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100jähriges Jubiläum der lettischen Zentralbank “Latvijas Banka”, Teil 1
10.11.2022


Die erfolglose Suche nach privaten Anlegern wich der Sorge um ausländischen Einfluss

Hauptgebäude von Latvijas Banka in der Rigaer Innenstadt, es wurde von Augusts Reinsbergs entworfen, Foto: Mettmann, CC BY 3.0, Saite

Am 7. September 1922 beschloss die gewählte verfassungsgebende Nationalversammlung die Gründung einer lettischen Staatsbank. Dafür stellte die Regierung Kapital im Wert von 10 Millionen Gold-Lats bereit. Die Bank sollte die neue Währung herausgeben. Der Lats ersetzte die Übergangswährung Lettischer Rubel, die dem Finanzministerium unterstanden hatte. Der Aufbau einer Zentralbank hatte sich um mehrere Jahre verzögert. Im kriegsgebeutelten Land stand zunächst kaum Kapital zur Verfügung und lettische Finanzpolitiker hatten nach der Staatsgründung auf private ausländische Anleger gehofft.


Die Ereignisse des Weltkriegs und des anschließenden republikanischen Befreiungskriegs ruinierten das Geldsystem. Bis 1913 war Riga eine Bankenmetropole gewesen. Zwei Jahre später fürchteten Kurländer und Livländer den Anmarsch der deutschen Armee, die bereits völkerrechtswidrig Belgien erobert hatte, wobei die Entente Propagandaberichte über tatsächliche und erfundene Gräueltaten der deutschen Reichswehr verbreitete. Die Furcht vor den Deutschen ließ hunderttausende Kurländer und Livländer ins russische Landesinnere fliehen. Dorthin nahmen sie ihre Ersparnisse mit. Die Vertreter der neuen Republik mussten ab 1919 das Finanzwesen wieder aufbauen und das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen, ihr Geld auf lettischen Banken anzulegen. Der unabhängige Staat benötigte eine eigene Währung, deren Kurs der wirtschaftlichen Lage angepasst werden konnte. Dafür war eine Bank mit besonderem gesetzlichen Status notwendig, die das Recht hatte, Geld auszugeben und Leitzinsen zu bestimmen.


Mehrere Jahre versuchten lettische Finanzpolitiker, ausländische Kapitalanleger für die Gründung einer Zentralbank zu gewinnen. Nach angelsächsischem Vorbild sollte sie als Aktiengesellschaft organisiert werden. Historikerin Anita Lipse, die die Geschichte von Latvijas Banka recherchierte, zitiert die Argumente eines Vertreters des damaligen Finanzministeriums, V. Abolins: “Unser Wirtschaftsleben leidet unter den ungeordneten Finanzverhältnissen und wegen des Kreditmangels. Das Land ist zerstört und das Geldkapital in der Kriegszeit verschwunden. Wir haben keine Mittel, um aus eigener Kraft das Wirtschaftsleben zu erneuern; wir können keinen Kredit finden, denn noch haben wir nicht genügend Vertrauen in den Reihen der Kapitalbesitzer erlangt.” Deshalb plädierte Aboltins für ein privatwirtschaftlich organisiertes Geldinstitut: “Um dieses Institut zu gründen, das das volle Vertrauen im In- und Ausland genießt, werden unsere eigenen Mittel nicht ausreichen. Es ist notwendig, ausländisches Kapital einzubeziehen. Doch diese Möglichkeit besteht nur dann, wenn man diese Bank auf kommerzieller Basis organisiert, den Ausländern Aussichten auf Dividenden gibt, die vielleicht sogar die im Ausland üblichen übertreffen. Außerdem werden die Ausländer eine entsprechende Beteiligung an der Geschäftsführung fordern.” (bank.lv)


Seit dem Winter 1919/20 begaben sich Politiker und Diplomaten ins Ausland, um mit möglichen Kapitalanlegern zu verhandeln. Sie sprachen mit Abgesandten des britischen Unternehmers Harold H. Fortington, mit dem US-Amerikaner Paul Klopstock, einem Vertreter der Société Commerciale Industrielle et Financiére pour la Russie und vielen weiteren möglichen Geschäftspartnern. Im Finanzministerium wurden Pläne entworfen, ausländische Investoren zu beteiligen, ohne ihnen die Mehrheit zu überlassen. Doch die privaten Anleger hatten andere Vorstellungen. Die Aussichten auf eine lettisch-britische Zentralbank scheiterten ebenso wie die Vorhaben eines lettisch-finnischen oder eines baltischen Geldinstituts mit hoheitsrechtlichen Aufgaben. (bank.lv)


Noch im März 2022 hoffte die lettische Regierung auf ausländische Kapitalbeteiligung. Nun war vorgesehen, Latvijas Banka als Aktiengesellschaft mit einem Grundkapital im Wert von 75 Millionen Gold-Lats zu gründen, ein Drittel davon sollte aus dem lettischen Budget kommen, das übrige von ausländischen Anlegern, davon der größte Teil aus den befreundeten Ländern USA, Großbritannien und Frankreich. Die Privatanleger hätten im Vorstand mit entscheiden können, ob die Bank aus ihren Gewinnen lettischen Institutionen und staatlichen Unternehmen Kredite gewährt oder nicht. In Washington sprachen lettische Diplomaten mit Frank A. Vanderlips, der am Federal Reserve Act beteiligt gewesen war, dem Gesetz, das kurz vor dem Weltkrieg zur Gründung der Fed, der US-Notenbank führte, an der Privatbanken beteiligt sind. Doch die Verhandlungen blieben letztlich erfolglos. Das erhoffte Kapital kam nicht zusammen. Schließlich zweifelten lettische Finanzpolitiker, ob der Einfluss ausländischer und privater Anleger auf Lettlands zukünftige Währung überhaupt wünschenswert ist. Dazu stellte Aleksandrs Karklins, Mitarbeiter im Finanzministerium, fest: “Vor Ort ist nichts Liquides vorhanden und der private Diskontsatz ist zu hoch, was privates Kapital davon abhält, sich an einer Zentralbank mit geringerem Profit zu beteiligen. Und, wenn es uns bislang nicht gelungen ist, solch eine Bank AG zu gründen, mag ich das nicht als Übel ansehen. Wenn sich auch privates Kapital bei der Bankgründung beteiligte, dann käme es aus uns feindlich gesinnten ausländischen Kreisen, um Macht und Einfluss auf die Notenbank zu erlangen. Wir Letten haben so gut wie keine finanziellen Mittel. Und deshalb hätten wir eine Zentralbank, die unabhängig von der Regierung, aber abhängig von Ausländern ist. Wir würden zu Sklaven ausländischen Kapitals und Politik.”


Am 19. September 2022 folgte die Regierung dem Beschluss der Nationalversammlung, eine staatliche Zentralbank ohne private Beteiligung zu gründen (bank.lv). Das Grundkapital bildeten 10 Millionen Gold-Lats. Zentralbank und die Währung Lats bestanden bis zum Überfall der Roten Armee am 17. Juni 1940. Nach der Wiedererlangung staatlicher Unabhängigkeit erhielt Lettland ab 1992 wieder eine unabhängige Zentralbank und die Währung Lats, die 2014 dem Euro wich. Seitdem ist die lettische Zentralbank, Latvijas Banka, eine Filiale der Frankfurter EZB. Mitarbeiter der Deutschen Bank berieten die Letten beim Wiederaufbau ihres Finanzwesens. Darüber mehr im zweiten Teil.


Udo Bongartz 

 

100jähriges Jubiläum der lettischen Zentralbank “Latvijas Banka”, Teil 2 (lcm.lv) 




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