Latviešu Centrs Minsterē

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Die "französische Gruppe" und der Maler Kurts Fridrihsons
11.11.2022


Das Haus, wo sich die Gruppe traf, Foto: Kleivas, Paša darbs CC BY-SA 4.0, Saite

Das Haus, wo sich die Gruppe traf, Foto: Kleivas, Paša darbs CC BY-SA 4.0, Saite

Am 11. November gedenken Letten am "Lacplesis"-Tag der Bermontiade, als lettische Soldaten 1919 die sogenannte "westrussische Befreiungsarmee" besiegten, an der deutsche Freikorps-Soldaten beteiligt waren. An diesem Tag, an dem man an Gedenkstätten und in manchen Fenstern das Licht roter und weißer Kerzen flackern sieht, erinnern sich Letten auch an andere historische Ereignisse, meistens an die schmerzlichen aus sowjetischer Zeit. Das Zentrum für Rigaer Kultur- und Volkskunst, Maza Gilde, zeigte am 11. November 2022 via Internet die Dokumentation "Sods par sapni" (Strafe für einen Traum) des Regisseurs Andris Rozenbergs. Er befragte 1994 Zeitzeugen zum Schicksal der "französischen Gruppe", die sich ab 1946 regelmäßig traf, um westeuropäische Kunst und Kultur zu besprechen. Das machte sie für den Geheimdienst NKWD verdächtig, dessen Agenten die 13 Kulturbeflissenen im Januar 1951 verhafteten. Die Künstler, Schauspieler, Schriftsteller, Übersetzer und Studenten wurden von einem Militärgericht zu hohen Haftstrafen in Gulag-Lagern verurteilt.


Am Ende des Krieges waren viele Bildungsbürger aus Furcht vor der rückkehrenden Sowjetmacht aus Lettland geflüchtet. Diejenigen, die blieben, mussten sich bei Meinungsäußerungen vor den sowjetischen Behörden in Acht nehmen. Die Teilnehmer an der "französischen Gruppe" waren sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, aber sie einte das Interesse an der Kultur jener Länder, die nun vom Eisernen Vorhang versperrt wurden. Sie trafen sich jeden Montagnachmittag bei dem Schauspielerpaar Irma und Arnolds Stubavs, das in einer geräumigen und geheizten Wohnung auf der Dzirnavu Straße 70 lebte, in der Nähe ihres Arbeitsplatzes, des Dailes-Theaters, das montags geschlossen blieb. Das Paar diskutierte mit seinen Gästen über Michelangelo, Gandhi, Tolstoi; aber das Land der Träume war vor allem Frankreich mit seinen Chansons und seiner Literatur. Die Gruppe verehrte besonders Albert Camus.


Das Treffen bezweckte, die Erinnerung an Aufenthalte in Paris und anderswo im Westen lebendig zu halten. Deshalb schrieben die Teilnehmer ihre Erlebnisse auf und trugen sie in Lesungen vor. Elza Sterste hatte an der Sorbonne studiert. Kurts Fridrihsons hatte sich nach dem Abschluss des Architekturstudiums ebenfalls vor Kriegsbeginn in Paris aufgehalten, dort Andre Gide kennengelernt. Der prominente Schriftsteller, Mitglied der französischen KP, war 1936 zu den Trauerfeierlichkeiten für Maxim Gorki nach Moskau gereist. Er musste feststellen, dass der Alltag des stalinistischen Regimes nicht seinen kommunistischen Vorstellungen entsprach. Seine kritischen Beobachtungen beschrieb er im Buch "Rückkehr aus der UdSSR", das in der Sowjetunion selbstverständlich zur verbotenen Literatur gehörte. Die Besprechung des Buchs wurde der Gruppe zum Verhängnis.


Ein Militärgericht verurteilte die Mitglieder zu langjährigen Haftstrafen. Die höchsten erhielten Elze Sterze, Ieva Lase und Kurts Fridrihsons, der als Organisator der Treffen galt. Obwohl das Gericht Beweise schuldig blieb, verurteilten die Militärrichter Fridrihsons zu 25 Jahren Haft in einem sibirischen Gulag-Lager. Die Ankläger warfen der Gruppe vor, antisowjetische Agitation betrieben zu haben, unterstellten ihr also politische Absichten, die die Teilnehmer gar nicht hatten. Nach dem Tod Stalins wurden die Strafen auf fünf Jahre verringert, danach konnten die Gefangenen nach Lettland zurückkehren.


2005 zeigte das Okkupationsmuseum die Ausstellung "Kurts Fridrihsons und die französische Gruppe" (archive.org). Im Mittelpunkt standen die Skizzen, die der Maler unter den widrigen Umständen seiner Gefangenschaft im Gulag-Lager bei Omsk anfertigte. Das Museum hat davon etwa 1500 Exemplare in seinem Bestand. Fridrihsons wurde 1911 als Sohn eines deutschstämmigen Weinhändlers in Riga geboren. Nach dem Besuch des deutschen Gymnasiums und dem Architekturstudium arbeitete er im Verlag Valters und Rapa und im Rigaer Museum für Stadt- und Schifffahrtsgeschichte. Nach seiner ersten Ausstellung rekrutierte ihn - offenbar zwangsweise - die deutsche Wehrmacht. Fridrihsons arbeitete für die Propagandaabteilung und desertierte im Herbst 1944. Sein Versuch, von Liepaja aus Schweden zu erreichen, scheiterte. Das sowjetische Militärgericht verurteilte ihn 1951 wegen Landesverrats, antisowjetischer Agitation, seinem Dienst in der Wehrmacht und der Leitung der "französischen Gruppe".


Gundega Repse gab ein Buch mit Zeichnungen und Dokumenten des Malers heraus. Sie zitierte aus den Briefen Fridrihsons an seine Frau, die nach Repses Auffassung einen tiefen und scharfen Einblick in die damaligen gesellschaftlichen Zustände gewähren. Die Skizzen, die der Maler im Lager mit wenigen Utensilien anfertigte, ermöglichten ihm das Durchhalten. Repse beschreibt die Gefangenschaft so: "Tag um Tag verging. Anderthalb Jahre zeichnete er mit Kohle, sogar mit Ruß, Ziegelstaub, weil er keine Farben aus der Heimat bekommen konnte. Es war ein Akt des Durchhaltens, ein Nachweis des Überlebens, jeden Tag. Das Minimum technischer Mittel erzwang die Farbintensität des experimentierenden, sogar manipulierenden Malers, dessen ikonographischen Rang wir kennen. Damals war es nur eine Konzentration, ein enormer Ausdruck der Mobilisierung, wenn keine Schwere die Hand am Schaffen hindert: ein öder Horizont mit Strommasten als einzige Vertikale auf einem existenzialistisch anmutenden Feld oder weiche, beinahe süßlich anmutende Gesichter - Visionen des verlorenen Paradieses." (tvnet.lv)


Laut Repse bedeutete Frankreich im Bewusstsein der Letten ein Symbol des Widerstands. Wer sich zu freigeistigen Autoren bekannte, blieb für die Herrschenden eine Gefahr und demonstrierte, dass nicht alle Intellektuelle sich vereinnahmen ließen: "Sie sind der historische Beweis dafür, dass die Intelligenz nicht immer diesen Sumpf bildet, der die bestehende Ordnung umgibt und der sich den Stärkeren und den Siegern anschließt. Es ist wichtig, dass wir ab und zu daran erinnern, dass sie die wahren Helden sind." (lsm.lv)


Udo Bongartz 




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