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Rigaer Ratsprotokolle von 1603 bis 1890 gehören nun zum UNESCO-Kulturerbe Lettlands
23.02.2022


Deutschsprachige Dokumente über den historischen Wandel in der baltischen Metropole

Rigaer Ratsversammlung im 17. Jahrhundert, Foto: https://www.letonika.lv/groups/default.aspx?title=071110_1.gif, Saite

Am 14. Oktober 2021 beschloss die lettische UNESCO-Kommission anlässlich der 30jährigen lettischen UN-Mitgliedschaft, drei historische Sammlungen in die nationale Liste des Weltkulturerbes aufzunehmen. Dazu gehören neben der historischen Fotoglas-Kollektion von Strenci und einer Sammlung Herrnhuter Handschriften die Rigaer Ratsprotokolle von 1603 bis 1890 (latvijasdargumi.unesco.lv). Die UNESCO-Kommission genehmigte den Antrag des Historischen Staatsarchivs Lettlands, wobei die Protokolle als einzigartige und nicht ersetzbare historische Quelle bezeichnet wurden. In 386 Lederbänden dokumentiert das Material über 300 Jahre städtischer Ereignisse in ihrem Zusammenhang mit den übrigen baltischen Territorien. Die Protokolle lassen die jeweiligen Zeitumstände erkennen, die wechselnden geopolitischen Konstellationen, die sozioökonomische Entwicklung, den kulturellen und politischen Wandel. 


Das Leben in Riga war bis zum Ende des 19. Jahrhunderts von einer deutsch geprägten Ständegesellschaft bestimmt. Nur ein kleiner, vermögender Kreis der Einwohnerschaft, meist deutschsprachige Kaufleute und Handwerker, hatten die Möglichkeit, in die Vereinigungen der Großen bzw. der Kleinen Gilde aufgenommen zu werden, aus denen sich der städtische Rat, also die Stadtregierung, rekrutierte. Deren Verhandlungen in der damaligen deutschen Amtssprache fanden wiederum in den Ratsprotokollen ihren Niederschlag. Umso bemerkenswerter ist die Tatsache, dass diese Unterlagen heute ausdrücklich als zentrales Kulturgut Lettlands angesehen werden.


Das lettische UNESCO-Büro erinnert daran, wie sich die Welt in genannten 300 Jahren verändert hat. 1603 starb die englische Königin Elisabeth I., die Widersacherin Maria Stuarts, und Galileo Galilei erforschte noch den Himmel; im Jahr 1890 wurde im bayrischen Reichenhall das erste Wasserkraftwerk eröffnet, das Wechselstrom erzeugte; auf holprigen Wegen fuhren schon die ersten Autos, die noch kutschenförmig aussehenden Automobile von Carl Benz. In Riga ist es die Zeitspanne, in der sich die lokale deutschbaltische Elite mit den benachbarten Großmächten verständigen musste, die nacheinander die baltischen Territorien beherrschten, Polen, Schweden und schließlich Russland. Doch blieb der Rat unter der jeweiligen Herrschaft eine Instanz der Selbstverwaltung, organisierte die städtische Wirtschaft (Handel, Hafen, Handwerk, Industrie), Soziales (Armenhäuser, Krankenspitäler) und Kulturelles (Schulen). Dennoch mussten die Ratspolitiker Anweisungen der staatlichen Oberhoheit befolgen, was vor allem am Ende des 19. Jahrhunderts zu Spannungen mit dem russischen Gouverneur führte, bevor die ständische Institution durch eine nach Dreiklassenwahlrecht gewählte Stadtverordnetenversammlung ersetzt und als Amtssprache Russisch eingeführt wurde. 


Die lettische UNESCO-Kommission empfiehlt, die Ratsprotokolle zu digitalisieren und sie für die internationale Forschung zugänglich zu machen. Allerdings sind die in alten deutschen Handschriften abgefassten Einträge nicht immer leicht zu entziffern. Das Historische Staatsarchiv Lettlands lädt deshalb zwischen dem 2. März und 25. Mai 2022 zu einem wöchentlich per Zoom stattfindenden Paläographie-Seminar ein. Dr. Manfred von Boetticher, ehemaliger Leiter des Hauptstaatsarchivs Hannover, wird für Interessierte Tricks und Tipps vermitteln, wie man deutsche Kurrentschriften entziffert. 


Zur Bedeutung von Ratsprotokollen meint von Boetticher, dass in ihnen die gesamte Tätigkeit städtischer (Selbst-)Verwaltung in konzentrierter Form ihren Niederschlag gefunden hat, regelmäßig mit Verweisen auf andere städtische Institutionen. In Riga sind diese Protokolle fast lückenlos erhalten. Zugleich stellten diese Schriften eine Achse der städtischen Überlieferung dar, die wiederum bei der Bedeutung dieser Stadt weit über die unmittelbaren städtischen Belange hinausgehe. Der Norddeutsche erläutert die Bedeutung dieses Kulturerbes mit einer Fischgräte: “Wenn man sich die dokumentierte Stadtgeschichte als einen Fisch vorstellt, bilden die Protokolle die Hauptgräte, von der die anderen Gräten ausgehen.” 


Die Paläographie-Seminare finden mittwochs vom 2. März bis zum 25. Mai 2022 statt. Für jene, die sich nicht mit der Kurrentschrift auskennen, findet zwischen 16.30 und 18 Uhr ein Anfängerkurs statt, von 18.30 bis 20.00 Uhr folgt ein Kurs für Fortgeschrittene. Das Seminar ist in deutscher und lettischer Sprache geplant; Vorkenntnisse in deutscher Sprache sind angebracht. Weitere Informationen und Anmeldung über E-Mail: paleografija@inbox.lv. 

UB 




 
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