Daugava-Hochwasser: Einwohner von Jekabpils kamen relativ glimpflich davon
18.01.2023
Ein Meteorologe spricht von einem bislang nicht beobachteten Wetterereignis
Daugava mit geschlossener Eisdecke bei Ogre, Foto: Româns Kolduns, CC BY 3.0, Link
Allmählich können die Bewohner der Kleinstadt Jekabpils am lettischen Oberlauf der Daugava aufatmen: Das Hochwasser erreichte am Samstag mit 8,92 Meter seinen Höchststand. Seitdem sinkt der Wasserpegel. Der Damm, der das linke Ufer schützt, konnte Dank des Einsatzes der Helfer, darunter Soldaten und Nationalgardisten, vor einem Bruch bewahrt werden. Die sich stauenden Eismassen auf der Daugava, die den Damm beschädigten, bereiteten den Spezialisten tagelang Sorgen, doch nun sind sie von der Strömung weggespült und die Evakuierten können in ihre Wohnungen zurückkehren. TV- Meteorologe Toms Bricis nannte dieses Hochwasser ein bislang nicht beobachtetes Phänomen, das er auf ungewöhnliche Wetterverhältnisse zurückführt.
Am Mittwochmorgen sank der Wasserpegel in Jekabpils auf 6.60 Meter (lsm.lv). Das Eis auf der Daugava, das auf den Damm drückte, hatte sich gelockert, die Strömung hat es weiter getrieben. Die Stadt hatte erwogen, die Eismassen von Soldaten sprengen zu lassen, doch eine solche Aktion schien dann doch zu gefährlich. Rund um die Uhr befanden sich Bauarbeiter und Helfer im Einsatz, um Risse im Damm zu stopfen. Am 13. Januar 2023 hatte sich die Lage zugespitzt: Der Wasserstand erreichte die kritische Marke von 8,40 Metern und die Stadt ordnete die Evakuierung der Einwohner in ufernahen Gebieten auf beiden Seiten des Flusses an (LP: hier). Sie blieben mehrere Tage in Schulen, die die Stadt als Notunterkünfte hergerichtet hatte. Von der Evakuierung betroffen waren auch die Bewohner des Mikrorajons an der Celtnieku Straße. (Mikrorajons ist die Bezeichnung für Plattenbauviertel aus sowjetischer Zeit). Sie durften erst am Dienstag in ihre Wohnungen zurückkehren, weil nicht gewiss war, ob der Damm hält und weil die Feuerwehr noch damit beschäftigt war, Wasser aus dem Viertel abzupumpen. Weiterhin sind 15 Hochleistungspumpen im Einsatz; ufernahe Bewohner haben mit dem Aufräumen und Reinigen begonnen. Wieviele Einwohner ihre Wohnungen zwischenzeitlich verlassen mussten, ist den Meldungen nicht zu entnehmen.
Noch am Montag hatte Bürgermeister Raivis Ragainis zurückkehrende Bürger gewarnt: "Seien sie vorsichtig, werte Anwohner, dass nichts passiert, denn der Damm ist gründlich beschädigt, die Eismasse hat sich festgesetzt, die zufließende Wassermenge kann sich jederzeit ändern, auch die Bildung von Treibeis flussaufwärts ist nicht vorhersehbar. Damit bleibt die Gefahr auch zur Zeit bestehen. Falls Sie in ihre Häuser zurückkehren, denken sie immer daran, dass eine erneute Evakuierung notwendig sein kann, solange wir die Hochwassersituation nicht bewältigt haben." (lsm.lv) Inzwischen können seine Bürger zuversichtlicher sein; die Kommune hat eine Katastrophe erfolgreich abgewehrt, für jene, deren ufernahe Häuser im Wasser standen, ist dies vielleicht ein schwacher Trost, die Überschwemmung hinterlässt ihnen verschmutzte und feuchte Räume. Die städtischen Vertreter verzichteten darauf, die Regierung um Hilfe zu bitten, weil sie sich auf ihre Ortskräfte und deren Kenntnisse verlassen konnten. Allerdings besteht die einhellige Meinung, dass der Damm erneuert werden muss, denn Hochwasser dürfte auch in Zukunft die Stadt heimsuchen.
8,92 Meter war der Höchststand der Daugava in Jekabpils am letzten Wochenende, fünf Zentimeter weniger als beim Hochwasser von 1981. Obwohl also das aktuelle Hochwasser kein Rekord ist, hält der Meteorologe Toms Bricis es für ein ungewöhnliches Phänomen, das von einer zuvor noch nicht beobachteten Wetterlage verursacht wurde (la.lv). Dieses Winterhochwasser kam unter meteorologisch anderen Bedingungen zustande als die üblichen, durch Schmelzwasser verursachten Frühjahrsüberschwemmungen. "Entscheidend ist, was die Überschwemmungen verursacht und diesmal war im Unterschied zu den üblichen Frühjahrsüberschwemmungen nicht nur das Schmelzwasser die Ursache, sondern auch das Eis bei rasch wechselnden Temperaturverhältnissen, welche es in den bisherigen lettischen Wintern so nicht gab, eine große Niederschlagsmenge kam hinzu."
Im Dezember lag die Region unter einer geschlossenen Schneedecke, die Daugava war zugefroren; doch vor Weihnachten taute es; dann fror es erneut und weitere Eismengen kamen in der Daugava hinzu; schließlich herrschte ab Silvester wieder Tauwetter mit Temperaturen bis zu 10 Grad plus. Unter solchen Bedingungen setzte sich das Flusseis in Bewegung und staute sich an einigen Stellen wieder. Solche Ereignisse waren auch in früheren Wintern zu beobachten, doch bislang stoppte jedes Mal erneut einsetzender Frost das Treibeis und ließ die Zuflüsse wieder gefrieren, was diesmal nicht geschah. Der Frost war jetzt zu schwach, um das zufließende Wasser gefrieren zu lassen, statt dessen produzierte er auf der Daugava neue Eisschollen. Bricis erläutert, dass diesmal deutlich weniger Wassermengen im Spiel waren als bei früheren Überschwemmungen; doch das Wasser konnte wegen der Eismassen nicht ungehindert abfließen. "Deshalb handelt es sich hier um eine andere Kategorie von Hochwasser," resümiert der Wetterexperte.
Udo Bongartz
Atpakaï