Die EU-Kommission behindert Lettland weiterhin bei der Abwehr von Land Grabbing
04.11.2017
„allzu restriktiv und diskriminierend“
Das lettische Landwirtschafts-ministerium hat am 3. November 2017 sich öffentlich gegen die Vorwürfe der EU-Kommission gewehrt (diena.lv). Nach seiner Auffassung seien die geforderten Lettischkenntnisse, die der Gesetzgeber verlangt, um landwirtschaftliche Flächen zu erwerben, nicht „diskriminierend“ gegen Bürger anderer EU-Mitgliedstaaten, denn der Vorteil, den die Gesellschaft dadurch erhalte, sei größer zu erachten als der Nachteil, den diese Hürde für ausländische Interessenten mit sich bringe. Ein Tag zuvor hatten die lettischen Medien mitgeteilt, dass die EU-Kommission auch den erneuten Versuch des lettischen Gesetzgebers beanstandet, Bauern vor Land Grabbing zu bewahren.
Ackerböden sind weltweit begehrte Kapitalanlagen, Foto: Asier Sarasua Garmendia - Asier Sarasua Garmendia, CC BY 3.0, Saite
Das juristische Gerangel zwischen der EU-Kommission und Lettland hält nun schon lange an. Bereits vor vier Jahren versuchten die lettischen Parlamentarier ein Gesetz durchzubringen, das die eigenen Landwirte vor der Konkurrenz vermögender ausländischer Investoren schützt. Zum Beispiel kaufte ein schwedischer Pensionsfonds lettische Ackerflächen lediglich zur Spekulation an. Die Folge solcher Investitionen waren steigende Bodenpreise, die sich heimische Bauern nicht mehr leisten konnten (LP: hier).
Damals verpflichteten die Brüsseler den lettischen Gesetzgeber, einige Bestimmungen wieder herauszustreichen. Der ausländische Käufer sollte nun u.a. nicht mehr nachweisen müssen, ein qualifizierter Landwirt zu sein und er durfte 4000 statt 2000 Hektar Land in seinen Besitz bringen. Im März 2017 novellierten die Saeima-Abgeordneten das beanstandete Gesetz. Es sieht nun vor, dass ein Kaufinteressent lettische Sprachkenntnisse nachweisen muss, um vor einer kommunalen Kommission erläutern zu können, wie er das Land zukünftig nutzen will. Zunächst war nur der Nachweis der niedrigsten Sprachstufe A1 gefordert (LP: hier).
Solche Anfängerkenntnisse hielt Staatspräsident Raimonds Vejonis realistischerweise für ungeeignet, um einer örtlichen Kommission Rede und Antwort zu stehen. Er schickte der Saeima die Novelle zur Überarbeitung zurück. Die Parlamentarier besserten nach, verlangten fortan B2-Kenntnisse, welche bereits einem recht fortgeschrittenen Sprachniveau entsprechen. Damals stellte die LP fest: „Vermutlich begnügten sich die Parlamentarier nur deshalb mit der niedrigsten Sprachstufe, um nicht erneut den Argwohn der EU-Kommission zu wecken. Mal sehen, wie es weiter geht.“ (LP: hier).
Die Vermutung war richtig. Die EU-Kommission kritisiert nun die geforderten Sprachkenntnisse und auch die Bestimmung, dass die Käufer sich vorrangig in Lettland aufhalten sollen. Bereits im Mai 2017 hatte sie neben Lettland auch den Nachbarn Litauen sowie Bulgarien, Ungarn und die Slowakei gewarnt. Ihre nationalen Rechtsvorschriften zur Eindämmung von Spekulationskäufen beschränkten „den freien Kapitalverkehr und die Niederlassungsfreiheit“ und die Kommission drohte damit, diese Mitgliedsländer vor dem EU-Gerichtshof in Luxemburg zu verklagen, falls sie die Gesetze „nicht binnen zwei Monaten mit dem EU-Recht in Einklang“ brächten. Die Rechtsvorschriften müssten verhältnismäßig sein und dürften „andere EU-Bürger nicht diskriminieren“ (europa.eu).
Am 12. Oktober, das Ultimatum war längst verstrichen, veröffentlichte die EU-Kommission einen „Leitfaden“ zur gesetzlichen Regelung des Handels mit Agrarflächen (europa.eu). Darin gestehen die Brüsseler den Mitgliedsländern nur zu, was die Richter des EU-Gerichtshofs „unter bestimmten Voraussetzungen“ schon erlaubt hatten: Die Genehmigung des Landkaufs durch nationale Behörden, Beschränkungen bei der Flächengröße, Vorverkaufsrechte für Pachtlandwirte, Nachbarn, Miteigentümer oder öffentliche Einrichtungen sowie staatliche Preisregulierungen. „Diskriminierend“ und mit EU-Recht nicht vereinbar sei es hingegen, zur Selbstbewirtschaftung zu verpflichten, Unternehmen den Kauf von Landflächen zu verbieten oder als Voraussetzung für den Kauf landwirtschaftliche Qualifikationen zu verlangen.
Die Rechtfertigung der EU-Kommissare liest sich wie die Quadratur des Kreises: „Agrarland ist ein knappes und besonderes Gut, das besonderen Schutz verdient. Daher sehen einige Mitgliedstaaten Beschränkungen für den Verkauf von Agrarflächen vor. Ausländische Investitionen sind jedoch auch eine wichtige Kapitalquelle, sie bringen die technologische Entwicklung voran und fördern die Entstehung und Verbreitung von Wissen. Außerdem können sie zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität beitragen und Unternehmen den Zugang zu Finanzmitteln erleichtern. Die EU-Vorschriften zum freien Kapitalverkehr sind für grenzüberschreitende Investitionen von entscheidender Bedeutung.“ Damit bekennen sich die Brüsseler zu ihrem Glauben an die Segnungen des sogenannten „freien Kapitalverkehrs“. Kritiker dürften einwenden, dass die Freiheit des Kapitals im Agrarsektor zur umstrittenen Industrialisierung und einer Überproduktion führt, die, zu Dumpingpreisen in Afrika abgesetzt, dortige Märkte zerstört und Migration mit verursacht.
Am 2.11.2017 verkündete die EU-Vertretung in Lettland, dass sich die Brüsseler Kommission bezüglich der geforderten Lettischkenntnisse und der Beschränkungen des Aufenthaltsortes ausländischer Käufer „besorgt“ zeige (lsm.lv). Das lettische Landwirtschaftsministerium rechtfertigt nun die geforderten Sprachkenntnisse mit Beispielen aus der Praxis, unabhängig vom ideologischen Konflikt um Kapitalfreiheit. Sie seien notwendig, um die wachsenden Risiken in der Agrarproduktion zu bewältigen, Arbeitssicherheit zu gewährleisten und Unglücksfälle zu vermeiden. Es habe mehrere Fälle gegeben, in denen landwirtschaftlich Tätige ihre Gesundheit und die Umwelt wegen mangelnder Lettischkenntnisse gefährdet hätten. Landwirte ohne Sprachkenntnisse verstehen weder lettische Vorschriften noch können sie die Ratschläge staatlicher Veterinäre oder Kontrolleure befolgen, deren erste Fremdsprache, falls sie älter sind, eher Russisch als Englisch ist.
Der Artikel kann – trotz des eventuellen Vorwurfs, Bericht mit Kommentar zu mischen – nicht ohne Sprachkritik beendet werden. Den neoliberalen Neusprech der EU-Kommission einfach zu übernehmen, bedeutete, ihrer Ideologie auf den Leim zu gehen. Da ist zunächst der Missbrauch des Wortes „Diskriminierung“, das im alltäglichen Gebrauch die Abwertung und Entrechtung benachteiligter Minderheiten bedeutet: Flüchtlinge, Migranten, Erwerbslose, Bettler, Schwule, Prostituierte oder auch von Mehrheiten, die sich machtpolitisch in einer schwächeren Position befinden, z.B. Frauen in der derzeitigen Sexismus-Debatte. Was allerdings ist in diesem Sinne „diskriminierend“, wenn eine Regierung versucht, die wenig vermögenden einheimischen Bauern vor der weitaus kapitalkräftigeren Konkurrenz aus dem Ausland zu schützen? Es ist irreführend, dies als diskriminierend zu bezeichnen. Ebenso ideologisch ist die Wendung vom „freien Kapitalverkehr“, als sei frei strömendes Kapital ein grundlegendes Bürger- und Menschenrecht, das allen im gleichen Maß zugute komme. Müsste es nicht von staatlicher Kontrolle entfesselter Kapitalverkehr heißen, der weltweit die Kapitalkonzentration in wenigen Händen vorantreibt? Aber das wäre wohl zu prosaisch formuliert in der schönen neoliberalen Welt der EU-Kommissare.
Externe Linkhinweise:
youtube.de: Ausverkauf in Afrika - Der Kampf ums Ackerland
youtube.de: Die neuen Großgrundbesitzer Das Geschäft mit Europas Boden
youtube.de: Landwirtschaft, das ganz große Geschäft der Konzerne
Atpakaï