Lettische Kunstausstellungen im Dezember 2020
27.11.2020
Veranstaltungen zu interkulturellen Beziehungen können sowohl das verdeutlichen, was Menschen verbindet wie auch das, was sie spaltet. Zwei Ausstellungen im Lettischen Nationalen Kunstmuseum ergänzen sich durch diese unterschiedlichen Betrachtungsweisen. Hier die Zusammenfassung aus den PR-Texten lettischer Kunstmuseen für Dezember 2020.
Rudolfs Perle, Lebensweg, 1916, LNMM-Sammlung, Foto: LNMM/ Normunds Braslins
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Unbequeme Vergangenheiten. Verbundene Welten
Lettisches Nationales Kunstmuseum, Hauptgebäude, Kuppelsaal in der 5. Etage, Jana Rozentala laukums 1, Riga, 28.11.20 bis 7.2.21
Diese Ausstellung wird vom Lettischen Zentrum für zeitgenössische Kunst organisiert. Künstlerinnen und Künstler aus den baltischen Ländern, der Ukraine, Polen, Tschetschenien, Finnland und den Niederlanden widmen sich den heiklen historischen Themen, die in den Erinnerungskulturen und offiziellen Darstellungen der einzelnen Nationen verdrängt oder ausgeschlossen werden. Sie setzen dem Vergessen persönliche Lebensgeschichten entgegen, um verdeckte Schichten des kollektiven Gedächtnisses offenzulegen. Der Ansatz ist im mehrfachen Sinne grenzüberschreitend, um Bezüge und Vergleiche im jeweils nationalen Umgang mit Geschichte herzustellen. Die Kuratorinnen Ieva Astahovska und Margareta Tali erklären das Ziel der Veranstaltung: “Indem es bestrebt ist, lokale und nationale Grenzen zu überwinden, ermuntert das Projekt über Beziehungen zwischen diesen schwierigen Historien nachzudenken, der Auswirkungen und Präsenz in der Gegenwart durch eine gemeinsame Geschichtsperspektive, um Dialoge, Zusammenhänge und Solidarität zwischen verschiedenen unbequemen Geschichten zu gestalten, die oft in sich gegenseitig ausschließenden oder konkurrierenden Positionen wahrgenommen werden.”
So fragt Vika Eksta nach den Auswirkungen des sowjetischen Afghanistan-Kriegs der achtziger Jahre, in den gegen ihren Willen die einzelnen Republiken der UdSSR verwickelt wurden, darunter auch die Einwohner Lettlands. Aslan Goisum stellt sich ähnliche Fragen zu den Tschetschenien-Kriegen. Das Schicksal von Frauen zu Kriegszeiten gerät nicht selten in Vergessenheit. Zuzanna Hertzberg porträtierte jene, die im spanischen Bürgerkrieg gekämpft hatten. Ülo Pikkov schafft Reanimationen von ihnen, als sie vor Francos Regime nach Frankreich flüchteten und von dort in deutsche KZ deportiert wurden. Jaana Kokkcs Film widmet sich den alltäglichen Erlebnissen ihrer Geschlechtsgenossinnen, die mit Erinnerungen an die Okkupationszeit und den Genozid an den Roma abwechseln. Dafür erforschte sie die Lebensgeschichte der Schriftstellerin Hella Vuolijoki aus dem estnisch-lettischen Grenzort Valka.
Die Ausstellung macht zudem sichtbar, dass die Tragödien der Vergangenheit, die erlebten Geschichten der Großeltern und Urgroßeltern im Jetzt fortbestehen und das heutige Leben beeinflussen. Lia Dostlieva und Andrii Dostliev zeigen die Beziehung zwischen Körper und Umwelt, den Holodomor thematisierend, die Hungersnot, die mehrere Millionen Tote verursachte und die Stalin nutzte, um die Ukrainer zu unterwerfen und zu bändigen. Dazu entwarf Pikkovs die Animation des Apfelgartens an einem verlassenen Haus, der sich dessen ehemaliger Bewohner erinnert, die einst gewaltsam vertrieben wurden.
Für Paulina Pukyte stellt sich die Frage, wie sich Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart verbinden, wie sich verdrängte und unverarbeitete Geeschichte wieder bemerkbar macht. Heutzutage ist die Ideologie totalitärer Herrschaft einem neoliberalen Verbraucherkapitalismus gewichen, der eigene Mittel anwendet, unseren freien Willen zu manipulieren. Wie lassen sich die Bezüge zwischen Kolonialismus, sowjetischem Sozialismus und Kapitalismus begreifen?
Solche Fragen sind beispielsweise im Hinblick auf die Kolonien Kurlands auf Tobago und in Gambia weiterhin offen und strittig. Quinsy Garic stellt das kurzfristige Unterfangen Herzogs Jakobs im 17. Jahrhundert zur Debatte: Eignet es sich tatsächlich als Bestandteil des lettischen Nationalstolzes, einst selbst einige Jahre über Kolonien verfügt zu haben, wie es in lettischen Werken dargestellt wird oder ist das herzogliche Projekt nicht vielmehr als Teil der globalen kolonialen Unterdrückung zu betrachten, die die Länder des Abendlands in früheren Jahrhunderten betrieben haben und die sie heutzutage in postkolonialen Handelsbeziehungen fortsetzen?
Ausstellungsplakat: LNMM
Ungewohnte Seelen - Symbolismus in der Kunst der baltischen Länder
Lettisches Nationales Kunstmuseum, Hauptgebäude, Großer Ausstellungsaal in der 2. Etage, Jana Rozentala laukums 1, Riga, bis 21.2.21
Diese baltische Koproduktion anlässlich des gemeinsamen hundertjährigen Bestehens der drei Republiken war zuvor im Pariser Museum d`Orsay und in den anderen baltischen Hauptstädten zu sehen. Der französische Symbolismus-Experte Rodolphe Rapetti übernahm die Gesamtleitung über dieses Großprojekt, das mehr als 160 Werke aus den Nationalmuseen Estlands, Litauens und Lettlands umfasst. Das Thema ist der Symbolismus in der baltischen Kunst vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die dreißiger Jahre.
Nach Kriegsende begaben sich lettische Künstler auf Studienreise in den Westen, lernten die Werke ihrer Kollegen in Berlin, Rom, aber vor allem in Paris kennen. Kuratorin Ginta Gerharde-Upeniece zur Ausstellungsidee: “Europas Symbolismus und das Bewusstsein der Emanzipation, die er Gestalt verleiht, ist in den baltischen Ländern eng mit dieser Freiheit verbunden. Die Ausstellung stellt die Spiele des Einflusses und des Widerstands dar, durch die die Künstler den ihrem Weltgefühl entsprechenden sprachlichen Ausdruck entwickelten. Inspiriert von der Volkskultur, Folklore und örtlichen Sagen, aber auch von einzigartigen Landschaften entstanden Meisterwerke, denen wahrhafte Originalität anhaftet. In diese Richtung widerspiegelt sich das Themenspektrum, das Mythologien, Folklore, Fantasien, Träume und Visionen der Welt, die Stimmungen der Dekadenz umfasst, in den Arbeiten der herausragenden lettischen Künstler Janis Rozentals, Vilhelms Purvitis, Johans Valters, Rihards Zarins, Gustavs Skilters, Teodor Zalkalns, Pteris Krastins, Rudolfs Perle, Teodors Uders, Aleksandrs Romans und Sigismunds Vidbergs.”
Litauen ist durch symbolistische Klassiker wie Mikalojus Konstantins Ciurlionis, Ferdinandas Ruscicas, Petras Kalpokas und Stanislaw Jarocki vertreten, Estland durch Kristjan Raud, Oskar Kallis, Konrad Vilhelm Mägi und andere. Die internationale Kooperation soll fortgesetzt werden, u.a. ist eine Konferenz zum Thema geplant. UB
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