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Lettland: Von 23 aufgenommenen Flüchtlingen befinden sich bereits 21 in Deutschland
09.09.2016


Regierung bekennt das Scheitern ihres Integrationsplans

Flüchtlinge am Budapester OstbahnhofIm August meldete das Lettische Rote Kreuz: Mehr als die Hälfte der anerkannten Flüchtlinge hätten Lettland nach wenigen Monaten wieder verlassen. Die Organisation betreute laut lsm.lv im Frühjahr 63 Personen. Dazu zählten illegale Grenzüberschreiter und jene 23 Flüchtlinge, die seit Februar im Rahmen des EU-Umverteilungsprogramms aufgenommen wurden. Die lettische Regierung hatte dem EU-Kommissionspräsidenten Jean Claude Juncker zugesagt, 531 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland zu übernehmen und zudem 250 neue Asylbewerber ins Land zu lassen. Doch von den 23 Menschen aus Syrien, Irak und anderen Krisengebieten haben 21 nach wenigen Monaten Lettland wieder verlassen. Sie alle reisten nach Deutschland, weil sie an der Rigaer Bucht kein Auskommen fanden. Die lettische Regierung hatte im letzten Jahr die Unterhaltszahlungen pro Flüchtling gekürzt.

Flüchtlinge am Budapester Hauptbahnhof, die EU-Staaten zeigen sich im Hinblick auf die faire Verteilung von Flüchtlingen kaum solidarisch, Foto: Elekes Andor - Eigenes Werk, CC-BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=43699979

 

Fehlendes Geld und wenig Verständnis

Lsm.lv befragte dazu den Ehemann des einzigen Pärchens, das von den 23 Aufgenommenen noch in Lettland geblieben ist. Die beiden kamen im Februar aus Griechenland. In Mucenieki wurde ihnen der "alternative Status" gewährt, der einen befristeten Aufenthalt ermöglicht. Der Mann namens R.* ist Eritreer. In seiner Heimat herrscht eine der schlimmsten Diktaturen, die der Planet derzeit zu bieten hat. Er und seine Frau flohen über den Sudan, Ägypten, Türkei bis nach Griechenland. In Eritrea arbeitete er als Fachkraft in einem staatlichen Hotel, lernte Englisch und von seinen Freunden Arabisch - in Lettland wertvolle Kenntnisse, weil kaum ein Lette das Arabische beherrscht. Im Flüchtlingsheim Mucenieki arbeitet R. als Übersetzer. Seine Frau verdient als Frisörin etwas hinzu. Das Paar mietete eine Einzimmerwohnung in der Nähe des Aufnahmelagers. Das Geld für die ersten Mietzahlungen lieh ihnen ein Heim-Mitarbeiter. R. verwundert die Lage nicht. Er weiß, weshalb die meisten seiner Schicksalsgefährten die Baltenrepublik gleich wieder verlassen. Ihnen fehlt einfach das Geld, um in Lettland zu leben. Das eritreische Pärchen musste sich nicht nur Geld leihen, um eine kleine Wohnung zu beziehen, manchmal fehlt auch das Geld, um Lebensmittel zu kaufen. R. halte im Bus nach Kontrolleuren Ausschau, weil er sich keine Fahrkarte leisten kann. Manche Mentoren, so nennt man die Helfer in Mucenieki, verhielten sich kalt und ohne Verständnis für die Flüchtlinge. R. erinnert sich an einen Mann, der Probleme mit seinen Augen hatte. Für die Fahrt zum Arzt fehlte ihm das Geld. Er habe einen Mentor gebeten, ihm Geld für einen Fahrschein zu geben. Dieser habe gesagt, dass auch ihm Geld fehle, er hätte es von seinem eigenen Honorar zahlen müssen. Den Helfern fehlten selbst die Mittel, um wirksame Arbeit zu verrichten. Im Gegensatz zu anderen EU-Ländern müssen Flüchtlinge das Aufnahmelager verlassen, wenn sie nach drei Monaten dauerhaftes Asyl oder eine befristete Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Inzwischen hat R. schon etwas Lettisch gelernt - eine beachtliche Leistung, denn die lettische Regierung finanziert nur 20 Stunden Unterricht.

Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze

Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze, Foto: Bundesministerium für Europa, Integration und Äusseres - Arbeitsbesuch Mazedonien, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=42827116

Konkurrenz zwischen Flüchtlingen und sozial Benachteiligten

Die blamable Meldung über den Verbleib der Flüchtlinge beschäftigte in dieser Woche die Regierung. Ilze P?tersone-Godmane, Staatssekretärin des Innenministeriums, bekannte gegenüber lsm.lv, dass der Integrationsplan nicht funktioniere. Das Hauptproblem seien die Kürzungen. Im letzten Jahr verringerte die Regierung die Unterstützungszahlungen pro Flüchtling. Bis dahin erhielt jeder Asylbewerber 256 Euro im Monat, jetzt soll ein Familienoberhaupt mit 139, die übrigen Familienmitglieder sollen mit 97 Euro auskommen. Die Zahlungen sind auf neun bis zwölf Monate befristet. Hinzu kommen die Schwierigkeiten, eine Arbeit und eine Wohnung zu finden. So gesehen macht Lettland mit den Flüchtlingen noch ein Geschäft, denn pro Aufgenommenen erhält es 6000 Euro aus dem EU-Programm. Es sei offensichtlich, dass das Land nicht seinen Verpflichtungen nachkomme. Ministerpräsident M?ris Ku?inskis bezeichnete es als freie Wahl der Flüchtlinge, das Land wieder zu verlassen. Lettland habe noch keine Erfahrung und man müsse noch lernen. Er prognostiziert, die Flüchtlinge im nächsten Jahr als Arbeitskräfte zu benötigen. Denn dann will Ku?inskis mit Hilfe von EU-Fonds einen Bauboom entfachen. Es ist davon auszugehen, dass die Regierung die Ausgaben kürzte, um der skeptischen Stimmung unter den Wählern zu folgen. Im chronisch wirtschaftsliberal regierten Lettland sind die Einkommensunterschiede größer und die Sozialleistungen geringer als in den meisten anderen EU-Ländern. Auch viele sozial benachteiligte Letten sind gezwungen, das Land zu verlassen, um in Großbritannien, Schweden oder Deutschland nach einer menschenwürdigen Existenz Ausschau zu halten. Flüchtlinge und die lettische Unterschicht konkurrieren um die Ressourcen eines unterfinanzierten Sozialstaats. Laut dem lettischen Statistikamt betrug die lettische Durchschnittsrente im zweiten Viertel dieses Jahres monatlich 278,10 Euro - also kaum mehr als der Satz für Flüchtlinge im letzten Jahr - die monatliche Sozialhilfe beträgt 64,03 Euro, ist aber für Invalide und sonstige Gruppen etwas höher. Den höchsten Satz zahlt der lettische Staat übrigens im Bedarfsfall für die Beerdigung, 498,84 Euro (Stand 2015). Doch dieser Betrag ist einmalig.

 

*Auch R. und seine Frau sind inzwischen in Deutschland. In den lettischen Medien wird ein Name des Mannes angegeben. Gegenüber dem Deutschlandfunk wünschte der Eritreer, dass sein Name nicht genannt werde, hier der DLF-Bericht:

Dlf.de: "Hier in Lettland, das ist weder Leben noch Sterben"

 

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