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Eigentümerfrage der Rigaer Petrikirche immer noch umstritten
18.02.2021


Soll die Kirche wieder der Kirche gehören?

Die Rigaer Petrikirche, Foto: Gemeinfrei, Link

Die Schäden, die damals [vor 20 Jahren] entdeckt wurden, sind kritisch geworden und neue sind hinzugekommen,” meint Architekt Peteris Blums zum Zustand eines der markantesten Gebäude der Rigaer Skyline und eines bedeutenden Kulturdenkmals, der Petrikirche, die mit ihrer lang gestreckten mehrstufigen Turmspitze die Innenstadt überragt (delfi.lv). Blums bemerkte Schäden am undichten Dach; an den Fassaden, die erst vor wenigen Jahrzehnten restauriert wurden, bilden sich wieder Risse. Die Fundamente werden nicht genügend entwässert und bewegen sich. Vorgenommene Sanierungen entsprechen nicht mehr heutigen Standards. Die Brandschutzvorrichtungen funktionieren nicht. Und zuletzt: Der Aufzug, der Touristen zur Aussichtsplattform bringt, ist außer Betrieb. Juris Dambis, Leiter des Fonds für das Nationale Kulturerbe, hält die Behauptung des Stadtrats, dass sich das Gebäude im guten Zustand befände, für einen “Mythos”. In den letzten Jahren hat die Stadt, die das Gebäude bewirtschaftet, Millionen mit Veranstaltungen in der “Kulturkirche” verdient, aber nach Ansicht des staatlichen Rechnungshofs widerrechtlich den Gewinn nicht in die Sanierung gesteckt, sondern für andere Zwecke verwendet. Dambis bemängelt, dass bislang keine Sanierungspläne vorliegen, nur die deutsche Gemeinde habe begonnen, “ernsthafte Berechnungen” anzustellen.

Manche fürchten, dass die Kirche bald ganz gesperrt werden muss. Die Frage, wem sie überhaupt gehört, hielt offenbar die Verantwortlichen der Stadt ab, in den historischen Bau zu investieren, in dem einst Andreas Knöpken als erster im lutheranischen Sinne predigte. Der lettische Gesetzgeber ließ die Frage bislang offen. Seit einigen Jahren verhandeln Saeima-Abgeordnete über ein neues Gesetz, das den Eigentümer bestimmen soll. Nach Auffassung Dainis Ivans`, einer der bekanntesten Vertreter der lettischen Unabhängigkeitsbewegung, versuchen die Politiker nun hastig ein altes Gesetzesvorhaben des Justizministeriums umzusetzen. Zuvor sei eine Zusage des Deutschen Bundestags bekannt geworden, sich zur Hälfte an den Sanierungskosten zu beteiligen. Besonders Politiker der Nationalen Allianz (NA), die eine ideologische Nähe zu den lettischen Lutheranern aufweisen, setzen sich dafür ein, das kulturhistorische Monument der Lettischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (LELB) zu übereignen. Ursprünglich war die deutsche Gemeinde Rigas als Miteigentümerin im Gespräch. Doch nun planen die nationalkonservativen Politiker, die Deutschen nur an der Verwaltung der Petrikirche zu beteiligen. 


LELB (oder deutsche Abkürzung LELK) und die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche in Lettland (DELKL), die außer in Riga noch Gemeinden in vier weiteren lettischen Städten unterhält, vereinbarten 2018 den Zusammenschluss, weil “dadurch die Vorgaben des lettischen Parlamentes (Saeima) für die Restitution der St. Petrikirche an die deutsche St. Petrigemeinde vollständig erfüllt” würden: “Gemäß der historischen Situation von vor 1939 wird die DELKL künftig ein autonomer Teil der LELK werden, dabei jedoch ihre theologische, kulturelle und rechtliche Eigenständigkeit behalten.” (kirche.lv) Ivans bezweifelt, ob die DELKL, die für ihn eine Neugründung deutscher Bürger darstellt, tatsächlich als Nachfolgerin der deutschbaltischen evangelischen Kirche in Lettland von vor 1939 zu betrachten ist und deren Besitz beanspruchen kann.


Am 19. Januar 2021 traf sich die zuständige Saeima-Kommission für Bildung, Kultur und Wissenschaft, um weiter in dieser Angelegenheit zu beraten. Das Gesetz findet sich in der zweiten Lesung, doch unterschiedliche Meinungen und Interessen stellen den formulierten Gesetzestext wieder in Frage. Die Kommission fasste keine Beschlüsse. Die Abgeordneten wollen zunächst in ihren Fraktionen beraten. 


Zuvor hatte Staatspräsident Egils Levits dem Kommissionsvorsitzenden Arvils Aseradens einen Brief geschrieben. Levits schlägt vor, die Petrikirche von einer zu gründenden Stiftung verwalten zu lassen, an der man den lettischen Staat, die Kommune, LELB - einschließlich der deutschen Petrigemeinde - beteiligen könne, damit das Bauwerk zukünftig seine Aufgaben als religiöse Stätte, kulturhistorisches Erbe - insbesondere als deutschbaltisches Kulturgut - sowie kulturelle und touristische Funktionen erfülle (president.lv).

Jurgis Klotins, NA-Stadtratsmitglied, begrüßt den Vorschlag des Staatspräsidenten, beharrt aber darauf, dass sich zwar die deutsche Gemeinde und die Stadt an der Verwaltung beteiligen dürfen, doch nur LELB als einzige Eigentümerin ins Grundbuch eingetragen wird (delfi.lv). Er räumt aber den Deutschen das Recht ein, die Kirche als “Kulturkirche” zu nutzen, also nicht nur Gottesdienste zu veranstalten, sondern auch Ausstellungen zum deutschbaltischen Kulturerbe oder Konzerte zu organisieren. Bekanntlich sammelt ein deutscher Verein Spenden, um die historische Barockorgel zu rekonstruieren. Klotins fürchtet, dass wegen der jüngsten Debatte die Deutschen ihr Angebot zurückziehen könnten, sich an den Sanierungskosten zu beteiligen. Im Unterschied zu Ivans erkennt Klotins das Recht der deutschen Gemeinde an, eigene Veranstaltungen in der Kirche durchzuführen. Zugleich wendet er sich gegen städtische Besitzansprüche und verbindet das mit Kritik an der vorigen Stadtregierung, der er aus ideologischen Gründen mangelndes Interesse am Erhalt des Bauwerks vorwirft.

Zudem forschte Klotins im Nationalarchiv und fand heraus, dass seit Ende des 19. Jahrhunderts die Petrikirche nicht mehr “Ratskirche” ist, sondern der deutschen Gemeinde gehört, die für den Verlust nach dem deutschbaltischen Exodus 1939 nicht entschädigt worden sei, wie Gerüchte behaupteten. LELB habe mit dem Dom bewiesen, dass sie ein kulturhistorisches Bauwerk bewirtschaften könne. Ihre “ökumenische Offenheit” sei in Europa und der ganzen Welt einzigartig. Indessen kritisiert die Labdien-Redaktion, dass die katholische Kirche nicht einbezogen worden sei, obwohl der Bau von Katholiken im 13. Jahrhundert errichtet wurde (labdien.lv). Klotins bezeichnet die Debatten um die Petrikirche als “Prüfung” für die Geistesgröße lettischer Politiker. Er hofft auf Einigung (und finanzielle Beteiligung) der Deutschen. “Die Säkularisation der Kirche unter irgendeiner juristischen Konstruktion bedeutete, den verbrecherischen Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939 und der anschließenden Folgen der Okkupation fortzusetzen. Die Kirche muss wieder der Kirche gehören.”

Dainis Ivans vertritt in seinem Delfi-Beitrag vom 17. Februar 2021 den gegensätzlichen Standpunkt (delfi.lv). Seiner Ansicht nach sind weder LELB noch die deutsche Gemeinde, die sich jetzt aus nützlichen Erwägungen “Petrikirchengemeinde” nenne, rechtmäßige Eigentümer. Er findet es leichtsinnig, ein solches Kulturdenkmal einer kleinen Gemeinde, womöglich nach Konfessionen getrennt, zu überlassen. Zum Angebot des Deutschen Bundestags stellt er ironisch fest: “Das wäre doch etwas halb besorgtes, denn die andere Hälfte zur Sanierung der Petrikirche müssten die Erben des Ribbentrop-Molotow-Pakts in Moskau beisteuern.”

Ivans fordert, dass die Petrikirche Kulturkirche bleibt, in der mannigfaltige kulturelle Veranstaltungen unabhängig von der Kirche stattfinden. Die Stadt soll endgültig Eigentümerin werden. Eine kirchliche Inbesitznahme wertet Ivans als “Enteignung” der Rigenser. Der lettische Gesetzgeber habe 1992 bewusst entschieden, das Gebäude nicht der Kirche zu überlassen. Ivans hat einen offenen Brief Marianna Ozolinas unterschrieben, um die Übereignung an eine Konfession zu verhindern. Der jetzige Privatisierungsversuch entspreche keiner verantwortlichen Gesetzgebung. Er befürchtet, dass LELB zukünftig als Eigentümerin entscheiden wird, was in der Kirche vonstatten geht. “Klar, dass die Petrikirche als schöpferische, offene und freie Kulturkirche unter diesen Umständen zugrunde gehen wird.”

 UB


 
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