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Asja Lacis: “Revolutionär im Beruf”, Teil 3
30.07.2021


“Erste Szene. Jetzt geht es Schlag auf Schlag” - Deutsches Arbeitertheater

Regisseur Erwin Piscator war ein bekannter Vertreter des proletarischen Revuetheaters, Foto: Gemeinfrei, Link

 

Herausgeberin Hildegard Brenner nahm für den Sammelband1 übersetzt Lacis` russische Schrift “Revolutionäres Theater in Deutschland” von 1935 auf.2 Der Text erinnert an ein weithin vergessenes Kapitel deutscher Literaturgeschichte zur Zeit der Weimarer Republik: Die Aktionen der Agitprop-Gruppen und der Arbeitertheater der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Die Lektüre ermöglicht Aufschluss über eine Theaterszene, die ihre Aufführungen als Teil des politischen Kampfes betrachtete. Lacis` Beschreibungen erweisen sich allerdings als parteilich; sie verdeutlichen die engen Grenzen sowjetischer Ideologie, in der die Realität sich der Propaganda anpasste.

 

SPD UND KPD

Seit dem Ersten Weltkrieg war die deutsche Arbeiterschaft politisch gespalten. Der größte Teil der sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten hatte 1914 zugunsten des nationalen “Burgfriedens” mit der Monarchie den Kriegskrediten zugestimmt und damit akzeptiert, die eigenen Wähler der Front auszuliefern. Dagegen regte sich linker Widerstand, aus dem zu Beginn der Weimarer Republik die KPD hervorging, die sich wiederum an den autoritären, bald totalitären Methoden der sowjetischen Machthaber orientierte. Die deutschen Arbeiterinnen und Arbeiter hatten also die Wahl zwischen gemäßigten Sozialdemokraten, die sich zwar um soziale Reformen bemühten, aber die ungleichen Besitzverhältnisse weitgehend unangetastet ließen und revolutionären Kommunisten, die den Kapitalismus mit aller Gewalt beseitigen wollten. Der Streit zwischen den beiden Arbeiterparteien erfreute eine dritte, die sich zwar ebenfalls “Arbeiterpartei” nannte (obwohl sie, vom Werkzeugmacher Anton Drexler mal abgesehen, von vermögenden Bürgern und Kleinbürgern gegründet wurde), deren völkische und antisemitische Ideologie aber im krassen Gegensatz zu der an Gleichheit und Internationalismus orientierten, marxistisch geprägten Arbeiterbewegung stand. Die Feindschaft zwischen den beiden linken Parteien erleichterte den ebenso antiliberalen wie antikommunistischen Nationalsozialisten den Aufstieg bis zur Machtergreifung.

 

REVOLUTIONÄRES THEATER

Die Spaltung der Arbeiterschaft hatte Folgen für die linke Theaterkultur. Die sozialdemokratischen Vereine favorisierten das Berufstheater und bürgerliche Klassik; sie vernachlässigten das Arbeitertheater zugunsten von Lustspielen und Schwank (archiv-datp.de). Die Theatermacher der KPD und ihres Jugendverbands waren hingegen von sowjetischen Proletkult-Aktivitäten inspiriert worden. In ihrem Umkreis entwickelte sich in den zwanziger Jahren ein experimentelles und improvisierendes Agitprop-Theater, das sich unmittelbar an das Arbeiterpublikum richtete. Stellvertretend für die zahlreichen, heute meist vergessenen Vertreter sei hier Regisseur Erwin Piscator genannt, der mit seinen Revuen “Roter Rummel” und “Trotz alledem!” die revolutionäre Theaterform maßgeblich prägte. Lacis kannte ihn gut. Sie hatte ihm bei Filmaufnahmen in der Sowjetunion assistiert.

Lacis zitiert aus Jakob Altmeiers Geschichte des Piscatortheaters. Die Stelle verdeutlicht, weshalb bei Piscator-Aufführungen großer Andrang herrschte: Seine Revue thematisierte die Konflikte und Gegensätze des Alltags, den das Publikum kannte:  

 

"Vorhang hoch! Erste Szene. Jetzt geht es Schlag auf Schlag. Ackerstraße - Kurfürstendamm. Mietskasernen - Sektdielen. Blaugoldstrotzender Portier - bettelnder Kriegskrüppel. Schmerbauch und dicke Uhrkette. Streichholzverkäufer und Sammler von Zigarettenstummeln. Hakenkreuz - Fememörder - Was machst du mit dem Knie, lieber Hans - Heil dir im Siegerkranz. Zwischen den Szenen: Leinwand, Kino, statistische Zahlen, Bilder! Neue Szenen. Der bettelnde Kriegsbeschädigte wird vom Portier hinausgeworfen. Die Ansammlung vor dem Lokal. Arbeiter dringen ein und demolieren die Diele. Das Publikum spielt mit. Hei, wie sie da pfeifen, schreien, toben, anfeuern, die Arme schleudern und in Gedanken mithelfen ... unvergeßlich!"

Eine weitere Anregung erhielt das deutsche Arbeitertheater 1927 von den Gastspielen der “Blauen Blusen” aus der Sowjetunion, Laienschauspieler, die sich nach ihren Arbeitsuniformen benannt hatten. Sie montierten kurze Szenen, Sketche, Songs, Moritaten, Tanz und Pantomime. Deutsche Gruppen übernahmen diese Spielweise und hatten Erfolg. 1930 errangen kommunistisch orientierte Theatermacher auf dem Dortmunder Kongress des Arbeiter-Theater-Bunds die Mehrheit. Die Sozialdemokraten riefen mit mäßigem Erfolg ihre Mitglieder dazu auf, den Bund zu verlassen.

 

PROPAGANDA UND KUNST

Lacis zeigt an einem Beispiel, wie praxisnah das revolutionäre Theater orientiert war. Die Berliner Truppe “Rote Blusen” beabsichtigte, die Industriearbeiter rechtlich aufzuklären für den Fall, dass sie mit der Polizei in Konflikt gerieten. Auf der Grundlage von Felix Halles Ratgeber: “Wie verteidigt sich der Proletarier in politischen Strafsachen vor der Polizei?” spielten die Theater-Blusen eine Szene, die Lacis so beschreibt:

"[Sie] stellte eine Versammlung von Arbeiterinnen einer Betriebszelle der AEG in Berlin-Oberschöneweide dar. Bald nach Beginn der Versammlung wird das Gebäude umstellt, die Wache meldet rechtzeitig, daß `Schupos` kommen. Bevor die Spitzel im Haus sind, ist das wichtigste politische Material bereits vernichtet. Die Polizei versucht wie gewöhnlich, die Arbeiterinnen im Kreuzverhör zur Strecke zu bringen. Doch daraus wird nichts, weil die Arbeiterinnen den Beamten zeigen, daß sie die wenigen Rechte, die das Gesetz einem Beschuldigten zubilligt, zu nutzen wissen. Sie unterschreiben kein Protokoll, sondern fordern, daß man ihre Angehörigen benachrichtigt und ihnen erklärt, weswegen sie festgenommen werden. Auch während der Untersuchungshaft fallen sie nicht auf die üblichen Tricks herein, wie den, daß `die anderen bereits alles gestanden haben`; auch lassen sie sich nicht provozieren, wenn ihre Führer beschimpft werden."

Die Laiendarsteller besuchten Mietskasernen und Elendsviertel, um ihr Publikum zu finden. Nicht das zweckfreie Vergnügen, sondern der Appell zum politischen Kampf war das Ziel. Die Theatergruppen hatten den Auftrag, für die KPD Mitglieder zu werben. Sie verstanden ihre Tätigkeit als Propaganda.

Bevor die Polemik Joseph Goebbels` im gleichnamigen NS-Ministerium das Wort “Propaganda” für immer in Verruf brachte, war es ein gediegener Begriff gewesen. Einst bedeutete Propaganda, päpstliche Glaubens`wahrheiten` zu verbreiten und welcher Katholik hätte an ihnen gezweifelt? Edward Bernays, der in den USA lebende Neffe Sigmund Freuds, war ein Meister der kommerziellen Reklame und der psychologischen Kriegsführung. Er veröffentlichte 1928 das Buch “Propaganda”, in dem er die professionelle Fertigkeit darstellte, durch verdeckte psychologische Beeinflussung die Massen zu steuern. Als Goebbels sich dessen Theorie angeeignet hatte, redete Bernays fortan lieber über Public Relations.

So darf man Lacis nachsehen, wenn sie das Wort Propaganda damals noch unkritisch verwendete. Für sie bedeutete es, revolutionäre Erkenntnisse in die Tat umzusetzen. Nicht nur mit der sozialistischen Wahrheit, auch mit der Kunst bildete die Propaganda eine Einheit:

“[Die Agitprop-Gruppen] waren sich durchaus klar darüber, daß sie ihr propagandistisches Ziel nur erreichen, wenn sie ein bestimmtes künstlerisches Niveau besitzen. So stellen die ernsthaften Bemühungen um die künstlerische Form ein neues Moment dar.”

Zu dieser Form passte allerdings keine Satire, kein Kabarett, also keine beißende Ironie, die die ideologischen Glaubenssätze und deren heiligen Ernst als peinliches Geschwätz hätte bloßstellen können. Sie hätte dann in ihrer unfassbaren Vieldeutigkeit das eigene sozialistische Lager und dessen unantastbare Wahrheiten treffen können. Lacis beargwöhnt, dass sich fast alle Berliner Gruppen in Kabaretts verwandelt hatten:

Satire ist gut, und mit Satire seinen Gegner erledigen, zeugt immer von einer gewissen ideologischen Überlegenheit. Es gibt aber - und das muß betont werden - Probleme innerhalb unseres Kampfes, wo Satire nie und nimmer ein Mittel der Propaganda sein kann! Streikbruch, Solidarität, Kampf der Kirche (nicht mit Flausen - sondern Kampf um den katholischen Proleten), oder der Ruhrkampf 1920 (das Anwachsen und Abbröckeln bis zur gleichgültigen Verzweiflung hinunter), dieses wichtigste Problem des Bürgerkrieges (siehe Grünberg: `Brennende Ruhr`). Hier ist in tausend Fällen Satire einfach unmöglich! Und dann sollte uns die Veräppelung und Verblödung unserer Gegner nicht genügen!”

Als vorzügliches Format der Wahrheitsverkündung bot sich dagegen eine pädagogische Gattung, die Schülern und Studenten bekannt vorkommt:

Das gebräuchlichste Spielgenre vor der Wahl war das `Referat`, und zwar in erweiterter Form; statt kurzer, oberflächlicher Szenen mit Angriffen auf den Klassenfeind entfaltete es jetzt ein ganz vom Geiste des Marxismus-Leninismus durchdrungenes Bild unseres Kampfes. Besonders hervorzuheben sind die Referate `Komintern`, aufgeführt vom `Roten Sprachrohr`, `Lenins Kommando` (`Rote Raketen`), `Die 3. Internationale` (`Kolonne Links`) und eine Antikriegsszene (`Rote Fackeln`).”

 

DIE FEINDBESTIMMUNG

Die revolutionäre Propaganda bestimmte pauschal und überindividuell den Feind, mit dem nicht zu verhandeln war und dessen perfide Tricks durchschaut werden mussten. Für Kommunisten bedeuteten nicht nur unverbesserliche Monarchisten, reaktionäre Militärs und profitsüchtige Unternehmer eine Gefahr; mit ihnen gleichgesetzt wurden die Abtrünnigen der Revolution, die Sozialdemokraten. Die SPD hatte mit rechtsradikalen Freikorps kooperiert, um den linken Widerstand zu brechen. Nach Lacis habe sie “schon damals Züge des Sozialfaschismus” angenommen. Sozialdemokraten waren aus kommunistischer Sicht Erfüllungsgehilfen der Bourgeoisie, die ihre kapitalkräftigen Mittel besaß, die Massen zu manipulieren. 

Kunst und Kultur der Herrschenden bezweckten, die arbeitende Klasse vom Elend der sozialen Ungerechtigkeit abzulenken und ihr den Gedanken an den Klassenkampf abzugewöhnen. In ihrem Dienst stand das bürgerliche Theater, das sich “sorgsam” bemüht habe, “die Tatsachen zu verschleiern”. Im Dienst der Bourgeoisie sah Lacis auch die professionellen Schauspieler, die die kapitalistischen Verhältnisse für sich zu nutzen wussten und sich auf Kosten des Kollektivs bereicherten. Jene Umjubelten, die Lacis als “Koryphäen” bezeichnet, gelten heutzutage als “Stars” und beschäftigen Presse, Funk und Fernsehen wie eh und je:

"Das Hauptproblem für die Theaterdirektoren waren jetzt die `Koryphäen`. Je schwieriger sich das Publikum ins Theater locken ließ, desto wertvoller - und teuerer - wurden Schauspieler mit zugkräftigem Namen. Unter Ausnutzung der Lage forderten und erhielten solche Künstler immense Gagen. Elisabeth Bergner z.B. bezog über tausend Mark pro Abend, oder sie verlangte einen bestimmten Prozentsatz der eingespielten Summe. Auf diese Weise machten sich privilegierte Schauspieler zu Teilhabern der einzelnen Theaterunternehmen. Sie bedingten sich die besten Rollen aus und nahmen Einfluß auf ihre Vergabe wie auch auf die Inszenierung. Die ganze Aufführung, d.h. die vergesellschaftete Arbeit einer ganzen Gruppe von Künstlern und Mitwirkenden, lief auf die Herausstellung einer einzelnen Person, eben des privilegierten Aktionärs hinaus.”

Lacis` schrieb im Propagandamodus mit leichter Feder über bourgeoise Demagogie, Polizeiterror und Sozialfaschismus. Bei der Benennung der Leichen im eigenen Lager versagte ihr Schreibgerät aus Gründen, die im nächsten und letzten Kapitel erörtert werden. Die bolschewistische Bewegung glich einer verlogenen Familie, deren Mitglieder sich öffentlich in der Nachbarschaft über Ladendiebe empörte, während sie ihren Missbrauch und hemmungslose Gewalt an den eigenen Kindern verschwieg.

 

ANTIFASCHISTISCHES THEATER

In Deutschland haben sich KPD-Mitglieder der Nazi-Herrschaft tapfer erwehrt. Sie kamen als erste in Hitlers KZ. Schon 1930 wurde in Deutschland das Agitprop-Theater verboten. Proletarische Laiendarsteller warnten mit den Mitteln des Improvisationstheaters, es gelang ihnen, die Polizei zu täuschen, Lacis nennt ein Beispiel:

Ein überfüllter Bahnsteig der Berliner U-Bahn. In der Menge fällt plötzlich ein Mann in Ohnmacht. Unter den Menschen, die sich um den Gestürzten drängen, kommt es zu spontanen Diskussionen. Jemand ruft: `Ein Arbeitsloser!` Ein anderer erzählt die Geschichte dieses Unglücklichen. Ein dritter meldet sich zu Wort und entlarvt die soziale Ungerechtigkeit der bürgerlichen Gesellschaftsordnung. Ein weiterer preist das Programm des `Dritten Reiches` an, das Programm der Nationalsozialisten. Doch da mischt sich sein Nachbar ein, er gibt dem Nationalsozialisten `Zunder` und legt die Grundsätze der Kommunistischen Partei dar. Als die Fahrgäste schließlich in den eingefahrenen Zug einsteigen und über den Vorfall und die Diskussion nachdenken, kommen weder sie noch der auf dem Bahnsteig postierte Polizist auf den Gedanken, daß Ohnmacht und Diskussion inszeniert waren und sie dem Auftritt einer verbotenen berliner Agitproptruppe beigewohnt haben, die unter den Bedingungen des bürgerlichen Terrors arbeitet.”

UB 

 

Quelle: 

1 Als PDF-Datei zu beziehen auf: Lacis_Asja_Revolutionaer_im_Beruf.pdf (monoskop.org). Die folgenden Seitenangaben beziehen sich auf diese Ausgabe.

2 S. 81-117

3 S. 83

4 S. 103f.

5 S. 101

6 S. 81

7 S. 107

8 vgl. S. 81

9 S. 85




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