Lettland baut Zaun an der Grenze zu Russland
24.03.2016
Die Verdrahtung der EU-Außengrenze
Wie sich die Zeiten ändern: Statt in einem gemeinsamen Haus Europa zu wohnen, wovon einst Michael Gorbatschow träumte, verschanzen sich Nationen neuerdings hinter Zäunen. Die EU verwandelt sich in eine zerstrittene Kleingartensiedlung, in der Budenbesitzer ihre Hecken mit Maschendraht abdichten. Nach Ungarn und anderen EU-Staaten sind nun auch Esten und Letten dabei, sich mit Maschen- und Stacheldraht abzugrenzen. Beide Länder haben begonnen, jeweils über 90 Kilometer lange Zäune an ihrer Grenze zu Russland zu errichten. Lettlands Zaunbauer sind seit Ende 2015 zugange und haben bereits ein Teilstück fertiggestellt.
Das große Vorbild: Der ungarische Grenzzaun, Foto: Von B?r Benedek - https://www.flickr.com/photos/borbenedek/21428822521, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=43589769
Diskussion um die Zaunqualität
In diesem Jahr wird für 1,8 Millionen Euro 24 Kilometer Zaun errichtet. Bis zum Jahr 2020 soll er eine Länge von 92 Kilometern erreichen. Dafür will die lettische Regierung insgesamt 17 Millionen Euro bereitstellen. Zudem könnte das eiserne Geflecht auf 193 Kilometer erweitert werden. Die lettisch-russische Grenze ist 276 Kilometer lang. 83 Kilometer davon bestehen aus Sümpfen oder sonstigen natürlichen Hindernissen, die keines Zauns bedürfen. Gints Švalkovskis ist Experte der "Žogu fabrika" (=“Zaunfabrik“), jener Produktionsstätte in Riga, die den Ungarn im letzten Jahr Stacheldraht für den „pretimigrantu žogs“ (Gegen-Immigranten-Zaun) lieferte. Er kritisiert die „schwache“ Zaunqualität: Der Draht sei nur halb so dick wie der ungarische und könne mit einer Kneifzange leicht durchtrennt werden. Außerdem sei der Stacheldraht in der lettischen Ausführung nur in der Höhe von 2,70 Meter und nicht am Boden der Maschendrahtsperre angebracht - so zitiert ihn lsm.lv am 18.3.2016. Im selben Artikel verteidigt Grenzschützer Mariks Petrušins die lettische Variante: Der Zaun sei im Hinblick auf Nützlichkeit und Angemessenheit geplant. Man habe auch die Berliner Mauer „anknabbern“ können, wie man gesehen habe, ungeachtet dessen, auf welche Weise sie errichtet wurde. Petrušins ist überzeugt, dass sich mit Vorbereitung und Technik jedes Grenzhindernis überwinden lasse. Die Funktion des Zauns sei es, unvorbereitete und schnelle Grenzübertritte zu verzögern. Lettlands oberster Grenzschützer Normunds Garbars erklärte gegenüber diena.lv am 2.3.2016, dass der Zaun dort gebaut werde, wo seine Leute nicht innerhalb einer Stunde einen Grenzübertritt bemerken würden. Die Abzäunung entspricht den lettischen Vorstellungen, die Flüchtlingsfrage zu „lösen“: Darunter verstehen osteuropäische Regierungen eine stärkere Verriegelung der EU-Außengrenzen.
Auch Spanien sichert seine Enklaven in Afrika mit Zäunen, die an den Eisernen Vorhang erinnern, Foto: Von Ongayo - Eigenes Werk, GFDL, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4824689476 „Grenzverletzungen“ als Rekord
Laut lsm.lv sind die Meinungen der Grenzbewohner über das unnatürliche Hindernis geteilt. Die einen bezweifeln seine Wirksamkeit, die anderen halten es für notwendig. Eine Frau namens Vita aus der Grenzgemeinde Baltinava fürchtet sich besonders vor Viren, die Grenzgänger einschleppen könnten, denn die ärztliche Versorgung in ihrer Region sei sehr gering. Der Zaun richtet sich gegen jene, die sich nach lettischem Recht des „illegalen Grenzübertritts“ schuldig machen. Das waren in früheren Jahren meistens Schmuggler. Doch auch an der EU-Ostgrenze werden nun häufiger Flüchtlinge und Immigranten gesichtet. Im letzten Jahr stellten lettische Grenzschützer 476 „Grenzverletzungen“ fest. Das war ein Rekordwert, dreifach höher als im Vorjahr. 301 illegale Grenzüberschreiter gelangten über Russland nach Lettland, diese Zahlen nannte irlv.lv am 3.3.2016. Der größte Teil seien Vietnamesen und Afghanen gewesen, andere kämen aus Russland, Irak, Indien, Pakistan und Syrien. Die Grenzschützer nehmen Immigranten oder Flüchtlinge fest, die gar nicht in Lettland bleiben wollen. Vietnamesen beispielsweise zieht es nach Polen, wo bereits Verwandte oder Bekannte leben. 87 Personen seien wegen möglicher illegaler Beförderung von Menschen über die Staatsgrenze festgenommen worden. Unter ihnen befinden sich lettische, russische, estnische und polnische Staatsangehörige. Gegen 66 von ihnen wurden Ermittlungen aufgenommen und 25 verurteilt.
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