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Asylsuchende in Lettland
07.04.2016


Die Flucht endet ungewollt in Mucenieki

Leichen in MossulDie Prozentzahl erscheint dramatisch: In den knapp vier Jahren zwischen 2011 und Oktober 2015 erhöhte sich die Zahl jener, die in Lettland Asyl suchten, verglichen mit dem Zeitraum von 1998 und 2010, um 343 Prozent. Menschen aus Irak und Afghanistan, denen in Russland die Abschiebung in ihre Herkunftsländer droht, suchen Zuflucht im EU-Gebiet. Gemäß dem Dubliner Abkommen ist das EU-Land für sie zuständig, dessen Territorium die Asylsuchenden zuerst erreichen. Was in relativer Zahl problematisch klingt, bleibt in absoluten Zahlen ziemlich übersichtlich. Lettlands restriktive Asylpolitik gewährt nach wie vor nur Wenigen Zuflucht. Dies ermittelten Marija Golubeva und Marta Rikša in ihrer kleinen Erhebung für die Nichtregierungsorganisation "Providus".

Leichen in der irakischen Stadt Mossul, Foto: Original uploader was Riverwood124 at en.wikipedia - Transferred from en.wikipedia, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4371793

 

Mehr als die Hälfte sind Iraker

Zwischen 2011 und Oktober 2015 baten 1259 Personen in Lettland um Asyl. Zwischen 1998 und 2010 waren es nur 367 gewesen. Golubeva und Rikša ermittelten aus den Daten der Migrationsbehörde, dass Lettland zwischen 2010 und 2014 nur 43 Personen den Flüchtlingsstatus und 98 einen "alternativen Status", also einen befristeten Aufenthalt gewährte. Somit erlangten lediglich 12,4 Prozent der Antragsteller das unbefristete Aufenthaltsrecht, das ist im EU-Vergleich ein ziemlich niedriger Anteil. Trotz der Ankündigung der Regierung Straujumas 2014, zukünftig eine offenere Asyl- und Migrationspolitik zu betreiben, habe sich bislang kaum etwas geändert. So lautet das Fazit der Autorinnen. Sie befragten 21 der 98 Bewohner des Asylbewerberheims von Mucenieki über ihre Fluchtgründe und ließen sie ihre Situation in Lettland bewerten. Mehr als die Hälfte der Flüchtlinge stammen aus dem Irak, die nächstgrößte Gruppe aus Afghanistan. Drei Syrer leben derzeit in dieser Unterkunft. Einige Heimbewohner bestiegen mit gefälschten Pässen ein Flugzeug in der Türkei. Ein Teil gelangte mit Hilfe von Schleppern über die russische Grenze zu Fuß nach Lettland. In Russland befürchteten sie wegen fehlender oder ungültiger Pässe die Abschiebung ins Heimatland. Krieg und Terror gaben die meisten als Fluchtursache an. Obwohl kaum jemand Lettland als Ziel hatte, eher zufällig über die lettische Grenze EU-Gebiet erreichte, werten zwei Drittel der 21 Befragten ihre bisherigen Erfahrungen in Mucenieki als "gut" (10 Antworten) oder "teilweise gut" (6). Bemängelt wird allerdings die medizinische Versorgung und fehlender drahtloser Zugang zum Internet. Einige berichteten über schlechte Erfahrungen mit Festnahmen. Über ihre rechtliche Situation wollten sich die Flüchtlinge nicht äußern.

Asylbewerber in der EU 2015

Anzahl der Asylbewerber im Jahr 2015, Foto: Happenstance, edited by J. Patrick Fischer - Eigenes Werk, using File:BlankEurope.png, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=47360120

Vergeblich Deutsch gelernt

Golubeva und Rikša erkundigten sich bei den Flüchtlingen ungeachtet der Äußerungen in öffentlichen Debatten, welche Asylsuchende pauschal als wenig gebildet, gleichgültig oder den Menschenrechten gegenüber feindlich gesinnt charakterisierten und ihnen unterstellten, lediglich an den sozialen Leistungen des aufnehmenden Landes interessiert zu sein. Von den Befragten haben drei keine berufliche Ausbildung, drei eine geringe Qualifikation, drei sind Facharbeiter, ebenso viele technische Spezialisten, jeweils zwei sind Hauswirtschafterinnen oder haben eine Qualifikation im Dienstleistungssektor. Außerdem befinden sich in der befragten Gruppe ein Polizist, ein Unternehmer, ein IT-Spezialist, ein Ingenieur, ein Soldat und ein Übersetzer. Letzterer könnte bereits viel zu tun haben, denn in Lettland fehlen Kenner für Arabisch, Kurdisch und weitere Sprachen. Die Autorinnen wählten zwei Zitate, um Probleme zu verdeutlichen, die durch fragliche Regelungen verursacht werden. Ein Iraker beschreibt die Folgen für sich und seine Familie. Zunächst seien sie in der Kriegszeit 2003 nach Deutschland geflohen, wo sie mehrere Jahre in einem Asylbewerberheim verbracht hätten. Seine Frau habe Deutsch gelernt. Er selbst habe sich etwas Deutsch angeeignet und von Mitbewohnern im Heim auch etwas Russisch. Später, als deutsche Behörden der Ansicht waren, dass es ungefährlich sei, in den Irak zurückzukehren, seien sie zurückgeschickt worden. Wegen des "Islamischen Staats" im Irak hätten sie sich dann wieder auf die Flucht begeben, denn seine Frau sei Christin und sie fürchteten, verschleppt zu werden. Er habe nicht die ganze Zeit mit dem Gedanken leben können, ob seine Kinder zuhause sicher sind oder nicht. Ein Syrer schildert seine Situation während des Studiums in Sankt Petersburg, als er seinen Pass nicht verlängern konnte: Das syrische Konsulat habe von ihm gefordert, nach Syrien zurückzukehren, um das Dokument verlängern zu lassen. Er habe gewusst, dass man ihn in seinem Heimatland in die Armee eingezogen hätte, um Kriegsdienst zu leisten. Mit anderen sei er aus Russland geflohen. Ein "Begleiter" habe mit ihnen die lettische und später die estnische Grenze zu Fuß überschritten. Ihr Ziel sei gewesen, mit der Fähre Schweden zu erreichen. Doch sie seien aufgegriffen und nach Lettland zurückgeschickt worden, weil sie dort erstmals EU-Gebiet betreten hätten. Golubeva und Rikša wollen mit ihrer kleinen Erhebung erste Informationen bereitstellen, um Lettland auf die Aufnahme weiterer Flüchtlinge vorzubereiten. Straujumas Regierung hatte mit der EU vereinbart, in den nächsten Jahren mehrere hundert Flüchtlinge aus Italien und Griechenland zu übernehmen. Das dürfte den relativen Anstieg der Flüchtlingszahlen nochmals dramatisch steigern - doch in absoluten Zahlen wird die Zahl der Asylbewerber weiterhin überschaubar bleiben.



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