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Lettland verordnet den Ausnahmezustand nun auch zur russischen Grenze
28.09.2022


Baltische Regierungen wollen keine russischen Deserteure aufnehmen

Lettland will keine Deserteure aus Russland, Foto: rs.gov.lv

Auf Russlands Teilmobilmachung reagiert Lettland mit weiterer Abschottung. Am Dienstag beschloss die lettische Regierung in den Grenzgebieten zu Russland den Ausnahmezustand (mk.gov.lv). Vom 28. September bis zum 27. Dezember 2022 soll die Grenze verstärkt überwacht werden. Die Grenzschützer erhalten Hilfe von Polizei und Militär. Das lettische Innenministerium befürchtet vermehrt “illegale” Grenzübertritte russischer Staatsbürger. Die baltischen Regierungen wenden sich in Brüssel dagegen, russischen Deserteuren Obdach zu gewähren.


Innenminister Kristaps Eklons machte den Vorschlag. Seiner Ansicht nach besteht das Risiko, dass sich “die Zahl der Migranten in kurzer Zeit stark vergrößern” könne. Deshalb benötigten die Grenzschützer ergänzende Ressourcen der Polizei, des Geheimdienstes und der Armee. “Wir müssen Vorsichtsmaßnahmen schon vorher treffen, ohne auf eine Verschärfung der Situation zu warten.”


Ähnlich wie die Grenze zu Belarus ist auch diejenige zum russischen Nachbarn teilweise mit einem abweisenden, stacheldrahtbewehrten Zaun abgeschottet. Dennoch fürchtet die lettische Regierung die Einreise russischer Staatsbürger und hat deshalb in den Kreisen Aluksne, Balvi und Ludza, die an Russland grenzen, den Ausnahmezustand angeordnet, wie bereits seit letztem Jahr zum belarussischen Nachbarn, was Amnesty International (AI) am 26. Juli 2022 auf Twitter kritisierte: Der Ausnahmezustand an der belarussischen Grenze erlaubt den Grenzern gewaltsame Zurückdrängung von Flüchtlingen und Migranten; Behörden sind angehalten, gegen internationale Bestimmungen Asylbegehren zu ignorieren. “Während Lettland mehr als 34.000 Fliehende aus der Ukraine willkommen heißt, werden Flüchtlinge und Migranten - überwiegend aus Irak und Afghanstan, Kinder eingeschlossen - im Wald bei frostigen Temperaturen sich selbst überlassen,” heißt es in der Twitter-Meldung. Unter Androhung von Gewalt sei vielen nur die Rückkehr in die Heimat geblieben. Juris Jansons, lettischer Ombudsmann für Menschenrechte, wandte sich in einem offenen Brief an seinen Kollegen Nils Muiznieks, den ehemaligen Menschenrechtskommissar des Europarats, der nun die lettische AI-Sektion leitet, und wies diese Kritik entschieden zurück, warf seinerseits der Menschenrechtsorganisation mangelnden guten Willen zur Zusammenarbeit vor (tiesibsargs.lv).


Ein Ministerkabinett hat das Recht, für drei Monate befristet den Ausnahmezustand zu verkünden und danach nach Zustimmung der Saeima zu verlängern. So besteht die Möglichkeit, Soldaten und Polizisten zu verpflichten, den Grenzschutz zu unterstützen. Sie werden mit einem um die Hälfte erhöhten Gehalt entschädigt. Die 276 Kilometer lange Grenze soll stärker überwacht werden. Russische Staatsbürger mussten sich schon zuvor auf besondere Kontrollen bei der Einreise gefasst machen (LP: hier). Der Ausnahmezustand gilt auch für grenzüberschreitende Eisenbahnlinien und Flughäfen. Der Grenzübergang bei Pededze wird geschlossen.


Seit dem 19. September 2022 reisten nach Angaben des Innenministeriums innerhalb einer Woche 2475 russische Bürger ein, 57 wurde der Grenzübertritt verweigert (lsm.lv). Meistens besuchen Russen in Lettland Angehörige oder sind Angestellte in der Transportbranche; mehr als die Hälfte hatte eine Aufenthaltsgenehmigung für Lettland oder die EU. Estland, Litauen und besonders Finnland registrieren in diesen Tagen deutlich mehr Einreisen an ihren Grenzen zu Russland. Die EU-Grenzagentur Frontex meldete, dass in der letzten Woche etwa 66.000 russische Bürger in die EU kamen; das sind 30 Prozent mehr als zuvor (lsm.lv).


Der Umgang mit jungen Russen, die vor der Einberufung in die Armee fliehen, entwickelt sich zum neuen Brüsseler Zankapfel. Daniel Säwert, der für das Neue Deutschland berichtet, erinnerte an eine Aufforderung des EU-Ratspräsidenten Charles Michel an russische Soldaten, vom Kriegsdienst zu desertieren (nd-aktuell.de). Laut Angaben der NGO Connection e.V. haben seit Februar etwa 100.000 Russen ihr Land verlassen, um dem Kriegsdienst zu entkommen. Von ihnen haben nur 1.000 Aufnahme in der EU gefunden. Visabestimmungen, die auf baltischem Druck verschärft wurden, und unerfüllbare Asylbestimmungen sind Hinderungsgründe. Connection hat eine Petition gestartet, um die EU zum Schutz für russische Deserteure aufzufordern. Offenbar will auch die deutsche Bunderegierung den Betroffenen helfen.  


Aber laut TAZ-Journalistin Anna Frieda Müller ist in Brüssel bislang keine Einigung in Sicht. Besonders die baltischen Länder und Finnland sperren sich dagegen, russischen Deserteuren Aufenthalt zu gewähren (taz.de). In Stellungnahmen, die die LSM-Journalisten Rihards Plume und Ieva Strazdina zitieren, zeigen sich baltische Politiker gegenüber russischen Kriegsdienstverweigern gleichgültig. Die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas hält die “Flucht vor dem Militärdienst” nicht für einen Asylgrund. Die Unruhen hätten wegen der Mobilisierung begonnen und nicht “als russische Bürger ukrainische Bürger töteten, terrorisierten und folterten. Ich wünschte mir diese Menschen lieber gegen den Krieg protestieren zu sehen als ihn einfach als etwas zu betrachten, das ihnen Unannehmlichkeiten bereitet.” Ähnlich unbeeindruckt äußern sich Politiker aus Litauen, Tschechien und Polen. Der lettische Außenminister Edgars Rinkevics zog die argumentative Jokerkarte, um Deserteure abzuweisen: Er hat Sicherheitsbedenken (lsm.lv).


Udo Bongartz

 

 

LP-Artikel zur lettischen Regierung und zu EU-Sanktionen gegen Russland


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