Lettland: Schlechte Note im Klimaschutz
31.05.2017
Durchschnittstemperatur 0,7 Grad höher als vor 50 Jahren
Über das Wetter lässt sich mit Nachbarn oder Unbekannten gut Small Talk führen, Sonne gut, Regen schlecht. Darüber kann man kaum in Streit geraten und zwischen den Menschen herrscht dann eitel Sonnenschein. Heikler ist es schon, sich mit Mitmenschen über das Klima und dessen Erwärmung bzw. Wandel zu verständigen, denn das kann die Gemüter schnell erhitzen. Zwar sind sich die Klimaforscher ziemlich sicher, dass der Temperaturanstieg hauptsächlich menschengemacht ist, weil er viel rascher erfolgt als in früheren Erdzeiten. Doch sogenannte Klimaskeptiker, von der Ölindustrie gefördert (bund-rvso.de), leugnen den Wandel oder verharmlosen die Folgen und haben nun mit Donald Trump den mächtigsten Politiker auf ihrer Seite. Lettland hat als EU-Mitglied das Übereinkommen von Paris vor zwei Jahren ratifiziert. Damit bekennt sich die mittlere Baltenrepublik zum Ziel, den von Menschen verursachten Temperaturanstieg deutlich unter zwei Grad Celsius zu halten. Doch Kritiker werfen den Letten zu wenig Engagement in der Klimapolitik vor. Ein Grund dafür liegt in einer verlockenden Prognose. Die EU-Umweltagentur sagt vorher, dass die nördliche Ostseeregion zum Profiteur höherer Temperaturen werden könnte.
Wolkengebilde über Lettland, Foto: LP
Größere Ernten, weniger Heizkosten
Die lettische Durchschnittstemperatur stieg in den letzten 50 Jahren um 0,7 Grad an. Das verkündeten Vertreter des Umweltministeriums auf einer Konferenz am 31.3.2017 (lsm.lv). Andris Viksna, Vertreter des Lettischen Zentrums für Umwelt, Geologie und Meteorologie, prognostiziert, dass der Temperaturanstieg in den nächsten 50 Jahren im schlimmsten Fall weitere 3 bis 5 Grad betragen könne (lsm.lv). Dann hätte Lettland ähnliche Werte wie derzeit Großbritannien, London, Frankreich. Die Winter werden milder, auf weiße Weihnacht besteht in Riga schon jetzt keine Garantie mehr. Extreme Wetterlagen könnten sich häufen: Starkregen, 20 Grad warme Sommernächte, Unwetter, Überschwemmungen. Herbst und Frühling verlängern sich zulasten der winterlichen Jahreszeit. Viksna argumentiert abwägend. Der Klimawandel, der für Lettland tatsächlich Klimaerwärmung bedeutet, habe sowohl negative wie positive Folgen. Für die Volkswirtschaft sei günstig, dass sich die Vegetationsperioden verlängerten. Auf den Feldern könnten dann bis zu zwei Monate länger Gemüse und Getreide gedeihen. Der Optimismus, dass Klimawandel für die Balten vielleicht gar nicht so schlecht ist, nährt sich aus der Studie „Climate change, impacts and vulnerability in Europe 2016“ der EU-Umweltagentur. Diese ist insgesamt zwar als Warnung aufzufassen, sieht aber für die baltische Region Vorteile (eea.europa.eu): Zwar wird auch hier das Wetter extremer, gefährlicher, doch die Studie prophezeit größere Ernten, mehr Tourismus, weniger Heizkosten und mehr Wasser für die Stromerzeugung. Das begrüßen die LSM-Journalisten Toms Bricis und Sanda Blomkalna. Sie glauben, dass für die Letten der Klimawandel eine Chance sein könnte. Allerdings gestehen sie, dass Lettland diesen Wohlstand wird kaum genießen können, wenn es den Bewohnern anderer Regionen zu nass, stürmisch oder heiß wird und beispielsweise die Südeuropäer nordarfrikanisches Wüstenklima ertragen müssen. Da dürfte zwischen den ganzen Zeltlagern für Klimaflüchtlinge, die dann nicht nur aus Somalia und Äthiopien kommen werden (nzz.ch), kaum noch Platz für Touristen bleiben. Zudem ist man der Ansicht, Klimawandel wirke auf die nördlichen Gemüter stimmungsaufhellend: „Es ist völlig subjektiv, doch im Bewusstsein, dass der größte Teil der lettischen Einwohner mir zustimmen wird. Die langen Winter und die kurzen Sommer sind sowohl für Balten als auch Skandinavier eine Qual. Zwar verringert der Klimawandel nicht die Dunkelheit des Winters, denn die Erde wird sich weiter auf derselben Bahn mit derselben Geschwindigkeit um die Sonne drehen […] aber Frost, Eis und Schnee werden seltener.“
Gülle ist ein Klimaproblem, Foto: Mehlauge - eigenes Archiv, GFDL, Link
Lettland: „Very poor“
Die lettische Politik zeigt beim Erreichen der vereinbarten Klimaziele kaum Ehrgeiz. Im „EU Climate Leader Board“ (carbonmarketwatch.org) von „Transport and environment“, einer Dachorganisation ökologisch orientierter Verkehrsverbände, rangiert Lettland auf den hinteren Plätzen. Nur Spitzenreiter Schweden wird mit 67 von 100 Punkten als „gut“ eingestuft. Deutschland und Frankreich, die zweit- bzw. drittplatzierten, müssen sich schon mit der Note „mäßig“ begnügen. Von den 27 EU-Staaten (Malta war aufgrund seiner Ratspräsidentschaft offenbar mit der Datenpreisgabe überfordert) ist Polen das Schlusslicht (2 von 100 Punkten), davor rangiert ein Septett aus Mitgliedstaaten (9 von 100 Punkten), das sich wie der Letzte ebenfalls die Note „very poor“ einhandelt: Tschechien, Spanien, Kroatien, Italien, Rumänien und neben Lettland der südliche Nachbar Litauen. Österreich liegt übrigens auf Platz 16 und hat die Note „poor“. Femke de Jong und Carlos Calvo Ambel, die Autoren der Studie, werfen den EU-Ländern vor, das Rahmenprogramm Effort Sharing Regulation (ESR) der EU-Kommission kaum zu beachten. Dieses erfasst jene Treibhausgasemissionen, die nicht vom europäischen Emissionshandel ETS erfasst werden. Unter ESR fallen 60 Prozent aller emittierten Treibhausgase (dnr.de). Die klimaschädlichen Gase kommen aus dem Verkehr, der Landwirtschaft und aus privaten Haushalten. Die EU-Kommission plant seit drei Jahren, dass die Mitgliedsländer im Jahr 2030 davon 30 Prozent weniger ausstoßen sollen als im Jahr 2005. Selbst diese Verringerung reicht aber nicht aus, um das Pariser Abkommen zu erfüllen. Und die EU-Mitgliedstaaten hinken noch weiter hinterher. De Jong und Ambel kritisieren, dass Lettland ein Bremser in der Klimapolitik ist. Es nutze Schlupflöcher und wolle die Ausgangswerte anheben, von denen aus reduziert werden soll. Außerdem habe das Land keinen Plan, die Vorgaben der Kommission umzusetzen. Die ökonomisch noch in Transformation und Entwicklung steckende Baltenrepublik müsste bis 2030 nur sechs Prozent einsparen. Alda Ozola, Staatssekretärin im Umweltministerium, entgegnet, dass Lettland bereits viel erreicht habe (lsm.lv). Die Treibhausgasemissionen seien heutzutage 58 Prozent geringer als 1990. Doch zur Endzeit der lettischen Sowjetrepublik gab es noch viele Werkshallen und Fabrikschlote, die sich kurze Zeit später in Industriebrachen verwandelten, weil sie mit westlichen Konzernen nicht zu konkurrieren vermochten. Weniger Emissionen waren also nicht nur eine Folge der lettischen Umweltpolitik. Ozola erkennt an, dass in diesem Zusammenhang die Landwirtschaft besondere Probleme bereitet. Seit 2000 habe sich die Agrarproduktion stark vergrößert. Intensive Viehhaltung und Düngung schaden dem Klima: Kühe scheiden das Treibhausgas Methan aus, Gülle und Mist sondern das ähnlich bedenkliche Lachgas ab. Ein weiterer Wirtschaftszweig, der für die lettische Volkswirtschaft besonders wichtig ist, bereitet gleichfalls Klimaprobleme: das Transportgewerbe. Connie Hedegaard, ehemalige EU-Kommissarin für Klimaschutz, bezeichnet Landwirtschaft und Transport als die größten Herausforderungen.
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