Lettisches Centrum Münster e.V.

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Entfernung sowjetischer Denkmäler in Daugavpils, Russland protestiert
04.11.2022


“Mir scheint, je mehr uns die Regierung etwas verbieten will, desto mehr widersetzen sich die Menschen”

Das Relief des antifaschistischen Denkmals in Daugavpils kommt ins Rigaer Okkupationsmuseum, Foto: Vadik_01, CC BY 3.0, Saite

Andrejs Elksnins, Bürgermeister von Daugavpils, der größten Stadt der ostlettischen Region Lettgallens, gab am 28. Oktober 2022 auf Facebook die Anweisung der Polizei an seine Kommune bekannt: Zwei sowjetische Denkmäler würden in der Nacht vom 30. auf den 31. Oktober entfernt und die Zugänge zu ihnen abgesperrt. Die lettische Regierung wertet sie als Verherrlichung des Sowjetregimes. Für das Monument der 360. Schützendivision der Roten Armee, die Daugavpils 1944 von den Deutschen zurückeroberte, als auch für die Stele auf dem Ruhmesplatz, das den “Befreiern und Verteidigern” der Stadt gewidmet ist, waren damit die Tage gezählt. Das lettische Parlament hatte am 23. Juni 2022 das Gesetz “Über das Verbot der Präsentation sowjetischer oder nazistischer Regime rühmender Objekte und deren Demontage auf dem Territorium der Republik Lettland” erlassen. Dem musste die Stadt Daugavpils sich nun widerstrebend beugen.


Elksnins, Politiker der Partei Saskana, die vor allem von der russischsprachigen Minderheit Lettlands gewählt wird, die wiederum in Daugavpils die Mehrheit bildet, zeigte sich “zerrissen vom Gefühl der Ungerechtigkeit, vom Unverständnis und Wut darüber, das ein Gedenkmonument für Menschen, die das Leben opferten, um die Heimat zu verteidigen, demontiert wird.” (facebook.com). In dieser Frage sei er mit den Einwohnern seiner Stadt “absolut solidarisch”. Seine Stadtregierung habe alles getan, um dieses “sinnlose und absurde Gesetz” aufzuhalten. Trotz der bevorstehenden Demontage werde sie den Kampf vor dem Verfassungsgericht fortsetzen und jegliche sonstige demokratische Möglichkeit nutzen. “Ich liebe mein Land, aber ich vermag keine Menschen zu unterstützen, die derzeit an der Macht sind oder auch jene, die mit ihrem Schweigen zulassen, uns derart zu demütigen!”  


Elksnins berichtete über seine Verhandlungen in Riga. Teile des Monuments auf dem Ruhmesplatz, das Relief mit dem Soldatengesicht, werden demontiert und als künstlerisch wertvolle Objekte dem Okkupationsmuseum zur Verfügung gestellt, wo es, in die antibolschewistische lettische Erinnerungskultur eingefügt, eine andere Bedeutung erhalten wird. Die Demontage solle maximal sorgfältig erfolgen, “ohne irgendwelche Show und Zerstörung der Konstruktion”, wie es im August beim Abriss des Rigaer Siegesdenkmals geschehen sei (LP: hier). Und im Unterschied zu Riga werde in Daugavpils nicht verboten, vor der Beseitigung der Denkmäler dort Blumen niederzulegen und Kerzen anzuzünden. Doch er sei von der Polizei gewarnt worden, dass ungenehmigte Kundgebungen, verbotene Symbole und jegliche Form von Kriegsverherrlichung nicht toleriert werden. Elksnins bat die Bürger, nicht zu provozieren.


So nutzten die Städter das Wochenende, um mit Blumen, Kerzen und Erinnerungsfotos ein letztes Mal Soldaten der Roten Armee zu gedenken. LSM-Journalistin Dace Ivanova fragte eine Passantin auf dem Ruhmesplatz nach ihrer Einschätzung. Sie war gerade aus England angereist, um in der Stadt Verwandte zu besuchen: “Wie traurig das ist! Wir waren gestern im Dubrovina-Park, wir fotografierten auch dort für alle Fälle, sonst wird man sich später einfallen lassen, auch das noch abzureißen, doch uns werden die Fotos bleiben. Mir scheint, je mehr uns die Regierung etwas verbieten will, desto mehr widersetzen sich die Menschen. So ist es auch mit dem 9. Mai.” (lsm.lv)


Am Sonntag, am Vorabend der Demontage, spitzte sich die Lage zu, als die Polizei begann, das Gelände um das Denkmal auf dem Ruhmesplatz abzusperren und Arbeiter Blumen und Kerzen wegräumten (lsm.lv). Polizisten drängten die Versammelten, etwa 200 Personen, hinter den Zaun. Die Menge pfiff und gröhlte, manche versuchten erneut, das abgesperrte Gelände zu betreten. Die Rangeleien dauerten bis tief in die Nacht. Als die Baumaschinen eintrafen, wurden Polizeiautos mit Flaschen beworfen. Die Polizisten nahmen 37 Teilnehmer der ungenehmigten Protestkundgebung fest, weil sie Anweisungen nicht befolgt hatten: wegen Trunkenheit im öffentlichen Raum, wegen Hooliganismus, wegen unerlaubten Drohnenflugs, aber auch wegen des Abspielens oder Singens von Liedern, die die militärische Aggression verherrlichen und Sprüchen in russischer Sprache, die den Krieg rechtfertigen. Zudem ermittelt die Polizei wegen Sachbeschädigung. Nach Mitternacht begannen Arbeiter mit der Demontage, die ohne weitere Zwischenfälle vonstatten ging.


Seit der Unabhängigkeit haben Letten schon einige Dutzend Denkmäler, die an die sowjetische Herrschaft erinnern, abgerissen oder demontiert. Lenin-Denkmäler, aber auch zum Denkmal erkorenes sowjetisches Kriegsgerät waren der Mehrheitsbevölkerung, die Jahrzehnte der Repression durchstehen musste, nicht mehr zuzumuten. Doch verbliebene Denkmäler standen unter dem Schutz eines lettisch-russischen Abkommens, das die lettischen Saeima-Abgeordneten am 12. Mai 2022 einseitig aufkündigten. Sie folgten dem nationalkonservativen Narrativ, dass die antifaschistischen Monumente russischen Imperialismus und Militarismus verherrlichten. Die Mitte-Rechts-Regierung beauftragte eine Kommission, die prüfte, welche Gedenkstätten den Tatbestand der Verherrlichung sowjetischer oder nazistischer Regime erfüllten. Sie kam zu dem Ergebnis, dass 69 Monumente auf lettischem Territorium beseitigt werden müssen.  


Maria Sacharowa, eine Sprecherin des russischen Außenministeriums, zeigte sich nach LSM-Informationen erschüttert über das lettische “Vernichtungsbacchanal” an Gedenkorten, wo sich “seit vielen Jahren Veteranen versammeln, um ihren gefallenen Kameraden zu gedenken.” (lsm.lv) Moskau bedauere es, dass es dem Bürgermeister von Daugavpils nicht gelungen sei, die “Welle des Vandalismus” aufzuhalten. Außerdem habe die lettische Polizei die zahlreichen Proteste der Einwohner gegen den Abriss “mit besonderer Brutalität” unterdrückt. Zu den lettischen Herrschaftsverhältnissen stellte Sacharowa fest: “Die in Lettland regierende nationalistische Elite hat zum wiederholten Mal bekundet, dass der Zweck dieses baltischen Landes darin besteht, historisch mit Russland und den russischsprachigen Einwohnern abzurechnen.” Ziel sei es, die Erinnerung des Volkes an den heiligen Krieg gegen den Faschismus auszulöschen, doch das werde niemals und niemandem gelingen.


Doch nicht nur die Sprecherin des russischen Außenministeriums beherrscht den Modus der verbalen Zuspitzung. Die East StratCom Task Force, ein Gemeinschaftsprojekt von EU und NATO, das die öffentliche Aufmerksamkeit für “Desinformationsoperationen des Kremls” erhöhen will, betreibt Aufklärung auf ähnlich fraglichem und pauschalisierenden Niveau, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Die Task Force bedient das nationalkonservative Narrativ der NATO-Ostflanke, Faschismus und Antifaschismus als gleichermaßen totalitäre Herrschaftsformen auf eine Stufe zu stellen. Unter der Überschrift “Das ist in Ordnung” rechtfertigt der unbekannte Autor die massenhafte Beseitigung antifaschistischer Denkmäler in den osteuropäischen Ländern, die sich damit der Erinnerung an die eigene Kollaboration mit den Nazis entledigen. In seinem Jargon gelten die Verlagerungen, Demontagen und Abrisse als “Anstrengungen”: “Ungeachtet des Zorns, der von kremlfreundlichen Desinformationskanälen verbreitet wird, haben europäische Länder wie Polen und Lettland ihre Anstrengungen fortgesetzt, die Überreste von Denkmälern aus der Sowjetzeit zu beseitigen. Solche Denkmäler wurden ursprünglich entworfen und errichtet, um den sowjetischen Imperialismus zu verherrlichen und heutige wie künftige Generationen über die tatsächliche Geschichte zu täuschen.” (euvsdisinfo.eu).


Udo Bongartz 




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