Baltische Staaten, Polen und Irland drängen auf weitere EU-Sanktionen gegen Russland
24.09.2022
Lettische Regierung setzt auf maximale Unterstützung für die Ukraine und fordert die russische Niederlage
Ukrainische Flaggen am lettischen Ministerkabinett in Riga, Foto: UB
Die ukrainische Armee hat Teile der von russischen Streitkräften besetzten Gebiete zurückerobert. Der russische Staatspräsident Wladimir Putin kündigte daraufhin eine Teilmobilmachung an. In Donbass und Lugansk finden Referenden über einen Anschluss dieser Gebiete an die Russische Föderation statt. Der Krieg eskaliert; EU-Vertreter reagieren mit der Ankündigung einer weiteren Sanktionsrunde, auf die vor allem die Regierungen der baltischen Staaten, Polens und nun auch Irlands drängen. Die Medien stützen sich auf einen Forderungskatalog dieser Länder an die EU-Kommission, der der Deutschen Presseagentur vorliegt (den sie aber bislang nicht veröffentlichte). Demnach soll die EU ihren Mitgliedern zukünftig untersagen, Gas aus Russland zu importieren. Der militärischen Eskalation folgt die wirtschaftliche; ein Ende ist nicht absehbar.
Die lettische Nachrichtenagentur LETA weist auf Informationen der EU-Kommission, nach denen der Anteil der russischen Gasimporte in den Staatenbund von 40 Prozent seit dem russischen Einmarsch im Februar auf inzwischen 9 Prozent gesunken sei (lsm.lv). Bemerkenswert ist, dass offenbar beide Lager danach streben, den Gasfluss zu vermindern; die EU will damit Russland unter Druck setzen, sich aus der Ukraine zurückzuziehen; umgekehrt versucht Russland mit Lieferunterbrechungen EU-Länder davon abzuhalten, die Ukraine weiterhin militärisch zu unterstützen. Wen die Sanktionspolitik härter trifft, ist umstritten. Deren Befürworter hoffen darauf, dass Russland bald keine Waffen mehr produzieren oder einkaufen kann. Kritiker befürchten hingegen die Deindustrialisierung der EU, insbesondere Deutschlands, weil dessen Geschäftsmodell auf günstigen Gasimporten aus Russland basiert.
Zu dieser Embargo-Forderung passt, dass die fünf Regierungen weitere russische Banken vom SWIFT-Abkommen ausschließen wollen. Dazu gehört die Gazprombank, über die westliche Gasversorger ihre Einkäufe bezahlen. Als im Frühjahr Wladimir Putin ankündigte, nur noch Rubelzahlungen für Gaslieferungen zu akzeptieren, wiesen polnische und lettische Politiker diese Forderung empört zurück. Seitdem bezieht Polen russisches Erdgas über Deutschland und in Lettland weiß niemand so recht, wie und woher der heimische Energieversorger Latvijas Gaze seinen fossilen Brennstoff bezieht und wie dieser bezahlt wird. Lettische Gaskunden fürchten die kommenden Abrechnungen genauso wie ihre deutschen Leidensgefährten.
Das Papier sieht weitere Sanktionen vor: Die Zusammenarbeit mit Russland bei der zivilen Nutzung der Kernenergie soll verboten werden. Russen sollen in der EU keine Immobilien mehr kaufen und keine eigenen Firmen verkaufen dürfen. Die Sanktionsstrategie zielt offenbar auf eine möglichst vollständige Unterbrechung aller Handelsbeziehungen mit dem nicht nur größten, sondern auch rohstoffreichsten Land der Erde. Das Börsenportal Finanzen 100 schätzte Russlands Rohstoffvorkommen vor fünf Jahren auf einen Wert von 65,4 Billionen Euro und folgerte: “Russland muss sich lange Zeit keine Gedanken um seine Wirtschaft machen. Die Rohstoffe unter der Sibirischen Tundra werden das Land noch für Generationen ernähren.” (finanzen100.de)
Daran scheint auch die westliche Sanktionspolitik kaum etwas zu ändern. Da im Wesentlichen nur wohlhabendere westlich orientierte Länder sich an den Sanktionen beteiligen, eröffnen sich für russische Exporteure neue Vertriebswege über Indien, China und andere Länder, die eher mit Russland als mit dem Westen sympathisieren. Die Sanktionspolitik zeigt absurde Wirkungen. Im Juli machte das Königreich Saudi Arabien Schlagzeilen, weil es vermehrt russisches Erdöl für die eigene Energieversorgung bezieht und das eigene Öl lieber teurer an andere verkauft. Die Sanktionspolitik hatte den russischen Ölpreis verbilligt - zugunsten eines Landes, das sich als enger Verbündeter der USA ausgibt. Beim Gaspreis kann sich Russland hingegen über allgemeine Preissteigerungen auf dem Weltmarkt freuen. Auf die Drohung der EU-Kommissionsvorsitzenden Ursula von der Leyen, Russlands Gas-Einnahmen durch einen Preisdeckel zu mindern, reagierte Wladimir Putin mit der Ankündigung, in einem solchen Fall gar nichts mehr zu liefern (orf.at).
Ungeachtet der Folgen für die eigene wirtschaftliche und soziale Lage hält die lettische Regierung unbeirrt an der Sanktionspolitik fest und fordert diese auch in Brüssel ein. Sie will die Ukraine bis zum Sieg unterstützen und hält Sanktionen für ein geeignetes Mittel, dieses Ziel zu erreichen. Zanda Kalnina-Lukasevica, Vertreterin des lettischen Ausßenministeriums, sicherte Ende August in einem Interview mit TV24 der ukrainischen Regierung maximale Unterstützung zu. Sie forderte eine gemeinsame Haltung des Westens, dass Russland besiegt werden müsse. Wenn es nicht besiegt werde und der Ansicht sei, etwas gewonnen zu haben, dann bedeute dies nur eine Verschnaufpause und am wahrscheinlichsten werde es seine Aggression gegen die Ukraine und weitere Nachbarländer fortsetzen. Die Ukraine solle darüber entscheiden, ob sie auf Friedensverhandlungen eingeht, da solle man sich nicht einmischen. Falls sie solche Gespräche ablehne, werde Lettland sie sowohl militärisch mit Waffenlieferungen als auch finanziell und humanitär weiter unterstützen. Und zur Sanktionspolitik meinte Kalnina-Lukasevica: “Zur gleichen Zeit sehen wir, dass der kollektive Druck des Westens gegen Russland erhöht werden und man die nächste Sanktionsrunde der EU gegen Russland einleiten muss.” (la.lv)
Udo Bongartz
LP-Artikel zur lettischen Regierung und zu EU-Sanktionen gegen Russland
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