrieg sechs Millionen deutsche Frauen vergewaltigt hätten.

Platz 6: "Za?pastala" fragt, ob der deutsche Außenminister sich ebenso gleichgültig verhielte, wenn sich an seinen Grenzen von beiden Seiten Iskander-Raketen befänden und ein Aggressorstaat mit unberechenbarem Verhalten. Die Nato-Kräfte befänden sich nicht im Baltikum, um irgendjemanden anzugreifen, sondern um im Ernstfall sich zu verteidigen, mehr noch, um einen militärischen Konflikt zu verhindern. Gerade Untätigkeit und militärische Schwäche schafften ein potenzielles Risiko.

Platz 7: "josifs" glaubt, dass Deutschlands Außenminister wahrscheinlich ebenso wie Merkel aus der DDR stamme!!! Deshalb krieche er auf allen Vieren vor Putin.

Platz 8: "Toto 3nolaukiem" meint lediglich: "Steinmeier-Lawrow-Pakt"

Platz 9: "J?nis Lielozols" glaubt schon an Steinmeiers Gesichtszügen zu erkennen, dass seine Wurzeln in Russland zu finden seien, im Prinzip ein Agent der Vatniks [Slang-Bezeichnung für russische Nationalisten], der das Denken innerhalb der Gesellschaft steuere, so dass Russland niemals schlecht sei, dass man sehe, dass die Nato die Schlechten seien. Prinzipiell hätte die Nato bereits beim lettischen Eintritt reorganisiert werden müssen, um das Militärbündnis zu stärken.

Platz 10:"Op???" fragt derber als hier übersetzt, ob "Putler" für diesen Gefolgsmann des Kremls keine Arbeit habe.

Stalin und Ribbentrop

Moskau, 24. August 1939: Handschlag Stalins und Ribbentrops nach der Unterzeichnung des Nichtangriffspakts, Foto: Bundesarchiv, Bild 183-H27337 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5434059

Gegensätzliche historische Erinnerungen

In Leserforen ist viel Polemik am Werk. Doch der Hinweis auf Chamberlain und den Ribbentrop-Molotow-Pakt weist auf eine kollektive Erfahrung der Letten: Nach der Einigung zwischen Hitler und Stalin im Jahr 1939 überfielen die Armeen beider Diktatoren die mittelosteuropäischen Länder. Auch Lettland war nacheinander dem Einmarsch der Roten Armee und der Wehrmacht ausgeliefert. Die baltischen Staaten waren keinem Bündnis angeschlossen, militärischer Widerstand hätte nur sinnloses Blutvergießen bedeutet. Die Historikerin Vita Krievi?a resümierte in ihrem Geschichtsbuch1 die Folgen: "Lettland verlor annähernd 500.000 Menschen, unter ihnen waren 280.000 Flüchtlinge; annähernd 80.000 [meistens von der SS zwangsrekrutierte] Legionäre, mehrere zehntausend gefallene lettische Soldaten in Reihen der Roten Armee, 75.000 ermordete Juden, 20.000 zur Zwangsarbeit Deportierte, im Partisanenkampf Gefallene usw." Krievi?a schätzt, dass Lettland etwa ein Fünftel seiner Bevölkerung verlor. Diese Erinnerung wirkt bis heute nach, sie bestimmt das skeptische Verhältnis zu Russland, wurde durch die russische Intervention in der Ukraine wieder gegenwärtig und steht der deutschen Haltung entgegen: Krieg bedeutet für die deutsche Gesellschaft, sich von der Herrschaftselite für fragwürdige bis verbrecherische Zwecke missbrauchen zu lassen. Opferbereitschaft bis zum Tod erwies sich in zwei Weltkriegen nicht als Heldentum, sondern als absurde Untertanengefolgschaft und auch die neueren Angriffe und Einmischungen außerhalb des Nato-Gebiets, an denen sich Bundeswehr-Soldaten beteiligten, sind vom Jugoslawien-Krieg über den Afghanistan-Einsatz bis zu den Überflügen deutscher Tornado-Piloten über syrisches Kriegsgebiet umstritten, die Ergebnisse fragwürdig. Hinzu kommt die Ahnung, dass ein Atomkrieg mit Russland die völlige Zerstörung des deutschen Territoriums zur Folge hätte. So verwundert eine Umfrage des britischen Meinungsforschungsinstituts Yougov kaum, die von der lettischen Webseite nra.lv zitiert wird. Demnach befürworten nur 9 Prozent der Deutschen das, was auf dem Nato-Gipfel in Warschau am 8. und 9.7.2016 beschlossen werden soll: Die Stationierung von mehreren hundert Bundeswehr-Soldaten in einem baltischen Land, wahrscheinlich in Litauen. Gleichwohl halten 49 Prozent der Befragten eine Einmischung Russlands im Baltikum für möglich, wie sie vor zwei Jahren auf der Krim erfolgt sei. 30 Prozent glauben hingegen nicht an eine russische Intervention. 64 Prozent unterstützen Steinmeiers Kritik an der Nato und an deren mangelnde Dialogbereitschaft mit Russland.

 

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Externe Linkhinweise:

daserste.de: Säbelrasseln: NATO rückt an russische Grenze vor

spiegel.de: Steinmeier kritisiert Nato-Manöver

spiegel.de: Militärmanöver in Polen: Im Würgegriff der "Anakonda"

tvnet.lv: V?cijas ?rlietu ministrs kritiz? NATO m?c?bas Austrumeirop?

nra.lv: Pavisam neliela da?a V?cijas iedz?vot?ju atbalsta karav?ru izvietošanu Baltijas valst?s

lsm.lv: NATO programm? Kan?da uz Latviju nos?t?s 1000 karav?rus

lsm.lv: Bergmanis: Latvij? izvietojamo NATO karav?ru skaitu un bru?ojumu uzzin?s sarun?s p?c Varšavas samita

lsm.lv: Po?u ministrs Macerevi?s: NATO j?pieprasa Krievijai izvest karasp?ku no Ukrainas

sargs.lv: Gaisa sp?ku avi?cijas b?z? izvietos p?rvietojamo Gaisa kontroles un zi?ošanas centru

1Vita Krievi?a, Latvijas V?sture, ?ss izkl?sts, 2. Aufl., Riga 2006, S. 139




 
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