Lettische Regierung erlaubt mehr Holzfällen - Umweltschützer werfen ihr Wortbruch vor
22.06.2022
Holzembargo gegen Russland verteuert Pellets
Abgeholzte Waldfläche im Harz, Foto: Queryzo, Eigenes Werk CC BY-SA 3.0, Link
Eigentlich bietet der Sommerbeginn den Letten einen willkommenen Anlass, um sich an der Natur zu erfreuen. Die Johannisnacht feiern sie auf den Feldern oder Lichtungen rund um das Lagerfeuer, mit Eichenlaub und Wiesenblumen im Haar. Doch die Regierung hat den Umweltschützern die Feststimmung gründlich verdorben. Krisjanis Karins` Kabinett beschloss am 21. Juni 2022, die Bestimmungen für das kommerzielle Baumfällen zu lockern. Das Landschaftswirtschaftsministerium behauptet, dass diese Änderung die Qualität der Wälder steigern werde; der Lettische Naturfonds (LDF) befürchtet hingegen eine Zunahme des umweltschädlichen Kahlschlags.
Das Ministerkabinett will fortan gestatten, dass Bäume mit schmalerem Stammdurchmesser als bislang üblich gefällt werden dürfen. Nun können Waldbesitzer auch jüngere Bäume abholzen. Das Landwirtschaftsministerium beruft sich auf eine ökonomisch orientierte Studie der Landwirtschaftlichen Universität in Jelgava. Demnach bringt die vorgesehene Änderung nur Vorteile: Sie erhöhe Kapitalwert, Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und damit Einkommen und Gewinne der lettischen Waldwirtschaft. Die neuen Bestimmungen verpflichteten die Waldbesitzer zur qualitativ hochwertigen Wiederaufforstung mit Saatgut, dass jahrzehntelang in Kooperation mit Forstwissenschaftlern entwickelt worden sei. Da sich die Qualität der Wälder dadurch verbessere, sei eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht notwendig. (leta.lv)
Stellungnahmen verantwortlicher Politiker verdeutlichen, dass diese umstrittene Änderung nicht zuletzt eine weitere Folge der antirussischen Sanktionspolitik ist, die ja gerade die lettische Regierung auf internationalem Parkett energisch einfordert. Das erstrebte EU-Komplett-Embargo gegen russische Energielieferungen betrifft nicht nur Öl und Gas. Schon jetzt ist die Einfuhr von Holz, damit auch von Pellets aus Russland und Belarus vollständig untersagt. Das erhöht die Nachfrage nach Ersatzbrennstoffen, von der derzeit noch nicht absehbar ist, ob sie im nächsten Winter noch zu bezahlbaren Preisen befriedigt werden kann. Mehr lettische Holzpellets sollen einen Teil der Abhilfe darstellen. Landwirtschaftsminister Kaspars Gerhards weist auf den in diesem Jahr um das Dreifache gestiegenen Pellet-Preis hin; es herrsche Konkurrenz “und wir sind in einem gemeinsamen Markt und der Druck auch von den Nachbarländern ist sehr hoch.” (tv3.lv)
Der Kommentar des Umweltministers Arturs Toms Pless enthüllt, dass die Regierung noch keine Vorstellung davon hat, wie Lettland den nächsten Winter, die Zeit nach der Saeima-Wahl, energiepolitisch überstehen wird:
“Der Kampf um Biomassen hat sich sehr verschärft und das verursacht Unklarheiten in Bezug auf die nächste Heizperiode, sowohl auf kommunaler Ebene als auch bei den Privathaushalten und uns ist bewusst, dass in Lettland ergänzende Ressourcen und Kapazitäten bereitgestellt werden müssen. In den weiteren Diskussionen schauen wir gewiss darauf, wie wir unsere Waldressourcen nachhaltig bewirtschaften können, damit wir nicht gegen unsere Verpflichtungen verstoßen, was uns auf EU-Ebene Strafgelder einbringen würde, sondern dass wir uns um den Wertbestand der Natur kümmern, damit dieses Ökosystem erhalten bleibt.”
Die befürwortete Sanktionspolitik drängt ähnlich wie die deutsche auch die lettische Regierung zu hektischen Beschlüssen. Ein anderes Beispiel ist die unvermittelte Entscheidung der Regierung, den raschen Bau vieler Windanlagen zu fördern, ohne die Bürgerschaft an der Planung zu beteiligen (LP: hier). Mehr Kahlschlag und Pellets alarmieren die Umweltschützer; sie haben kein Vertrauen in die Rechtfertigungsversuche der verantwortlichen Politiker. Die Regierung habe die Bestimmung, mehr Holzschlag zuzulassen, wegen des öffentlichen Drucks schon zweimal verschoben; nun werde es erneut versucht, obwohl Krisjanis Karins zugesagt hatte, Verhandlungen der Umweltverbände mit der Forstbranche abzuwarten. Solche hätten aber nicht stattgefunden. Der Lettische Naturfonds fürchtet, dass mehr Kahlschlag die Artenvielfalt bedroht und wenn sich durch gesteigerte Pelletproduktion mehr lettisches Holz als Brennstoff verwendet in Rauch auflöst, kommt mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre, so dass sich die CO²-Senke Wald in eine CO²-Schleuder verwandelt.
Janis Rozitis, Leiter des lettischen WWF, kritisiert den Beschluss, der Lettlands internationalen Ruf gefährde:
“Mit diesem Beschluss verlässt Lettland den Green Deal der EU, der die Bewahrung der biologischen Artenvielfalt und die Orientierung an einer nachhaltigen, ausgewogenen Waldbewirtschaftung vorsieht. Somit nähern wir uns den Ländern, die im Widerspruch zu den gemeinsamen Werten und Zielen der EU handeln. Wir gestalten keine bioökonomische Entwicklung, sondern riskieren auf den internationalen Märkten Lettlands Ruf, indem wir uns in Richtung einer übernutzenden Forstwirtschaft bewegen.” (ldf.lv)
Nach LDF-Angaben müsste sich die lettische Regierung darum kümmern, dass 30 Prozent des lettischen Territoriums ökologisch geschützt werde und zehn Prozent unter strengen Bedingungen; Lettland erfüllt diese Kriterien nicht, sondern gehört bezüglich geschützter Flächen zu den letzten innerhalb der EU. Zunächst müsse die Regierung über die Ausweitung geschützter Flächen entscheiden, bevor sie das Abholzen erleichtere.
Biologin und LDF-Vorstandsmitglied Lelde Engele weist darauf hin, dass Karins` Kabinett auch in diesem Fall eine Beteiligung der Öffentlichkeit übergeht und die Stellungnahmen der Umweltschutzverbände missachtet. “In dieser Weise werden die gesellschaftlichen Interessen offen ignoriert, die Gesellschaft hat sowohl in verschiedenen öffentlichen Meinungsumfragen als auch durch Bürgerinitiativen die Unterstützung für ein grünes Lettland zum Ausdruck gebracht.”
Udo Bongartz
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