Das Zanis-Lipke-Museum wird mit einem “Haus des Mutes” erweitert
10.04.2021
Zuviele sind darauf fixiert, was war und was ist
Das Zanis-Lipke-Museum, Foto: Ansis Starks CC BY-SA 4.0, Link
Izaks Drizins fand für seinen Retter folgende Worte: “Ich war für Zanis ein völlig fremder Mensch und ich konnte nicht verstehen, weshalb er das tat, als überall gemordet wurde. Der Mensch erwies sich als ein Wunder - seelenruhig die zum Todgeweihten zu retten. Geld nahm er nicht, Kommunist war er nicht und ich konnte nicht begreifen, weshalb er eine solche Last auf sich nahm und sich jeden Tag selbst in Todesgefahr brachte.” (lv.wikipedia.org) So beschreibt Drizins den Rigaer Hafenarbeiter Zanis Lipke, der mit seiner Frau Johanna zur Zeit der deutschen Besatzung mehr als 50 jüdische Bürgerinnen und Bürger versteckt hielt und so vor den Massenerschießungen der SS bewahrte. Israel würdigte die beiden in der Gedenkstätte Jad Vashem als “Gerechte unter den Völkern”. In der Nähe ihres Holzhauses auf der Daugava-Insel Kipsala im Zentrum Rigas versteckten sie die Verfolgten in einer ausgehobenen Grube. Das Gelände der Lipkes wurde hergerichtet und 2013 in Anwesenheit des israelischen Präsidenten Schimon Peres als Gedenkstätte eröffnet. Wie kamen die beiden zu ihren Einsichten und wieso fanden sie den Mut, für andere das eigene Leben zu riskieren? Solche Fragen veranlassten die Veranstalter der Gedenkstätte, Spenden zu sammeln, um das Gelände zu erweitern. Ein “Haus des Mutes” soll entstehen, wo in Zukunft Kinder und Jugendliche eigene Vorurteile und Stereotypen überprüfen sollen. Der Entwurf des Architekturbüros MADE arhitekti gewann den Wettbewerb. Die Kunstwissenschaftlerin Inga Steimane sprach mit den MADE-Architekten Mikelis Putrams und Linda Krumina über ihre Vorstellungen.
“Mutig sein ist nicht leicht, zu einer Minderheit zu gehören ist nicht leicht. Hassen und den anderen verdächtigen ist leichter, dafür muss man sich nicht besonders anstrengen. Aber wir wollen dennoch in einem Land leben, wo der Mitmensch ein Mensch ist. Wir wollen, dass unsere Gesellschaft mutiger, verantwortlicher und mitfühlender wird. Um derart zur Zusammenarbeit und Selbstkontrolle zu befähigen, ist es nicht erforderlich, auf einen Wink `von oben` zu warten. Dafür wollen wir arbeiten,” heißt es im Manifest auf der Webseite lipke.lv. Das Haus des Muts soll eine Übungsstätte für Kinder und Jugendliche werden, denn die Organisatoren sind davon überzeugt, dass man Mut wie einen Muskel trainieren müsse.
Das Interview zwischen Steimane, Putrams und Krumina thematisierte auch die fragwürdigen Verwendungen des Wortes “Mut” (lsm.lv). Steimane erinnerte daran, dass die politische und militärische Propaganda das Wort für aggressive Konzepte benutzte: Furchtlosigkeit, Heldentum, Kampfgeist, Männlichkeit, Unnachgiebigkeit; vielleicht sei das der Grund, weshalb in letzter Zeit von Mut nicht mehr so oft gesprochen werde. Um heutzutage Lösungen zu finden und Strategien zu entwickeln spiele Mut keine Rolle. Putrams entgegnete, dass sich das Wort mit der Zeit verwandelt habe. Mut zeige sich heutzutage in der Geduld, die bürokratischen Hürden zu überwinden, die die Welt daran hinderten, sich zu entwickeln.
Folgt man dem Interview bedeutet Mut für Architekten, wider den Zeitgeist neue Ideen für eine bessere Zukunft durchzusetzen. Linda Krumina verdeutlichte das am (unwirtlichen) Vorplatz des Dailes-Theaters in Riga: “Wenn wir uns nur darauf konzentrieren, was die Leute uns über den Platz sagen, wie viele Autos über die Straßen fahren oder wieviele Parkplätze sich auf den Bürgersteigen befinden, wenn wir das als Ausgangsposition nehmen, werden wir nicht weiterkommen, werden wir diesen Platz nicht menschenfreundlicher gestalten. Daher müssen wir in irgendeiner Weise vom Gegebenen abstrahieren, von dem sich die Stadt vielleicht selbst in einem größeren Zeitraum zu befreien versucht, um uns auf die größeren Ziele zu konzentrieren: Dass wir eine lebenswertere, grünere und für Fußgänger sicherere Stadt wollen.” Vorausschauende Architekten haben eine Vision zukünftiger städtischer Gestaltung und sie benötigen Mut, damit ein Publikum zu konfrontieren, das von der gegebenen städtischen Wirklichkeit, der autogerechten Stadt mit ihrem spezifischen Flächenverbrauch, mental geprägt ist. Putrams stimmte seiner Kollegin zu und beklagte, dass zuviele auf das fixiert seien, was war und was ist. “Aber Architektur vermag sich gerade nur dann auszudrücken, wenn sie die Zukunft schafft. Das können wir nicht bewerkstelligen, wenn wir die Vergangenheit kopieren, um bestehende Probleme zu lösen.” Für Krumina bedeutet Mut in der Architektur, an der usprünglichen Idee festzuhalten und sie nicht durch fremde Einflüsse zu verwässern. Sie zeigt sich eher bereit, ein Projekt aufzugeben, um nur das zu machen, was sie wirklich will.
Auf das “Haus des Muts” bezogen versuchen die beiden Architekten, es aus der Perspektive von Heranwachsenden und ihrer Probleme zu planen. Üblicherweise entwerfe man für Kinder und Jugendliche Spielplätze oder Stätten für die physische Betätigung. Doch an ihrer mentalen Situation werde kaum gedacht, als ob das für Jugendliche nicht erforderlich sei. Linda Krumina beschrieb das architektonische Konzept auf diese Weise: “Für das Haus des Muts hatten wir faktisch etwas gegensätzliche Ideen, die vorherrschen. Einerseits soll es der sichere, geschützte Ort sein, wo du dich öffnen und Mut antrainieren kannst; nicht derart, dass du dich irgendwelchen Schwierigkeiten aussetzen und bestehen musst, sondern dass du dich öffnest - so wird ein sicheres Obdach geschaffen. Andererseits folgen wir der heutigen Pädagogik, die den Raum oder Raumgruppen verbindet, als recht offene Einheit und Transparenz.”
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