Als Elisa von der Recke den Grafen Cagliostro durchschaute
16.07.2022
Wenn sich Verführte für wirklich aufgeklärt halten
Foto: Elis von der Recke, Porträt von Wilhelm Tischbein, 1775, Gemeinfrei, Link
Elisabeth Charlotte Constanzia von der Recke war eine deutschbaltische Adelige aus Kurland, der baltischen Region, die noch Polen unterstand, als sie 1754 in Schönberg geboren wurde, also in Skaistkalne, heute an der lettischen Grenze zu Litauen. Als Adelige war sie privilegiert, als Frau in einer von Männern beherrschten Gesellschaft hingegen auch vielfach benachteiligt. Dennoch gelang es ihr, sich als Schriftstellerin zu profilieren. Eine Schrift, die sie 1786 dem Verleger und Aufklärer Friedrich Nicolai schickte, machte sie in der deutschsprachigen Literatenszene bekannt: Ihre Entlarvung des sich selbst Graf Cagliostro nennenden Mannes aus dem Süden. Sie entblößte die sich mit magischen Kräften inszenierende Gestalt als üblen Scharlatan; ein grob Italienisch sprechender Sizilianer, der sich als Araber ausgab. Es war ein Kampf der aufgeklärten Lutheranerin gegen den schwärmerischen Irrationalismus, den sie Katholiken und Jesuiten vorwarf. Als sie Cagliostro kennenlernte, war sie verzweifelt, weil sie über den Tod ihres Bruders nicht hinwegkam. Sie hoffte, dass der Freimaurer sie mit Geisterbeschwörungen zur Begegnung mit dem geliebten Angehörigen verhelfen könnte. Ihr Kampf mit der römischen Lehre verdeutlicht: Rationalismus vermag das menschliche Dasein nicht zu enträtseln und in ausweglosen Situationen verbleiben nur Schwärmerei und Einbildungskraft; leider machen sich das Gaukler und Beutelschneider zunutze.
Wenige Jahre vor der weltverändernden französischen Revolution traf die junge Elisa von der Recke ein schwerer Schicksalsschlag, für den die Vernunft keinen Trost bietet:
“Mein ältester Bruder, den ich unaussprechlich liebte, und an dem meine ganze Seele hing, hatte mit mir eine gleiche Seelenstimmung. Nur hielt er mehr auf die griechischen Weltweisen, und glaubte im Pythagoras und Plato Spuren der Weisheit zu finden, nach welcher wir beide strebten. Im Junius 1778sten Jahres starb dieser hoffnungsvolle Jüngling in Strasburg, und durch die Betrübniß über seinen Tod wurde mein Hang zur Mystik außerordentlich vermehrt.”1
Die Christin erfasste eine “religiös-schwärmerische Stimmung”, las jene, die heutzutage wohl als “Verschwörungtheoretiker” gelten, würden, z.B. Lavater und Swedenborg. Heinrich Conrad, der kurz vor seinem Tod 1921 ein aufschlussreiches Buch über Cagliostro, zur “Geschichte eines Mysterienschwindlers” veröffentlichte, beschreibt den 1688 in Stockholm geborenen Swedenborg als sympathischen und aufgeschlossenen Menschen.2 Er hatte einen Ruf als Mathematiker auf einen Lehrstuhl in Upsala abgelehnt. Statt dessen sah er sich als Religionsstifter. Als 46jähriger war ihm zu nächtlicher Stunde in London ein Strahlemann erschienen, der sich als Gott ausgab und ihn beauftragte, die heilige Schrift auszulegen, Gott werde diktieren. Fortan diskutierte Swedenborg in geselliger Runde mit Petrus, Paulus, Moses und Luther; dumm nur, dass immer nur er, nicht die übrigen leibhaftig Anwesenden deren Stimmen vernahmen.
Solche sich auf der Grenze zwischen Wissenschaft und Mystizismus, zwischen Chemie und Alchemie entwickelten (Irr-)Lehren, spendeten Trost, dass das Irdisch-Vergängliche vielleicht doch nicht so vergänglich ist und ein Wiedersehen (zumindest Wiederhören) mit Toten durch bestimmte mysteriöse Übungen jederzeit möglich. Als sich die junge Adelsfrau in dieser Stimmung befand, traf der scheinbar aus dem Morgenland stammende Cagliostro 1779 in Mitau, der kurländischen Hauptstadt, ein.
In den deutschbaltischen Kreisen gab sich der Reisende als Grande Maitre aus, der von seinem Oberen, dem Propheten Elias höchstpersönlich, gesandt sei, eine Loge d`Adoption zu gründen, also einen Freimaurerzirkel, der auch den Frauenzimmern Zugang gewährte. Dieser Verein wurde ihm in Kurland zur Bühne seiner Schwindeleien, denen durch die unbeirrbare autoritäre Entschiedenheit, jeden Einwand dem Kritiker selbst zum Vorwurf zu machen, etwas Künstlerisches anhaftete:
“Er sprach einmal vom Schmelzen des Bernsteins, wie von einem Dinge, das so leicht als das Schmelzen des Zinnes sey. Einige Mitglieder unserer Gesellschaft baten ihn dringend um dieses Geheimniß. Er setzte sich mit großer Emphase an einen Tisch, und diktirte nun das Rezept, und siehe da! - es war ein Recept zu einem Räucherpulver. - Alle, die sich auf den Bernsteinhandel gefreut hatten, waren äußerst mißvergnügt. Cagliostro hatte nicht darauf gedacht, daß er auch Leute vor sich hatte, welche das Recept lesen, und diesen groben Betrug sogleich entdecken konnten; aber er faßte sich sogleich, und wand sich dergestalt aus der Sache, daß er vorgab: er hätte durch diese Geschichte die Charaktere seiner Schüler genau wollen kennen lernen, und sey äußerst betrübt, daß so viele unter ihnen mehr kaufmännischen Geist hätten, als Hang für das allgemeine Gute zu wirken.”3
Es ist in diesem kleinen Artikel nicht der Platz, nur annähernd das Maß an Schwindeleien aufzuzählen, das Cagliostro sein Leben lang ins Werk setzte. Jeder seiner Schritte, jedes Handumdrehen, jedes ausgesprochene Wort waren Tand und Betrug, was aber die schwärmenden Anwesenden nur faszinierte und hoffen ließ. Man kennt den Schwindel aus den katholischen Kirchen, die vor Blutwundern triefen. Überhaupt ist das katholische Gotteshaus die schaurige Inszenierung des Wunderbaren. Als Kind sah ich in meiner Heimatkirche auf das Glasfenster des Heiligen Sankt Michael, wie er den grünen Drachen tötete - Fantasy vom Feinsten. Marienerscheinungen, blutige Madonnentränen, Kreuzessplitter - nichts von diesen katholischen Erscheinungen hält den Maßstäben der gestrengen Wissenschaft stand. So kam es nicht von ungefähr, dass Elisa von der Recke, nachdem sie den Schwindel ihres Logenmeisters entlarvt hatte, ihn für einen Agenten des verbotenen Jesuitenordens hielt.
Für den ungläubigen Außenstehenden birgt der geistreiche Budenzauber so manche Komik. Von der Recke beschreibt, wie Cagliostro ein Kind als Medium hinter einem Vorhang benutzte, mit dem er die zu sagenden Texte abgesprochen hatte:
“Cagliostro gebot dem Kinde, den Geist um seinen Namen zu fragen. Das Kind fragte den Geist: wie sein Name sey? Der Geist schwieg. Nach einer Weile fragte Cagliostro: Nun! hat der Geist Ihnen seinen Namen nicht genannt? -
Das Kind. Nein!
Cagliostro. Warum nicht?
Das Kind. Weil er ihn vergessen hat!
Hier stampfte Cagliostro mit den Füßen, machte mit dem Degen allerley Figuren in der Luft, sprach mit starker Stimme eine fremde Sprache, (oder unbekannte Worte); die Ausrufungen, Helion, Melion, Tetragrammaton,) kamen vor. Uns allen gebot er Ernst Andacht und Stille. Darauf ging er hinter den Schirm, wo das Kind stand, und wir hörten ihn mit schnellen Zügen der Feder schreiben. Einige aus unserer Gesellschaft behaupteten, sie hätten ein Beben unter ihren Füßen, und ein eignes Getön und Geräusch gehört, als ob etwas auf dem Fußboden des Zimmers gerollt wäre. Ich und andere Mitglieder unserer Gesellschaft haben dies alles nicht gehört. Zwey wollten sogar ein unsichtbares Zupfen an ihren Armen gefühlt haben.”4
Die junge Adelige musste einsehen, dass sie mit diesem Budenzauber ihrem Bruder nicht begegnen würde. Sie wandte sich vollständig von der Mystik und der Magie ab und verkehrte mit den Aufklärern ihrer Zeit. Elisa von der Reckes Erfahrungen dienten Zarin Katharina II., die noch nicht über Kurland regierte, als Warnung; es inspirierte die Herrscherin deutscher Herkunft sogar, sich selbst als Dichterin zu betätigen: Cagliostro wurde zum Thema dreier Lustspiele aus ihrer Feder. Cagliostro reiste mit seiner Frau in einer Zeit, als der Informationsfluss sich noch in Grenzen hielt, einfach weiter, wenn er sich an einem Ort ertappt sah. Letztlich wurde es aber sogar dem Vatikan zu bunt. Cagliostro wurde verhaftet und angeklagt. Er entging nur knapp der Todesstrafe und musste den Rest seines Lebens in der Engelsburg verbringen.
Heinrich Conrad gab seiner Cagliostro-Biographie den Untertitel “Zur Warnung für unsere Zeit”. Er bemerkte, wie sich die Menschen am Kriegsende 1918 Phantasmagorien hingaben, ähnlich wie zu von der Reckes Zeiten, als Revolution und Aufklärung die vermeintlich gottbefohlene Herrschaft infrage stellten. Für das sinnlos erlittene Leiden und die menschlichen Verluste gab es keine rationalen Erklärungen, keinen vernünftigen Trost. Was bleibt dem Menschen, wenn der nüchterne Blick auf die Wirklichkeit nur noch deprimierend und aussichtslos ist, ein Morast aus Trauer, Tod und Elend? Vielleicht nur die Erkenntnis, die verzweifelte Hoffnung, dass die Ratio das menschliche Dasein nicht vollständig zu erklären vermag. Conrad merkt an, dass den Aufklärern der Kampf gegen vermeintliche katholische Unvernunft selbst entglitt: “Aufgeklärte Schriftsteller übertrieben derartige Tatsachen in ihrem Bestreben, eine neue drohende Verfinsterung der Vernunft abzuwehren, und in den Kreisen der Aufklärer und Aufgeklärten brach eine wahre Epidemie von Jesuitenriecherei aus.” Der Rationalist wird selbst zum gefährlichen Gaukler, wenn er sich und seine Erkenntnisfähigkeit überschätzt. Erinnert sei beispielsweise an Sozialdarwinisten und Eugeniker, die für sich beanspruchten, auf wissenschaftlicher Basis über “lebensunwertes Leben” verfügen zu können.
Die von Elisa von der Recke so verspottete Einbildungskraft wurde von einer Gegenströmung ihrer Zeit, der Romantik, als poetische Fähigkeit sehr geschätzt. Kunst, auch Dichtkunst kann dort beflügeln, wo der Rationalist keinen Rat mehr weiß und dem Menschen schönere, lebenswertere Traumwelten eröffnen, die der Realist für unmöglich hält. Das Dichterische, Schwärmerische kann Tröstendes gestalten, Hoffnung spenden, Utopien einer zukünftigen besseren Welt entwerfen. Aber das kann auch zur falschen psychotischen Gewissheit geraten, die erst recht ins Verderben führt.
Und heute? Ist von der Reckes Schrift über Cagliostro noch immer eine Warnung? Vielleicht insofern, als sich die Heutigen massenmedial für aufgeklärter halten, als sie sind. Die Gaukler verwenden natürlich neue Tricks, weil die alten entlarvt wurden. Die Gaukelei versteckt sich nicht mehr hinter dem Vorhang, sondern präsentiert sich als Zahl in mancher Excel-Tabelle oder als Begriff, dessen Analyse ihn als beutelschneiderischen Tand erweist oder einfach als fingiertes Beweismittel, das die Welt in Atem hält. Das alles kommt sachlich, professionell, wissenschaftlich und kompetent daher. Mit einem Fläschchen, dass er bei seiner UN-Rede 2003 in die Kamera hielt und das angeblich irakisches Anthrax enthielt, zettelte US-Außenminister Collin Powell den Krieg an. Der Budenzauber funktioniert wie eh und je, wird durch massenmediale Verbreitung aber noch viel gefährlicher. (voltairenet.org)
Udo Bongartz
Quelle:
1Elisa von der Recke: Nachricht von des Berüchtigten Cagliostro Aufenthalte in Mitau im Jahre 1779 und von dessen dortigen magischen Operationen, Berlin, Stettin 1787, S. 4.
3Elisa von der Recke, S. 10.
4Elisa von der Recke, S. 107f.
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