Riga: Verkehrsreiche Deglavs-Brücke wird wegen Baufälligkeit gesperrt
24.04.2019
Sparpolitik verzögert notwendige Sanierungen
„Klar, dass die Schließung einer solch wichtigen Überführung in der Stadt Riga Chaos verursachen wird, sowohl im Netz des öffentlichen Nahverkehrs als auch bei der privaten Mobilität, dieser Beschluss wird Folgen haben. Derzeit bezeugt kein einziges Dokument Zweifel an der Brückenkapazität,“ meint Emils Jakrins, Baudezernent der Stadt Riga (diena.lv). Jakrins kommentierte mit dieser Einschätzung den Beschluss des Innenministers Sandis Girgens (KPV LV), die Deglavs-Brücke, eine verkehrsreiche Überführung in der Rigaer Innenstadt, ab 25. April 2019 von der Polizei sperren zu lassen. Zuvor hatten Kontrolleure der staatlichen Bauaufsicht BVBK den Zustand des Bauwerks, an dem bereits Sanierungsarbeiten stattfanden, überprüft und die Sperrung empfohlen. Jarkins dagegen hält eine beschränkte Weiternutzung für hinreichend sicher. Nachdem vor drei Wochen ein Minister den Rigaer Bürgermeister absetzte, greift die seit Ende Januar im Amt befindliche Regierung schon ein zweites Mal in Rigas Lokalpolitik ein.
Die Deglavs-Brücke ist ein unscheinbares Bauwerk, aber wichtig für Rigas städtischen Verkehr, Foto: Olgerts V - Own work, CC BY-SA 4.0, Link
„Meiner Auffassung nach nehmen Rigas städtische Institutionen die Gutachten der Experten nicht zur Kenntnis, zudem verzögern sie fortwährend, indem sie weitere Expertisen in Auftrag geben. Dabei werden Maßnahmen unterlassen, um die Sicherheit zu gewährleisten. Es gibt hinreichend viele Belege, dass die Brücke Menschenleben gefährdet. Deshalb habe ich entschieden, dass sie bereits ab Donnerstag gesperrt wird“, verkündete Girgens im Lettischen Radio (diena.lv). Er sieht sich dazu von Amts wegen berechtigt, weil ein Innenminister handeln müsse, um die öffentliche Sicherheit wieder herzustellen.
Girgens kann sich auf die Bedenken der staatlichen Bauaufsicht BVKB berufen. Deren Ingenieure hatten die Brücke, die gerade von einer litauischen Baufirma saniert wird, Anfang April überprüft. Unter anderem nahmen sie Probebohrungen an den tragenden Betonpfeilern vor. Statt auf hartem Beton seien sie auf eine sandige Masse gestoßen. BVKB-Ingenieur Peteris Gode äußerte über das vorläufig Begutachtete wenig Beruhigendes: „Sehr viel wird von den Stahlstangen gehalten. Wenn das langfristig bleibt, können sich die Träger absenken. Sie sind verbunden. So schlimm wird es nicht werden, dass sie alle auf einmal einstürzen, aber gut ist das nicht. Ich rate, dass man sie stärken muss. Das sind hohe Kosten, denn diese Brücke ist lang.“ (lsm.lv)
Die Kontrolleure ordneten an, die Bauarbeiten sofort einzustellen. Außerdem empfahlen sie, die Verkehrsader vollständig zu sperren. Die BVKB ist nämlich nicht befugt, diese Entscheidung selbst zu treffen. Die Sperrung könnte im Normalfall nur Rigas Baudezernat anordnen, nun tat es ein Minister der nationalen Regierung. Das 646 m lange Bauwerk, das den Straßenverkehr über eine Eisenbahntrasse führt, wurde 1966 eröffnet. Es verbindet Rigas Zentrum mit dem Stadtviertel Purvciems. Über die Brücke, die nach dem lettischen Schriftsteller Augusts Deglavs benannt ist, führen u.a. neun Buslinien, auf denen monatlich etwa 1,7 Millionen Fahrgäste befördert werden (lsm.lv).
Rigas Bauderzernent Jakrins sieht hingegen keinen Grund, die Deglavs-Brücke vollständig abzuriegeln (diena.lv). Ihr Zustand habe sich in den letzten zehn Jahren kaum verändert. Er sei nicht besonders gut, deshalb erfolgten die Baumaßnahmen. Er beruft sich auf das Gutachten des Ingenieurbüros, das von der Stadt mit der Planung der Brückenarbeiten beauftragt wurde. Im Gegensatz zu den BVKB-Experten, die die Brücke nur vorläufig und lediglich nach Augenschein überprüft hätten, basierten die Kenntnisse der Planer und der städtischen Experten auf gründlichen Berechnungen und ergänzenden Kontrollen. Eine visuelle Begutachtung reiche nicht, um eine Sperrung zu rechtfertigen. Die Stadt hatte den Verkehr bereits von vier auf zwei Spuren beschränkt. Fahrzeuge, die über 30 Tonnen schwer sind, dürfen die Brücke nicht mehr benutzen. Die städtischen Linienbusse sind leichter und durften bislang weiterhin die Deglavs-Brücke überqueren.
Die Debatte um die Brückensperrung erweist sich als fortgesetzter Machtkampf zwischen der nationalen Regierung, die aus fünf Fraktionen des rechtsliberalen und nationalkonservativen Lagers besteht, und der Rigaer Ratsmehrheit, in der Saskana den Bürgermeister stellt. Diese Partei vertritt die Interessen der russischstämmigen Minderheit. Regierungsnahe Politiker betreiben die Entlassung des Stadtrats. Juris Puce, Minister für regionale Entwicklung und Politiker des Wahlbündnisses „Attistibai/Par!“, entließ kürzlich Bürgermeister Nils Usakovs, dem er mangelnde Beaufsichtigung des städtischen Verkehrsbetriebs Rigas Satiksme und dessen Subventionierung vorwarf (LP: hier). Der stadteigene Betrieb war immer wieder in Korruptionsaffären verwickelt, zuletzt wurde beim Ankauf neuer Busse und Bahnen Schmiergeld gezahlt (LP: hier).
Der Zustand der Deglavs-Brücke entfacht polemische Auseinandersetzungen, an der sich Ministerpräsident Krisjanis Karins (Jauna Vienotiba) beteiligt. „Wenn man nicht in die Infrastruktur investiert, sondern nur in Freifahrscheine und andere Wohltaten, um Stimmen zu erhalten … kommen wir alle dahin, wo wir jetzt sind,“ äußerte Karins im Privatsender LNT seine Kritik an Rigas Stadtregierung (diena.lv). Diese gewährt Rentnerinnen und Rentnern Freifahrten mit Bussen und Bahnen sowie Ermäßigungen für andere Gruppen, so dass der städtische Verkehrsbetrieb nicht kostendeckend arbeitet und mit Geld aus der Stadtkasse finanziert werden muss. Die Schulden von Rigas Satiksme vergrößern sich von Jahr zu Jahr und nähern sich der 300-Millionen-Euro-Marke. In Zeiten des Klimawandels gibt es allerdings stichhaltige Argumente, öffentlichen Nahverkehr aus sozialen und ökologischen Gründen zu subventionieren.
Rigas Kommunalpolitiker vermochten den Schuldenstand in den letzten zehn Jahren zu verringern, das ist der öffentlichen Haushaltsübersicht von 2017 zu entnehmen. Von 2005 bis 2009, also vor der Zeit, als Saskana mit einer Regionalpartei die Mehrheit im Stadtrat errang, schnellten die kommunalen Schulden von 188,2 auf 1.139,6 Millionen Euro hoch. Usakovs` Amtsvorgänger hatten sich u.a. bei der Finanzierung der vierten Straßenbrücke über die Daugava verschätzt (LP: hier). Bis 2017 reduzierte die Stadtregierung die städtischen Schulden auf 896,4 Millionen Euro. Jedoch sind die Defizite von Rigas Satiksme nicht eingerechnet, die sich seit 2008 mehr als verdoppelten.
Die Verpflichtung innerhalb der Euro-Zone die Maastrichtkriterien einzuhalten und Schulden abzubauen betrifft auch kommunale Haushalte. So verzögern sich wichtige Investitionen in den Erhalt öffentlicher Bauten. Im letzten Jahr wurden an der Daugava-Brücke Vansu Tilts zwei Treppen gesperrt, nachdem Betonteile herabgefallen waren (LP: hier) und auch die mittlere Straßenbrücke über die Daugava, die Salu Tilts, wurde erst saniert, als sich bereits Beton gelöst hatte. Rigas Brückenbauten stammen überwiegend aus sowjetischer Zeit und sie wurden lange nicht erneuert. Verkehrsdezernent Jakrins befürchtet einen Investitionsstau bei den Brücken und Überführungen, die meistens 40 bis 50 Jahre alt sind. Man könne nicht erwarten, dass sie sich in einer wunderbaren Verfassung befinden, wenn niemand in sie investiere, meinte er in einem Interview mit dem Lettischen Radio (lsm.lv).
Weiterer LP-Artikel zum Thema:
Lettlands Brücken rosten für den Fiskalpakt
Externer Linkhinweis:
deutschlandfunkkultur.de: Marode Brücken in NRW: zahllose Risse aber immer noch in Betrieb
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