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Lettische Regierung nimmt einige afghanische Familien auf
01.09.2021


Innenministerin Marija Golubeva will die “östlichen Grenzen der EU stärken”

Krieg in Afghanistan, Foto: SSG Justin Holley - This image was released by the United States Army with the ID 070330-A-9326H-013, Neaizsargâts darbs, File: GIs burn a suspected Taliban safehouse.jpg

 

 

 

Über das Chaos, das der schlecht vorbereitete militärische Abzug in Afghanistan auslöste, berichten auch die lettischen Medien ausführlich. Die eigenen nationalen Streitkräfte (LNB) waren an den internationalen Einsätzen “ISAF” und “Resolute Support” unter NATO-Führung beteiligt. Was soll nun aus den Afghaninnen und Afghanen werden, die die Soldaten aus fernen westlichen Ländern unterstützt haben und sich nun wegen der Taliban-Herrschaft um Leib und Leben bedroht sehen? Die lettische Regierung erklärte sich bereit, einige Familien von afghanischen Mitarbeitern aufzunehmen. In Brüssel befindet sie sich allerdings weiterhin an der Seite jener Länder, die mit hohen Maschen- und Stacheldrahtzäunen Flüchtlingsgruppen an den Grenzen abschrecken wollen.



Bereits vor dem lettischen NATO-Beitritt entsendete die lettische Regierung 2003 acht medizinische Fachkräfte der LNB in das Land am Hindukusch. Sie unterstützten die Niederländer beim Aufbau eines Hospitals am Kabuler Flughafen und wurden ein knappes Jahr später den Deutschen unterstellt. Die lettische Präsenz steigerte sich im Jahr 2013 auf 185 Soldaten. Die LNB-Kräfte entschärften Munition, beobachteten die Lage, sicherten Flughäfen, bildeten afghanische Kollegen aus, teilweise unter deutschem Oberkommando im Camp Marmal, das sich in der Nähe der Stadt Masar-e-Scharif befunden hat. Vier lettische Soldaten starben im Verlauf der Kriegsjahre.


Der EU-Außenbeauftragte Josep Borell bat Lettland vor einigen Tagen, afghanische Mitarbeiter und ihre Familien aufzunehmen. Sie waren für das Kabuler Büro der EU-Organisation “ECHO” (Europäischer Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe) tätig (lsm.lv). Bislang fanden 15 Afghaninnen und Afghanen im zentralen lettischen Asylheim Mucenieki eine Unterkunft, weitere Flüchtlinge in ähnlich begrenzter Anzahl sollen folgen. Das lettische Außenministerium sieht sich dazu verpflichtet, in solchen Fällen Asyl zu gewähren; die Betroffenen hätten mit den westlichen Kräften zusammengearbeitet, um internationale Sicherheit und den Aufbau eines afghanischen Staats zu unterstützen, in dem Frieden, Sicherheit, Gesetzmäßigkeit herrschen sollten, heißt es in einer Stellungnahme des Ministeriums. Es erachtet die weitere Evakuierung von Ortskräften nach dem militärischen Abzug allerdings als schwierig.  


Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn sieht in einer humanen Flüchtlings- und Asylpolitik eine vorrangige Aufgabe der EU. Er schlug vor, dass sich der Staatenbund dazu verpflichtet, 40.000 oder mehr bedrohte Menschen aus Afghanistan aufzunehmen. Doch in Brüssel steht Asselborn offensichtlich allein auf weiter Flur, er kommentierte enttäuscht das Verhalten des Österreichers Sebastian Kurz`und des Slowenen Janez Jansa, der beiden Regierungschefs, die sich mit ihrer harten Haltung durchsetzten: “Es ist sehr falsch, dass ein Regierungschef sagt: Das Einzige was wir in Sachen Afghanistan zu tun haben, ist zu schauen, dass wir nur keine Flüchtlinge bekommen. Das ist nicht europäisch, das ist nicht normal,” (zdf.de). Für die überwältigende Mehrheit der EU-Innenminister, die sich am 31. August 2021 in Brüssel zu einer außerordentlichen Konferenz trafen, offenbar schon. Die Runde ließ sich nicht auf verpflichtende Flüchtlingsquoten ein; im Zentrum stand das Bemühen “entschlossen, gemeinsam zu handeln, um eine erneute große illegale Zuwanderungsbewegung zu verhindern”, wie es in der Abschlusserklärung hieß (spiegel.de).


Die lettische Innenministerin Marija Golubeva schloss sich der Haltung jener Länder an, die sich entschieden gegen verbindliche Flüchtlingsquoten zur Wehr setzen. Golubeva ist Mitglied der liberalen Regierungspartei “Attistibai/Par!”, muss sich im Kabinett allerdings mit nationalkonservativen Regierungspartnern verständigen, die seit Jahren gegen Flüchtlinge und Migranten aus islamischen Ländern agitieren. Im Zusammenhang mit dem Brüsseler Ministertreffen veröffentlichte ihr Ministerium am 1. September 2021 eine kurze Pressemitteilung. Danach scheint ihr vorrangiges Anliegen die “Sicherung” der EU-Außengrenzen darzustellen, wobei unter “Sicherung” Stacheldraht und Überwachungsanlagen zu verstehen sind. Die Ministerin lässt sich entsprechend zitieren: “Ungeachtet dessen, dass die vorrangigen potenziellen Migrationsströme sich auf die südlichen Grenzen der EU richten, darf man auch nicht vergessen, die östlichen Grenzen der EU zu stärken, besonders angesichts der derzeitigen von Belarus durchgeführten Hybridoperation gegen Lettland, Litauen und Polen. Es ist notwendig, jegliche Versuche abzuwehren, Migrationsströme als Instrumente politischer Beeinflussung zu benutzen. Wir müssen die bisherigen Ereignisse nicht nur im Zusammenhang mit Migration verfolgen, sondern auf EU-Ebene auch koordinierte und rechtzeitige Antworten vorbereiten.” (lvportals.lv)


Wie die Lettische Presseschau berichtete, sieht sich der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko aufgrund der EU-Sanktionspolitik gegen sein Regime nicht mehr an das Rückführungsabkommen gebunden, das er mit Brüssel vereinbart hatte (LP: hier). Ob und in wiefern die Minsker Regierung die Migration aus dem Irak und andern Ländern aktiv betreibt, darüber liegen nur unpräzise Informationen vor; in der Sprache baltischer Politiker handelt es sich um eine belarussische “Hybridaggression”. In den letzten Monaten erreichten ungewohnt viele “illegale” Grenzpassanten von Belarus aus Litauen, Polen und Lettland. Letzteres machte Schlagzeilen, weil seit August lettische und belarussische Grenzer eine Gruppe von 41 Menschen aus dem Irak wochenlang im Niemandsland zwischen den Staaten umzingelten und festhielten (LP: hier). Lettische Flüchtlingshelfer beklagten, dass die Betroffenen nicht hinreichend versorgt würden. Vertreter des UNHCR und des Europarats forderten Lettland auf, die Menschenrechte zu beachten. Ein von der Regierung erklärter Ausnahmezustand für die Grenzregion zu Belarus hat diese teilweise außer Kraft gesetzt (LP: hier).


Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte urteilte am 25. August 2021 in einem Eilverfahren, dass Lettland und Polen ungeachtet des belarussischen Vorgehens dazu verpflichtet sind, gemäß internationaler Vereinbarungen die Obdachsuchenden aus dem Irak und Afghanistan menschenwürdig zu behandeln und sie hinreichend zu versorgen (leta.lv). Als ein lettisches TV-Team wenige Tage später über die Situation an der Grenze recherchierte, fand es keine Flüchtlinge bzw. Migranten mehr vor; kurz zuvor waren Vertreter des UN-Flüchtlingskomitees in Lettland eingetroffen, um sich vor Ort zu informieren (lsm.lv). Es besteht das Gerücht, dass die mittlerweile über 80 Personen, die im Niemandsland festgehalten wurden, von lettischen Grenzern auf belarussisches Territorium zurückgebracht worden seien. Darüber zeigte sich Golubeva nicht informiert, sie sagte stattdessen: “25 Personen sind in dieser Zeit [des Ausnahmezustands] wegen humaner Erwägungen festgenommen und in einem Internierungszentrum untergebracht worden. Das gibt ihnen nicht das Recht, Asyl zu beantragen, sie wurden einfach festgenommen, damit sie nicht zu Tode kommen.” Aber die Ministerin stritt das ab, worüber die Journalisten berichteten: “Aber es gab keine Fälle, in denen Personen befragt und danach auf belarussisches Territorium zurückgebracht wurden. Zumindest weiß ich davon nichts und es wäre nicht legal.”

UB 




 
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