Lettland: Anwohner protestieren gegen Windparks
05.11.2021
Bürger und Kommunen sehen sich übergangen
Rotorblätter einer Windkraftanlage werden transportiert, Foto: Gerbit, Eigenes Werk CC BY 3.0, Link
Die Bezeichnung “Windrad” klingt lieblich und nostalgisch; sie erinnert an das kunterbunte Spielzeug, das Kinder auf den Jahrmärkten erhielten und das bei kräftigem Pusten rotierte und mit dem man die Geschwister schlagen konnte, ohne ihnen wirklich weh zu tun. Moderne Windkraftanlagen zur Stromerzeugung als “Windräder” zu bezeichen, erscheint hingegen ziemlich beschönigend. Diese kirchtumhohen Betonpfeiler mit Mammut-Propeller stören so manchen malerischen Ausblick auf den Horizont und bedrohen sogar den Dorffrieden, wie es Juli Zeh in ihrem Roman “Unterleuten” erzählte. Andererseits gilt Windkraft als die technische Hoffnung, um die Energiewende zu meistern. Ministerpräsident Krisjanis Karins wünscht zudem mehr Windkraft, um die Abhängigkeit von Gazprom zu verringern. Geplante Windparks stoßen oftmals auf den Protest der Anwohner und werden zur Herausforderung für Politiker, die abwägende Entscheidungen treffen müssen. In Lettland formiert sich in einigen Gemeinden der Widerstand gegen einen schwedischen Windkraft-Investor. Bürger, die sich weder beteiligt noch entschädigt sehen, lehnen seine Pläne ab.
Pienava ist ein Ort mit weniger als 300 Einwohnern, der sich im semgallischen Kreis Tukums befindet, einst waren hier die Kolchosen “Uzvara (Sieg)” und “Karlis Markss” beheimatet. Etwa ein Dutzend Demonstranten machten sich am 18. August 2021 von dort auf den Weg zur Kreisstadt, zirka 35 Kilometer von Pienava entfernt. In Tukums tagten gerade die zuständigen Kreistagsabgeordneten in außerordentlicher Sitzung. Ein Gericht hatte ihre Klage gegen die schwedische Firma Eolus abgelehnt, die bei Pienava 40 Windkraftanlagen errichten will. Die Politiker beschlossen, gegen das Urteil Berufung einzulegen (lsm.lv). Damit entsprachen sie den Forderungen der Protestierenden. Irita Sila, die die kleine Kundgebung organisiert hatte, zeigte sich im Interview mit dem Lettischen Radio entschieden: “Nein, wir ändern unsere Haltung definitiv nicht, wir sind definitiv gegen den Windpark. Bislang wurde nicht über den Nutzen gesprochen, aber weder für irgendwelche Straßen noch für Geld werden wir unsere Häuser und unsere Gesundheit eintauschen.”
Der Tukumer Kreisvorsitzende Gundars Vaza bewertete das Bürger-Anliegen differenzierter: “Wir beobachten und versuchen zu verstehen, wie diesen Bürgern staatlicherseits geholfen werden kann. Falls sich, sagen wir, für etwa 200 Menschen die Lebensumstände etwas verschlechtern, aber es den übrigen zwei Millionen so erscheint, dass sich daraus für sie irgendein Nutzen ergibt, dann sollten die 200 darüber nachdenken. Derzeit gibt es dafür kein Reglement.” Die Kreispolitiker lehnen das Eolus-Projekt nicht derart entschieden ab, wie es Sila sich wünscht, doch sie unterstützen Forderungen, dass die betroffenen Anwohner entschädigt werden müssten. Dafür fehlen aber die gesetzlichen Grundlagen.
Der NRA-Journalist Imants Viksne berichtet über die Auseinandersetzungen, die Bürger in die Opposition zu den sogenannten erneuerbaren Energien treibt. Eolus beantragte beim Umweltprüfungsamt die Genehmigung für drei weitere Windparks in verschiedenen kurländischen Regionen, darunter ein Standort in der Gemeinde Dundaga im Kreis Talsi, wo sich vergleichbarer Protest zu formieren scheint (nra.lv). Insgesamt seien derzeit 13 Windparks mit etwa 1500 Anlagen in Planung. Viksne offenbart seine skeptische Haltung: “Diese ingenieurtechnischen Konstruktionen verändern die lettische Landschaft, die Umwelt und die Lebensqualität des Menschen im großen Ausmaß.” Derzeit sei nur ein im Ausland lebender Besitzer der Profiteur dieser “Landschaftsverschmutzung”. Viksne kritisiert, dass Windenergie für die Betroffenen vor Ort keinen Nutzen bringe: Im laufenden Betrieb benötigen Windparks keine Arbeiter, auch die Gemeinden profitierten nicht. Für den skeptischen Journalisten ist die Windenergie vor allem ein Geschäft, bei dem andere den Gewinn kassieren: “Die bisherige Erfahrung zeigt, dass die Wind-Businessmen wie mit der Dampfwalze über die Meinungen der Bürger hinwegfahren, denn ihnen kommt der Grüne Kurs Europas zugute.” (nra.lv) Viksne streitet sich derzeit mit Gatis Galvins, dem lettischen Eolus-Vertreter, der dem Journalisten tendenziöse Berichterstattung vorwirft.
Aber auch Befürworter der Energiewende und der Windkraft bemängeln fehlende gesetzliche Regelungen. Der Jurist Karlis Pigens beklagt, dass Lettland hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibe (juristavards.lv). Während im Jahr 2019 Windparks in Litauen 1499 Gigawatt und in Estland 687 Gigawatt Strom geliefert hätten, seien es in Lettland nur 154 Gigawatt gewesen. Die Investoren hätten oftmals die Nachbarländer gewählt, weil lettische Gemeinden ihre Projekte ablehnten. “Der Widerstand der Kommunen und der örtlichen Einwohner und die Skepsis in Bezug auf neue und umfangreiche Investitionsprojekte ist verständlich, weil die derzeit in Lettland bestehenden Gesetze und Vorschriften keinen wesentlichen `Nutzen` für die Kommunen in der Umsetzung und im Betrieb solcher Projekte vorsehen, denn die Steuern kommen im großen Umfang nur dem gemeinsamen Staatshaushalt zugute, der Bedarf an Arbeitskraft in modernen Anlagen ist vergleichsweise gering, andererseits verbleibt auf kommunaler Ebene ein neues Objekt mit entsprechenden Auswirkungen auf die Umwelt und den Einwohnern,” erläutert Pigens. Er hat deshalb auch Verständnis für die Tukumer Klage und fordert von der Regierung, bessere gesetzliche Grundlagen zu schaffen: “Wenn es staatliche Politik ist, dass Lettland energetische Unabhängigkeit benötigt, dann müsste die Regierung diese Frage auf staatlicher Ebene lösen. Derzeit ist kein solcher gesetzlicher Entwurf ausgearbeitet.” Pigens ist aber zuversichtlich, dass die Ministerien für die Kommunen vorteilhafte Lösungen vorschlagen. Sie könnten beispielsweise an den Steuereinnahmen beteiligt werden.
Aus den ungeliebten Windkraftanlagen könnten bei guter gesetzlicher Regelung auch geliebte Bürgerprojekte werden, wenn man die Anwohner bei der Planung, Investition und auch beim Profit beteiligte. Noch weiter gehen 975 Einwohner der Gemeinde Hörstel bei Steinfurt, die einen solchen Windpark mit ihren Investitionen von 31 Millionen Euro selbst in die Hand nehmen (buergerwind-hoerstel.de).
UB
Atpakaï