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Lettland: Ermittlungen gegen den Backwarenhersteller “ADUGS” wegen Menschenhandel und Geldwäsche
21.11.2020


Polizisten nahmen den Besitzer fest

Mit Keksen, Crackern, Plätzchen, Waffeltorten und “einer Reihe exklusiver, von Hand gemachter Meisterwerke” will die lettgallische Firma nicht nur baltische Käuferherzen erobern, sondern auch jene in fernen Ländern, darunter Deutschland, USA und Russland. Die ADUGS-Werbefachleute sind der Ansicht, dass Süßigkeiten unser Leben süßer machten, Kraft, Energie und ein Lächeln verleihten. Aber demnächst werden Kundinnen und Kunden die ADUGS-Ware in lettischen Supermärkten nicht mehr finden. Die großen Discounter Lettlands haben die Geschäftsbeziehungen abgebrochen. Grund sind Berichte über polizeiliche Ermittlungen, die den Firmeninhaber des Menschenhandels und der Geldwäsche verdächtigen. Die Vorwürfe sind mehr bitter als süß: Die Firma habe bis zu zehn Mitarbeiter, die aus dem Nicht-EU-Ausland angeheuert wurden, Gehalt nicht vollständig ausgezahlt, sie zum Schuldenmachen genötigt, ihnen bei Arbeitsverweigerung mit körperlicher Gewalt gedroht und die Pässe abgenommen. Solche Zustände kennen Leserinnen und Leser von südspanischen und süditalienischen Plantagen, wo die Besitzer Geflüchtete ausbeuten oder aus der deutschen Fleischindustrie, in der Rumänen und Bulgaren unter unzumutbaren Arbeitsbedingungen Billigfleisch herstellen. Aber auch das im EU-Vergleich arme Lettland lockt Arbeitssuchende aus Ländern wie der Ukraine, Usbekistan oder Indien an, wo das Lohnniveau noch deutlich geringer ist. Unternehmer nutzen es aus, dass die Betroffenen ihre Rechte nicht kennen und sich in der Landesprache nicht verständigen können.

 

Die hausinterne PR beschreibt ADUGS als einen der größten Backwarenproduzenten im Baltikum, der größte gemessen am Umsatz und Export (adugs.lv)

 

Im Frühjahr erhielt die lettische Polizei Hinweise von einer ausländischen Botschaft, aus der einige der betroffenen Arbeiter stammen (lsm.lv). Ein Backwarenhersteller aus der ostlettischen Region Lettgallen beschäftige unter Zwang Arbeitsmigranten. Die lettischen Medien berichteten, dass Polizisten am 11. November 2020 in Livani, Aizkraukle, Daugavpils und Kekava Räume durchsuchten. Sie nahmen drei Personen fest, darunter den 65jährigen Besitzer von ADUGS. Die Ermittler stellten 150.000 Euro Bargeld sicher, zudem Schmuck, Munition und Beweismittel. Der ADUGS-Chef war bereits im Blickfeld der Ermittlungsbehörden. Die LSM-Journalisten Lasma Zute-Vitola und Girts Zvirbulis berichten, dass er im kriminellen Milieu bekannt sei, aber auch Kontakte zu Lokalpolitikern unterhalte. Im letzten Jahr musste seine Firma wegen Gewässerverschmutzung ein Bußgeld zahlen. 

Seine Rechtsanwältin Viktorija Jarkina bezweifelt die Vorwürfe. Sie habe die Dokumente gelesen und Mitarbeiter des Unternehmens befragt und keine Rechtsverstöße festgestellt. Statt dessen hätten sie über die schlechte Arbeit der indischen Kollegen berichtet, die auch unpünktlich gewesen oder an manchen Tagen gar nicht erschienen seien. Sie hätten überhaupt eine andere Einstellung zur Arbeit gehabt. Jarkina räumt ein, dass das eine subjektive Sicht sei, aber über Sklaverei, körperliche Gewalt und Pässeentzug habe sie nach bisherigem Wissensstand keine Informationen. Der Lohn sei den Betroffenen wegen Vertragsverletzungen gekürzt worden und weil sie Inventar beschädigt hätten. Allerdings deutet sie eine Mitverantwortung an, die in der Mentalität mancher lettischer Unternehmer begründet liege, die sich gegenüber den Angestellten nach dem Motto äußerten: “Wenn du das nicht machst, dann weiß ich nicht, was mit dir geschehen wird.”

 


Unbestimmte Drohungen müssen auf Migranten, die kaum die Landessprache beherrschen und die ihnen zustehenden Rechte nicht kennen, einschüchternd wirken. Die Polizei berichtet, dass die Vernehmung schwierig gewesen sei, weil die Vernommenen weder Lettisch noch eine internationale Verkehrssprache beherrschten. Offenbar wollten die mutmaßlich ausgebeuteten Lohnabhängigen trotz dieser negativen Erfahrungen unbedingt in Lettland bleiben. Sie hätten den Gang zu den Behörden gescheut, weil sie ihre Abschiebung fürchteten, obwohl sie über eine Arbeitsgenehmigung verfügen.

 

Manche Details erscheinen also noch unklar und widersprüchlich und manches an den wechselseitigen Vorwürfen erscheint mit Stereotypen vermischt. Die Ermittler müssen nun klären, welche Vorwürfe den Tatsachen entsprechen. Dieser Fall verdeutlicht die Probleme der weltweit zu beobachtenden Arbeitsmigration von Menschen, die aus wirtschaftlicher Not, nicht aus Lust und Laune ihre Heimat verlassen. Eine internationale Politik für fairen Welthandel und gegen soziale Ungleichheit könnte der Migration aus Elend und Not entgegenwirken. Doch eine solche ist beim weltweit agierenden politischen und wirtschaftlichen Führungspersonal nicht abzusehen.

UB


 
      Atpakaï